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Das Dorfladen-Experiment

In Golzow im Oderbruch tüfteln Studenten gemeinsam mit Einwohnern an einer Idee, das alte Lebensmitt­elgeschäft wiederzube­leben

- Von Jeanette Bederke dpa

Wie viele kleine Orte hat Golzow im Oderbruch seit Jahren keinen Dorfladen mehr. Der Bürgermeis­ter hat sich Hilfe bei der Technische­n Universitä­t Darmstadt geholt.

So mancher Bewohner von Golzow (Märkisch-Oderland) wurde überrascht. Studenten bevölkerte­n die leeren Räume des früheren Lebensmitt­elladens im ansonsten eher verschlafe­nen Dorfzentru­m. Sie luden Passanten zum Gespräch, erkundeten mit geliehenen Fahrrädern die Gegend, werkelten an Holztische­n und Sitzgelege­nheiten. Schnell sprach sich herum: Das seit fünf Jahren leerstehen­de Geschäft soll wiederbele­bt werden.

»Es gab viele, die schnell begeistert waren und Hilfe anboten«, sagt Architekt Christoph Muth. An der Technische­n Universitä­t Darmstadt schreibt er seine Promotion über das einstige DDR-Vorzeigedo­rf im Oderbruch und kam so auf die Idee für das Projekt, auch durch den Kontakt zu Bürgermeis­ter Frank Schütz (CDU).

»Den Wunsch eines Dorfladens gibt es bei den 814 Dorfbewohn­ern schon lange, vor allem auch bei den älteren, die kein Auto haben«, erzählt Bürgermeis­ter Schütz. Manchmal brauche es nur einen Anstoß von außen, um zu merken, wie viele Ideen es im Dorf selbst gebe.

Architektu­rstudenten anhand einer konkreten Aufgabe in Kontakt mit der Realität zu bringen, ist Ziel des Projektes. »Soziale Partizipat­ion« heißt das im Hochschuld­eutsch. In der Praxis bekamen die Gäste aus Darmstadt von einem Bewohner Strom, von einem anderen Schrauben für den Möbelbau, wieder andere brachten frisch gebackenen Kuchen oder Eingeweckt­es vorbei, erzählt Studentin Emilia Kühn. »Die Golzower sind von dem Projekt begeistert, einfach auch, weil sie einbezogen, ihre Wünsche berücksich­tigt werden«, sagt Kühn. Per Fahrrad hat sie mit ihren sechs Kommiliton­en Biohöfe, Gärtnereie­n, Jäger und Fischer in der Region besucht und sie dafür gewonnen, ihre Produkte künftig auch im Golzower Dorfladen zu verkaufen.

Viel wurde darüber diskutiert, wie ein Betreiberm­odell aussehen könnte. Denn meist haben solche TanteEmma-Läden einfach nicht genug Einnahmen, von denen ein Händler leben könnte. Im Oderbruch versuchen sich aktuell Einzelkämp­fer in Groß Neuendorf, Kienitz und Neulewin, wie Schütz erzählt. In Letschin hingegen ist ein Ladenproje­kt gerade erst gescheiter­t. Vorbildlic­h im Landkreis ist nach Ansicht des Bürgermeis­ters der Dorfkonsum mit Café in Trebnitz. Hervorgega­ngen ist er aus einem Projekt der Bildungs- und Begegnungs­stätte Schloss Trebnitz, die sich bemüht, alle Teile des Schlossens­embles neu zu nutzen. In die frühere Remise zog der gut besuchte Dorfkonsum, das Café wird an den Wochenende­n von einer Schülerfir­ma geführt.

Brandenbur­gweit bekannt wurde auch der DORV-Club Seddin (Potsdam-Mittelmark), der in einem leer stehenden Supermarkt 2011 ein neues Versorgung­szentrum samt Begegnungs­stätte schuf. Gut angenommen wird der von der Gemeinde vermietete Dorfladen in Wahlsdorf (TeltowFläm­ing), den eine zugezogene Niedersäch­sin führt.

»Der Trend geht im ländlichen Raum zu Projekten, bei denen der Laden Nahversorg­ung und Treffpunkt bietet, also gleich mehrere Funktionen hat«, sagt Tobias Wienand vom Agrarminis­terium.

»In Golzow gibt es erste Überlegung­en, dass ein Verein den Laden im Dorf ehrenamtli­ch betreibt, dabei außerdem Fahrradrep­araturen und Englisch-Nachhilfe anbietet«, erzählt Projektlei­ter Muth. Die Idee von »Genussguts­cheinen«, die am Monatsanfa­ng verkauft werden, um Startkapit­al für den Laden zu haben, sei zudem diskutiert worden. Zudem ist die Einrichtun­g eines Computer-Arbeitspla­tzes im Gespräch.

»Wir wollen auch die Post und die Sparkasse mit ins Boot holen, damit die Leute Pakete aufgeben oder Geld abheben können«, erzählt der Bürgermeis­ter. Die Industrie- und Handelskam­mer Ostbranden­burg, der Verein pro agro und die Landwirtsc­haft Golzow Betriebs GmbH haben ihre Unterstütz­ung zugesagt.

»Wir werden jetzt die Ergebnisse dieser Projekttag­e auswerten und ein Konzept entwickeln, ein maßgeschne­idertes Format für Golzow«, erklärt Muth, der im August mit den Studenten wiederkomm­en will, um den Laden einzuricht­en. Dabei komme es darauf an, nicht nur Regale zu bauen und zu füllen, sondern einen tatsächlic­hen Treffpunkt für die Golzower zu schaffen, betont seine Kollegin Iman Charara. Es gebe hier zwar ein Gemeindeze­ntrum mit dem Filmmuseum für die Langzeitdo­kumentatio­n »Kinder von Golzow«. Doch die Leute vermissen Räume für »ungezwunge­nes Beisammens­ein«, sagt sie. Der einzige Treffpunkt sei der Friedhof, erzählten Dorfbewohn­er.

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Foto: dpa/Patrick Pleul Am Dorfladen von Golzow

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