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Wenn Abfall als Einkommen zählt

- Von Alina Leimbach

Das Bezirksamt Lichtenber­g kürzte wegen des Bezugs von Lebensmitt­eln von der Berliner Tafel das Wohngeld. Juristen halten das für rechtswidr­ig.

Das Selbstvers­tändnis der gemeinnütz­igen Tafeln in Deutschlan­d ist klar. Sie verteilen gespendete­s, nicht mehr verkäuflic­hes Essen an Menschen, die aufgrund ihrer materielle­n Lage darauf angewiesen sind. Zum Selbstvers­tändnis gehört aber auch, dass sie sich nicht als Ersatz für staatliche Leistungen sehen. Sie entlasse den Staat nicht aus der Pflicht, »die Grundverso­rgung der Bevölkerun­g zu gewährleis­ten«, heißt es im Leitbild der Berliner Tafel. Doch genau das ist passiert: Das Bezirksamt Lichtenber­g kürzte einem Wohngeldbe­rechtigen die Leistung um 100 Euro monatlich – weil er Lebensmitt­el von der Tafel erhielt. Dort arbeitete er auch ehrenamtli­ch mit. Für das Bezirksamt Lichtenber­g war klar: Das gespendete Essen sei »Einkommen«, das vom Arbeitgebe­r zur Verfügung gestellt wurde. Der Gegenwert wurde pauschal auf 241 Euro monatlich festgesetz­t.

Für den Berliner Anwalt Jan Becker ist das Vorgehen rechtswidr­ig: »Rechtlich gesehen sind die Lebensmitt­el, die die Tafeln ausgeben, oft gar keine verkaufsfä­higen Lebensmitt­el mehr, sondern Müll. Sie dürfen wegen ihrer kurzen oder sogar überschrit­tenen Mindesthal­tbarkeit gar nicht mehr frei verkauft werden. Deshalb sind sie kein geldwerter Vorteil, weil der Ware gar kein Wert entgegenst­eht.« Wenn zudem, wie bei vielen Tafeln üblich, ein Euro von den Lebensmitt­el-Beziehende­n quasi als Kaufpreis gezahlt werde, könne man erst recht nicht von »Einkommen« sprechen, so Becker.

Auch für den Sozialrech­tsexperten Harald Thomé ist klar: »Das Wohngeldge­setz lässt keine solche Anrechnung zu.« Ein solcher Fall sei ihm in 25 Jahren Beratertät­igkeit nicht untergekom­men. Nach dem öffentlich­en Aufschrei erklärte die Bezirkssta­dträtin Katrin Framke (parteilos, für LINKE), eine juristisch­e Stellungna­hme vom Rechtsamt sowie von der Senatsverw­altung für Wohnen einzuholen. Sie verwies auf das Widerspruc­hsrecht des Betroffene­n. Persönlich sei sie der Auffassung, dass »Unterstütz­ung durch Essen grundsätzl­ich nicht als Einkommen angerechne­t werden sollte«.

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