Eine böse Geschichte
Vom Comic zur Collage: Erich Kästners »Fabian« in der »Box« des Deutschen Theaters in Berlin
Erich Kästners »Fabian« am Deutschen Theater in Berlin.
Fabian« ist ein pessimistischer Roman in Zeiten eines ruchlosen Optimismus. Erich Kästner hat ihn 1931 veröffentlicht, und doch hat er viel mit uns heute zu tun. Die Slogans der Zeit: Immer mehr, immer schneller, immer effektiver – ja, aber nicht mit den Menschen, den langsamen, die zurückbleiben und untergehen, ohne dass es jemanden interessiert.
Dr. Jakob Fabian ist Doktor der Philosophie, 32 Jahre alt – er arbeitet als Werbetexter für Zigaretten, die ihn nichts angehen. Aber auch da wird er wegrationalisiert. Zu negativ der Mensch, wie will der denn etwas verkaufen?
Am Ende springt Fabian von einer Brücke in den Fluss, um ein Kind zu retten, das vor seinen Augen vom Geländer stürzte. Jedoch, so ist das bei Intellektuellen, er hatte vergessen, dass er nicht schwimmen kann, und ertrinkt. Das Kind schwimmt allein ans Ufer – der Dr. Fabian, den keiner braucht, aber ist für immer verschwunden.
Eine böse Geschichte, aber auch eine alltägliche. Darin war Erich Kästner, der vor 120 Jahren geboren wurde, ein Meister. Geistige Hochseilakte auf dem Boden der Tatsachen zu vollführen, der jedoch oft ein doppelter ist, damit konnte er wie kein Zweiter verblüffen, etwa in seiner »Marktanalyse« von 1949: »Der Kunde zur Gemüsefrau: ›Was lesen Sie denn da, meine Liebe? Ein Buch von Ernst Jünger?‹ Die Gemüsefrau zum Kunden: ›Nein, ein Buch von Gottfried Benn. Jüngers kristallinische Luzidität ist mir zu prätentiös, Benn zerebrale Magie gibt mit mehr.‹« Ohne die Gemüsefrau wäre die Episode nicht abgründig, sondern dröge.
Kann man die Geschichte Fabians, des Philosophen, den in einer Welt des Kaufens und Verkaufens niemand braucht, auf die Bühne bringen? 2003 versuchte es Joachim Meyerhoff am Gorki-Theater, mit geringem Erfolg, denn er entwickelte allzu umständlich aus dem Roman ein Figuren-Tableau. Damit aber büßte die Geschichte des über den Umweg einer versuchten Kindsrettung zum Selbstmörder werdenden Jungphilo- sophen ihren absurden Kern ein. Der bleibt immer der gleiche und provoziert die Frage: Kann, wer berufshalber (wenn auch einkommenslos) denkt, nebenbei auch noch handeln; wenn ja, wie sinnvoll?
Die Bühne, die Johanna Pfau in die kleine DT-Box baut, provoziert ebenfalls: eine Art orange gefärbte Comic-Bude mit sprechblasengleichen Magnet-Schildern wie »Wow«, »Love«, »Autsch«, Pfeilen und Fragezeichen, einem Revolver – das ist unsere grell-bunte Werbewelt ins infantile Symbol gebracht. Regisseur Alexander Riemenschneider setzt Fabian und seinen sich wegen seiner vermeintlich abgelehnten LessingHabilitation erschießenden Freund Labude in einer Welt der groben Kaufreize aus. Denn man amüsiert sich in Berlin gewohnheitsmäßig zu Tode – so geht es vom einen rotlichtigen Etablissement zum nächsten schrillen Club, immer nahtlos vom Gestern ins Heute.
Drei Schauspieler sprechen die Rollen, ohne doch je ganz in darin aufzugehen. Ein Rest an Distanz bleibt immer. Sie haben alle drei etwas Glitzer unter den Augen, da sehen sie aus wie verspätete Partygänger, traurige Clowns, oder einfach postmoderne Großstadtbewohner, ratlos ausgesetzt im Kästner-Text. Ihre Gesten sind immer allzu groß, ihre Mimik auch – eine einzige Stummfilmgroteske. Was man nicht hört, soll man sehen, dazu die angezackten Sprechblasen.
