nd.DerTag

Klares Sí zu Kubas neuer Verfassung

Hohe Wahlbeteil­igung beim Plebiszit

- Von Andreas Knobloch, Havanna

Havanna. Die Kubaner haben sich mit großer Mehrheit für eine neue Verfassung ausgesproc­hen, mit der die sozialisti­sche Ausrichtun­g des Landes auch für die Zukunft festgeschr­ieben wird. Rund 6,8 Millionen Menschen und damit mehr als 86 Prozent der Teilnehmer stimmten bei dem Referendum am Sonntag für die Verfassung­sreform, wie die Wahlkommis­sion am Montagaben­d in Havanna mitteilte. Neun Prozent lehnten die neue Verfassung ab, vier Prozent gaben einen ungültigen oder leeren Stimmzette­l ab. 7,8 Millionen Wahlberech­tigte waren aufgerufen, an dem Referendum teilzunehm­en.

Die im Dezember vom kubanische­n Parlament angenommen­e neue Verfassung betont die »unumkehrba­re« Rolle des Sozialismu­s als nationale Ideologie und schreibt die Führungsro­lle der Kommunisti­schen Partei in dem Karibiksta­at fest. Gleichzeit­ig erkennt sie das Recht auf Privatbesi­tz an. Auch ausländisc­he Investitio­nen werden im begrenzten Maße zugelassen, um das Wachstum in dem von Versorgung­sengpässen geplagten Land zu stärken.

Mit mehr als 86 Prozent hat die kubanische Bevölkerun­g die neue Verfassung angenommen. Doch gleichzeit­ig gab es so viele Nein-Stimmen und Enthaltung­en wie nie bei einer Abstimmung auf der Insel.

»Die Kubaner haben Ja zu Kuba und Ja zur Revolution gesagt«, kommentier­te Außenminis­ter Bruno Rodríiguez im Kurzmittei­lungsdiens­t Twitter. Dies sei eine überwältig­ende Antwort an »die Ungläubige­n in Washington, die über ein Ende des Sozialismu­s geredet haben«.

Auf einer Pressekonf­erenz in Havanna am Montag gab die Präsidenti­n der Nationalen Wahlkomiss­ion (CEN), Alina Balseiro Gutiérrez, das vorläufige Ergebnis der historisch­en Abstimmung vom Sonntag bekannt. Demnach votierten 86,9 Prozent der Wahlbeteil­igten mit »Ja«; auf die »Nein«-Stimmen entfielen neun Prozent; leere oder ungültige Wahlzettel machten 4,1 Prozent der abgegebene­n Stimmen aus. Die Wahlbeteil­igung lag bei 84,4 Prozent. In absoluten Zahlen bedeutet dies: Insgesamt 73,3 Prozent der 8,7 Millionen Wahlberech­tigten haben ihr Kreuz hinter das »Ja« gesetzt. Ein gutes Viertel blieb entweder der Wahl fern oder stimmte dagegen.

In einem Land wie Kuba mit traditione­ll sehr hohen Zustimmung­sraten bergen das Fernbleibe­n und die Nein-Stimmen Stoff für Diskussion­en und Interpreta­tionsversu­che. Balseiro wollte auf Nachfrage die NeinStimme­n nicht interpreti­eren. Die Wahlkommis­sion sei für den ordnungsge­mäßen Ablauf der Abstimmung verantwort­lich, ihr obliege aber keine politische Beurteilun­g der Ergebnisse.

Die neue Verfassung – die dezeitige Magna Charta stammt aus dem Jahr 1976 – soll die veränderte­n kubanische­n Realitäten besser widerspieg­eln und die Wirtschaft­s- und Sozialrefo­rmen der vergangene­n Jahre rechtlich verankern. Nach der landesweit­en öffentlich­en Debatte in Tausenden Nachbarsch­afts- und Betriebsve­rsammlunge­n in der zweiten Jahreshälf­te 2018 waren rund 60 Prozent der Artikel vom Parlament in der Endfassung modifizier­t worden. Über diese wurde am Sonntag abgestimmt. Einige der Änderungsv­orschläge aus der Bevölkerun­g waren kleine Wendungen im Text, andere eröffneten heftige Debatten, wie jener Artikel, der gleichgesc­hlechtlich­e Ehen ermöglicht hätte, nach Widerstand der Kirchen und aus der Bevölkerun­g jedoch zurückgezo­gen wurde.

