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Zehn-Minuten-Takt für alle

Der Nahverkehr soll massiv ausgebaut werden, richtig spürbar wird das erst ab 2023

- Von Nicolas Šustr

»Die Jahrzehnte der unterlasse­nen Investitio­nen sind vorbei«, sagt die Wirtschaft­ssenatorin anlässlich der Verabschie­dung des neuen Nahverkehr­splans. Bis 2035 sollen 28 Milliarden Euro fließen.

»Mein Ziel ist, dass viel mehr Berlinerin­nen und Berliner sagen können: Ich brauche gar kein Auto.« Das erklärt Verkehrsse­natorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) anlässlich der Verabschie­dung des neuen Nahverkehr­splans im Senat am Dienstag. Obwohl der Plan formal nur für vier Jahre gültig ist, also bis 2023, werden dort Maßnahmen bis hinein ins Jahr 2035 hinterlegt. 28,1 Milliarden Euro plant der Senat bis dahin für Sanierung, Modernisie­rung, Ausbau und den Betrieb von Bussen, Straßenbah­nen sowie U-, S- und Regionalba­hnen auszugeben. Das ist pro Jahr rund die Hälfte mehr als die 1,1 Milliarden Euro, die derzeit pro Jahr fließen.

Gleichzeit­ig hat der Senat beschlosse­n, die Berliner Verkehrsbe­triebe (BVG) wieder direkt mit dem Betrieb von Bussen, Straßenbah­nen und U-Bahnen zu beauftrage­n. Der entspreche­nde Vertrag soll im August 2020 unterschri­eben werden und ebenfalls bis 2035 laufen. Das begründet auch den weiten Blick in die Zukunft beim Nahverkehr­splan. »Die Verkehrsun­ternehmen sollen mit Blick auf 2035 in die Lage versetzt werden, langfristi­g zu planen«, so Günther.

Rund 1,1 Milliarden Euro sollen in 73 Kilometer neue Straßenbah­nstrecken investiert werden. Bis 2021 sollen drei davon fertig werden: Die Verlängeru­ng vom Hauptbahnh­of zur Turmstraße, die Heranführu­ng der Tram an den Umsteigekn­oten Ostkreuz sowie die Verbindung vom Bahnhof Schöneweid­e in die Wissenscha­ftsstadt Adlershof. 2024 soll die Straßenbah­n von der Turmstraße weiter bis zum Bahnhof Jungfernhe­ide führen, ein Jahr später soll es dann von dort weiter bis zum dann hoffentlic­h ehemaligen Flughafen Tegel gehen, wo Tausende Wohnungen und Arbeitsplä­tze entstehen sollen. Für das gleiche Jahr sind auch die Eröffnung der Anbindung des neuen Wohngebiet­s Blankenbur­ger Süden sowie eine neue Tangente von Weißensee über Heinersdor­f nach Pankow vorgesehen. Ein bis zwei Jahre später sollen Tramgleise endlich vom Alex zum Potsdamer Platz sowie von der Warschauer Straße zum Her- mannplatz führen. Das vollkommen überlastet­e Spandauer Busnetz soll erst ab 2029 durch Straßenbah­nen ergänzt werden.

Hunderte weitere Millionen Euro müssen für die Aufstockun­g des Wagenparks von 342 auf 472 Züge sowie den Bau drei neuer Depots fließen. Um 30 Prozent soll auch die U-Bahnflotte wachsen, um bis 2023 auf den Linien U2, U5, U6 und U8 den Verkehr um knapp die Hälfte auf einen 3,3-Minuten-Takt zu verdichten.

Stadtweit soll bei Bussen der 10-Minuten-Takt die Regel werden. »Das ist vor allem für die Außenbezir­ke notwendig«, sagt Wirtschaft­ssenatorin Ramona Pop (Grüne), die Aufsichtsr­atsvorsitz­ende der BVG ist. Auch dafür ist das Zieljahr 2023. Der barrierefr­eie Ausbau aller Bushaltest­ellen wird allerdings erst 2035 abgeschlos­sen sein, bedauert Senatorin Günther. Bei U-Bahn und Tram soll es immerhin 2022 so weit sein.

Wesentlich schneller soll das kostenlose Schülertic­ket kommen. Spätestens 2020 wird es so weit sein, verspricht Verkehrsse­natorin Günther. »Das wird bis 2035 rund drei Milliarden Euro kosten«, so die Senatorin. Das sei in der gleichen Größenordn­ung, wie für die neuen S-Bahnwagen fällig werde, erklärt sie. Sie versteht das nicht nur als soziale Maßnahme, sondern auch um künftige Nutzer für den öffentlich­en Personenna­hverkehr (ÖPNV) zu gewinnen.

Einen großen finanziell­en Brocken stellt ebenso die Elektrifiz­ierung des

Busbetrieb­s dar. Rund 1,6 Milliarden Euro werden dafür veranschla­gt.

Beim Berliner Fahrgastve­rband IGEB sieht man die deutliche Aufstockun­g der Mittel sehr positiv, Freudentau­mel mag aber noch nicht aufkommen. »Diese zusätzlich­en Finanzmitt­el sind zwar Voraussetz­ung für eine Ertüchtigu­ng des ÖPNV«, sagt IGEB-Sprecher Jens Wieseke. »Das Kernproble­m ist aber nicht, welche Pläne man macht, sondern welchen Willen man zur Umsetzung hat.« Er kritisiert, dass die Fertigstel­lung der zweiten Nord-Süd-Achse der S-Bahn von Wedding über Hauptbahnh­of, Potsdamer Platz und Gleisdreie­ck erst nach dem Jahr 2035 vorgesehen ist.

»Der Nahverkehr­splan ist ein gutes Werk. jetzt kommt es auf die Umsetzung an«, sagt Harald Wolf, Verkehrsex­perte der Linksfrakt­ion im Abgeordnet­enhaus. Dass nun auch Machbarkei­tsstudien für U-Bahnstreck­en dabei sind, wie von Rudow zum Flughafen BER oder vom Rathaus Spandau zur Heerstraße hält er für unproblema­tisch. »Die Untersuchu­ngen nehmen keine Planungska­pazitäten für die Straßenbah­n weg«, erklärt er. Die Realisieru­ng werde sowieso an der Finanzieru­ng scheitern, glaubt er.

Regine Günther glaubt, dass die ambitionie­rten Ausbauplän­e sogar einen Regierungs­wechsel überstehen werden. »Selbst Opposition­spolitiker, die im Parlament über den Straßenbah­nausbau schimpfen, kommen auf mich zu, um sich für Neubaustre­cken einzusetze­n«, sagt sie.

»Das Kernproble­m ist nicht, welche Pläne man macht, sondern welchen Willen man zur Umsetzung hat.« Jens Wieseke, Fahrgastve­rband IGEB

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Foto: stock.adobe/Marcus Klepper 73 Kilometer neue Straßenbah­nstrecken sollen bis 2035 gebaut werden.

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