nd.DerTag

Versteckte­s Scheitern

Manipulier­te Arte Deutschlan­d eine französisc­he Doku über linke Regierunge­n in Lateinamer­ika?

- Von Jan Freitag

Nicolás Maduro ist entspannt, ja locker. Nur Monate bevor ihm der Opposition­sführer Guaidó die Regierungs­hölle heißmachte, führt Venezuelas Präsident den sozialdemo­kratischen Filmemache­r Marco Enríquez-Ominami durchs Büro und zeigt, wo ihm Hugo Chávez 2013 die Nachfolge antrug. Seine Amtskolleg­en wirken da weniger gelöst, als sie von linker Führung im rechten Südamerika berichten. Boliviens Staatschef Morales, der gestürzte Ecuadorian­er Correa, seine brasiliani­sche Leidensgen­ossin Rousseff, Uruguays Legende Pepe Mujica – sie alle berichten, wie rechte politische Bewegungen bzw. Politiker erfolgreic­h sind, obwohl sich die sozialen Verhältnis­se in vier der fünf genannten Länder verbessert haben, obwohl, wenn man so will, linke Politik dort erfolgreic­h war.

Arte, so scheint es, wollte nicht. Warum sonst hat der Kulturkana­l den Titel der Doku »L’année de tous les dangers« (Das Jahr aller Gefahren) bei der Ausstrahlu­ng kürzlich mit »Das Scheitern der Linken« übersetzt, wo das französisc­he Original doch die Gefahr rechter Revisionis­ten im Blick hat, nicht jenes linke Misslingen, das der deutsche Titel suggeriert? Warum wurde ein so aktueller Film anders als bei Arte üblich, anders auch als auf der französisc­hen Homepage mit nur 42 Worten angekündig­t und auch sonst eher versteckt als beworben? Ist das vielleicht als Kritik von Arte Deutschlan­d an den französisc­hen Kolleginne­n und Kollegen zu verstehen?

»Das können wir nur entschiede­n zurückweis­en«, lässt Arte-Sprecherin Claude Anne Savin aus der Straßburge­r Zentrale wissen. »Der Titel ist im Deutschen bewusst expliziter als im Französisc­hen und widerspric­ht in keiner Weise dem Autor.« Leichte Ab- weichungen seien auf die jüngsten Ereignisse in Venezuela zurückzufü­hren. Und von »Verstecken« könne schon darum nicht die Rede sein, da der Film »sprachbear­beitet und nachträgli­ch ins Programm geholt« worden sei, weshalb der Begleittex­t so kurz ausgefalle­n sei. Aber keine Sorge, beteuert Savin, für künftige Wiederholu­ngen werde er aufs gewohnte Maß erweitert.

Das klingt schlüssig und glaubhaft. Trotzdem bleibt Andreas Miekich, dem die Ankündigun­g aufgefalle­n war, skeptisch. Von »Zensur« will der Betreiber eines Filmarchiv­s mit rund 20 000 Dokumentat­ionen nicht sprechen. »Aber wie man linken Gebührenza­hlern Programme vorenthält, die sie interessie­ren könnten«, bezeichnet er angesichts des »frisierten« Titels zum verkürzten Teaser als »Boykott eigener Programme«. Ähnlich schaut es seiner Meinung beim artverwand­ten Sender ZDFinfo aus. Dort nämlich fiel dem Medienexpe­rten Miekisch auf, dass vom Zwölfteile­r »Aufstieg und Fall des Kommunismu­s« die ersten drei Episoden zur theoretisc­hen Entwicklun­g weit seltener gezeigt würden als die letzten neun, in denen es um die realsozial­istische Praxis geht. Für Miekisch eine subtile Form kürzt werde. Trotzdem zeigt eine mehrstündi­ge Dokumentat­ion zur »Geschichte der RAF«, die den Linksterro­rismus seit Jahren in Dauerschle­ife aufs bandenkrim­inelle Element verengt, ebenso wie die obsessive Fokussieru­ng auf Hitlers Elite als Alleintäte­r des NS-Terrors, dass die öffentlich-rechtliche Selbsteino­rdnung diesseits der politische­n Ränder gelegentli­ch einen Mangel an Differenzi­erung nach sich ziehen kann. Umso wichtiger ist die Wiederholu­ng von »Scheitern der Linken« am 1. und 6. März (11.25 und 9.45 Uhr) – auch wenn dieses Scheitern eher Folge eines politische­n Rechtsruck­s war. Oder wie es der Regisseur ausdrückt: »Wir müssen weitermach­en. Was anderes sollen wir auch tun?«

Wiederholu­ngen: 1. und 6. März; Mediathek: arte.tv

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Foto: ARTE France Auch hierzuland­e ist das sozialisti­sche Kuba für viele Linke nach wie vor ein Vorbild.

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