Die Szenerie also: vorsätzlich künstlich bis ins Klischee. Grundsätzlich ist das etwas, das dem Deutschen Theater, in seiner eher langweiligen naturalistischen Spielart feststeckend, nur guttun kann. Aber es müsste eben auch bezwingend gemacht sein. Thorsten Hierse, Bozidar Kocevski und Birgit Unterweger sind zu dritt das »Fabian«-Personal. Mehr Sprecher als Spieler. Tobias Vethake macht am Rande live Musik, es klingt futuristisch, das vervollständigt das Keller-Club-Ambiente.
Der Kästner-Text: immer wieder fulminant, auch in dieser Spielfassung von Alexander Riemenschneider und Meike Schmitz. Langsam wandelt sich der eher befremdende Comic-Eindruck vom Anfang in den
einer Text-Collage, und die Sprecher sind allesamt Fabian-Klone, die sich in wechselnden Zeiten doch erschreckend gleich bleiben. Manches ist an ihrer Gestik unpassend, geradezu ärgerlich, wie eine Billigpantomime, etwa wenn alle drei sich die Augen jeweils mit Daumen und Zeigefinger weit offen halten. Aha, jetzt glotzen sie! Oder weil sie es sonst nicht aushalten würde, länger hinzuschauen, oder ihnen vor Müdigkeit die Augen zufallen? Es gibt einige solcher unklaren, auswechselbaren Gesten, die ins Leere gehen.
Doch in der zweiten Hälfte des 90-minütigen »Fabian«-Bilderbogens ereignet sich etwas, womit ich jedenfalls nicht mehr gerechnet hatte: das zurückgestaute Spieldefizit bricht sich Bahn, plötzlich ist Intensität da. Die Magnetschilder aus dem »Superman«-Comic werden eingesammelt, das rote Wand wirkt plötzlich blutig. Jetzt wird das Drama der Untergeher Labude und Fabian gespielt, die in einer solchen Welt gänzlich überflüssig sind. Ein Drama, wie es die Großstadt immer wieder spielt, aber selbst nicht mit ansehen mag.
Stark Birgit Unterweger, die sich wie eine Megäre der Berliner Halbwelt alle dubiosen Frauenfiguren des Romans auflädt und davonträgt. Es wird nun auch endlich körperliches Spiel, auch die beiden Intellektuellen-Untergeher leben und sterben eben nicht im luftleeren Raum.
So vorsätzlich grotesk dieser Abend beginnt, so schlicht endet er im Konstatieren unlebbarer Zustände. Und wieso ist gerade Fabian ein Moralist? Einer, der anderen den rechten Weg zeigt, den er selbst nicht zu gehen imstande ist? Das wäre allzu billig. Nein, dieser Intellektuelle ist etwas anderes: ein bleibendes Ärgernis aller bigotten Hüter einer falschen Ordnung.
Kästner hat 1950 dazu selbst einen Text unter der Überschrift »Fabian und die Sittenrichter« geschrieben. Über deren Urteil lesen wir: »Dieser Mensch ist ein Schweineigel. Der Autor erwidert hierauf: Ich bin ein Moralist!« Kästner erweist sich dann auch als sehr viel subtiler als Regisseur Alexander Riemenschneider, die Handlungsmöglichkeiten eines Intellektuellen ausdeutend. Rie-
So vorsätzlich grotesk dieser Abend beginnt, so schlicht endet er im Konstatieren unlebbarer Zustände. Und wieso ist gerade Fabian ein Moralist?
menschneider interpretiert die Wirkungsabsicht von »Fabian« in einem Interview fürs Programmheft genderkorrekt so: »Um die Leser_innen zu aktivieren und zum Handeln zu bewegen.«
Aufstehen!, so heißt das Schlagwort der Stunde, das Kästner jedoch vermutlich als unziemliche ideologische Annäherung abgewehrt hätte. Weil der Autor solcherart simplen Kurzschlüssen über das Bessern entgegenwirken wollte, reichte er auch gleich selbst eine bis heute gültige Definition des Moralisten nach: »Der Moralist pflegt seiner Epoche keinen Spiegel, sondern einen Zerrspiegel vorzuhalten. Die Karikatur, ein legitimes Kunstmittel ist das Äußerste, was er vermag. ... Sein angestammter Platz ist und bleibt der verlorene Posten. Ihn füllt er so gut er kann aus.«