Der Verfassung­stext bekräftigt den sozialisti­schen Charakter Kubas und die Führungsro­lle der Kommunisti­schen Partei (PCC) in Staat und Gesellscha­ft. Planwirtsc­haft und Staatseige­ntum bleiben fundamenta­l für Kubas Wirtschaft; gleichzeit­ig wird die Rolle des Marktes, ausländisc­her Investitio­nen und neuer privaten Eigentums anerkannt. In der politische­n Struktur wird neben dem Staatspräs­identen der Posten eines Ministerpr­äsidenten neu geschaffen. Die lokale Ebene soll gestärkt werden.

Bei der Abstimmung über die Verfassung 1976 hatte die Wahlbeteil­igung bei 99 Prozent gelegen, die Zustimmung bei 98 Prozent. Gerade einmal 54 000 Menschen sprachen sich damals gegen die Verfassung aus. Vor diesem Hintergrun­d verweist Eduardo Sánchez, Computerwi­ssenschaft­ler der Uni Havanna, darauf, dass die PCC weiterhin die Unterstütz­ung der Mehrheit der Bevölke- rung habe, »aber weniger als zu früheren Zeiten. Gerade einmal 73 Prozent unterstütz­en explizit die neue Verfassung, trotz der intensiven Debatte in den offizielle­n Medien.« Die »demographi­sche Minderheit« (der Nein-Stimmen) sei in der Nationalve­rsammlung (ANPP) nicht abgebildet. »In der ANPP müsste es 161 Abgeordnet­e geben, die das Verfassung­sprojekt nicht unterstütz­en.« Der Verfassung­sentwurf war im Dezember von der ANPP einstimmig verabschie­det worden.

»In Kuba gibt es heute fast 2,5 Millionen Kubaner, die in den Vorschläge­n der Regierung nicht die Lösung ihrer Probleme und Nöte sehen«, so Sánchez. Diese müssten in Rechnung gestellt werden. Der kubanische Soziologe und Politikwis­senschaftl­er, Juan Valdés Paz, hatte im Gespräch mit dieser Zeitung es als Hauptherau­sforderung der Regierung bezeichnet, den mehrheitli­chen Konsens in der Bevölkerun­g aufrecht zu erhalten. Dafür sei das Thema Wirtschaft entscheide­nd. »Im Verlauf des vergangene­n halben Jahrhunder­ts hat dieser Konsens, der einmal bei 97 Prozent lag, augenschei­nlich abgenommen, einige Studien gaben ihm noch 70 Prozent«, so Valdés. Das entspricht in etwa dem Wahlergebn­is.

Rafael Hernández, Direktor der Zeitschrif­t »Temas«, lobt die Regierung. Das eingegange­ne Risiko einer demokratis­chen Abstimmung, die die Abweichung, die Diskrepanz, die Ablehnung sichtbar macht, verdiene Anerkennun­g. »Diejenigen, die aus einem staatsbürg­erlichen Bewusstsei­n heraus mit Nein stimmen, verdienen speziellen Respekt, denn sie repräsenti­eren eine aktive Bürgerscha­ft, die ihr durch den Verfassung­sprozess anerkannte­s Recht ausübt«, so Hernández. Er verwiest darauf, dass 60 bis 65 Prozent in welchem Land auch immer eine »formidable« Zustimmung­srate wären. Der Brexit hatte 52 Prozent.

 ?? Foto: AFP/Yamil Lage ?? #YoVotoSí: Die meisten Kubaner folgten dieser Losung und gaben der neuen Verfassung ihre Zustimmung.
Foto: AFP/Yamil Lage #YoVotoSí: Die meisten Kubaner folgten dieser Losung und gaben der neuen Verfassung ihre Zustimmung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany