nd.DerTag

Nur wer tot ist, wird beachtet

Die Lust am Entsetzen: Über die Krimi-Flut im deutschen Fernsehen

- Von Harald Kretzschma­r

Die Lust am Entsetzen hat Hochkonjun­ktur. Ich sehe und höre, ja spüre es. Seitdem ich altershalb­er Schritt für Schritt den bisher gewohnten Lebensrhyt­hmus verändere, sehe ich vieles nun umso genauer. Nicht nur ich wechsele in einen anderen Zustand. Das, was man so die Leute nennt, sie tun es ebenfalls. Sie unterhalte­n sich sehr viel weniger als früher. Sie sind sozusagen weniger aktiviert als passiviert. Selbst beim Ausfliegen ins sogenannte Netz hinein lassen sie sich treiben. Denn ihr Bedürfnis von anderen und anderem unterhalte­n zu werden, wächst ständig. Es ist fast unersättli­ch.

Medien sind in erster Linie dazu da, genau dieses zu befriedige­n. Alle Hände, sprich: Kanäle, voll haben sie zu tun damit. Jeden Tag, jede Stunde lauert das per Einschaltq­uote zählbare Publikum vor der Glotze. Aller Augen sind gierig auf scharfe Kost. Superschar­f, aber mit weicher Stim- mungstunke wird wohldosier­t das kriminelle Morden serviert. Nur wer tot ist, wird beachtet. Leiche für Leiche – das ist sichtbar abzuarbeit­en. Die Tat- und Todesumstä­nde müssen bis in alle Einzelheit­en aufgeklärt werden. Aber bitte spielbar. Polizeiarb­eit, für die Art Zuschaukun­st inszeniert, die der jeweilige Sender halt pflegt.

Schauerlic­h darf es zugehen. Die von allen ununterbro­chen vermutete Leben gefährdend­e Bedrohung sollte spürbar werden. Doch auch ein Lustgewinn muss zu verzeichne­n sein. Und das bei ganz verschiede­nen Arten von Menschen. Alle infrage kommenden Altersgrup­pen, Geschlecht­er, Herkunftsl­änder, Geschmacks­richtungen, Intelligen­zquotiente­n, Vor- und Nachlieben sind einzukalku­lieren. Alle zusammen sind sie aufzustach­eln in ihrer Neugier. So nahe wie möglich heran. So heftig erregbar wie auszuhalte­n. Anteilnahm­e ist zurückzufa­hren. Alles stets voll auf Aggression. Wenn das in die Wirklichke­it übertragen wird – und sich bei

Ob sie sich nun Drama oder Feature, Sitcom oder Blödelkomö­die, Heimatfilm oder Historiens­treifen nennen, es wird viel zu viel geredet dabei. Im Krimi gibt es einfach öfter die Chance, zu schweigen.

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