Wenn Abfall als Einkommen zählt
Das Bezirksamt Lichtenberg kürzte wegen des Bezugs von Lebensmitteln von der Berliner Tafel das Wohngeld. Juristen halten das für rechtswidrig.
Das Selbstverständnis der gemeinnützigen Tafeln in Deutschland ist klar. Sie verteilen gespendetes, nicht mehr verkäufliches Essen an Menschen, die aufgrund ihrer materiellen Lage darauf angewiesen sind. Zum Selbstverständnis gehört aber auch, dass sie sich nicht als Ersatz für staatliche Leistungen sehen. Sie entlasse den Staat nicht aus der Pflicht, »die Grundversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten«, heißt es im Leitbild der Berliner Tafel. Doch genau das ist passiert: Das Bezirksamt Lichtenberg kürzte einem Wohngeldberechtigen die Leistung um 100 Euro monatlich – weil er Lebensmittel von der Tafel erhielt. Dort arbeitete er auch ehrenamtlich mit. Für das Bezirksamt Lichtenberg war klar: Das gespendete Essen sei »Einkommen«, das vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt wurde. Der Gegenwert wurde pauschal auf 241 Euro monatlich festgesetzt.
Für den Berliner Anwalt Jan Becker ist das Vorgehen rechtswidrig: »Rechtlich gesehen sind die Lebensmittel, die die Tafeln ausgeben, oft gar keine verkaufsfähigen Lebensmittel mehr, sondern Müll. Sie dürfen wegen ihrer kurzen oder sogar überschrittenen Mindesthaltbarkeit gar nicht mehr frei verkauft werden. Deshalb sind sie kein geldwerter Vorteil, weil der Ware gar kein Wert entgegensteht.« Wenn zudem, wie bei vielen Tafeln üblich, ein Euro von den Lebensmittel-Beziehenden quasi als Kaufpreis gezahlt werde, könne man erst recht nicht von »Einkommen« sprechen, so Becker.
Auch für den Sozialrechtsexperten Harald Thomé ist klar: »Das Wohngeldgesetz lässt keine solche Anrechnung zu.« Ein solcher Fall sei ihm in 25 Jahren Beratertätigkeit nicht untergekommen. Nach dem öffentlichen Aufschrei erklärte die Bezirksstadträtin Katrin Framke (parteilos, für LINKE), eine juristische Stellungnahme vom Rechtsamt sowie von der Senatsverwaltung für Wohnen einzuholen. Sie verwies auf das Widerspruchsrecht des Betroffenen. Persönlich sei sie der Auffassung, dass »Unterstützung durch Essen grundsätzlich nicht als Einkommen angerechnet werden sollte«.