Mackermusiksängerin
Mit ihren ersten Auftritten auf feministischen Partys hat Choco viele Mittels chichts feministinnen schockiert. Reggaeton war als stumpf und mackrig verpönt
Choco ist mit Reggaeton aufgewachsen. Bei Feministinnen kam ihre Musik erst nicht gut an, jetzt wird sie gefeiert.
Choco von Chocolate Remix empfängt mich in ihrem Viertel La Boca in Buenos Aires. Nachbar*innen grillen in der Nachmittagssonne auf dem Gehweg, Hunde streunen umher, und aus einer kleinen Kneipe dudeln Tangoklassiker. Man kennt und grüßt sich. Das ehemalige Hafenviertel ist vor allem berühmt für seine improvisierten Häuser mit den bunten Fassaden – bunt, weil alte Containerwellbleche. Außerhalb eines kleinen, für Touristen aufgepeppten Teils hat das Viertel aber einen eher verwegenen Ruf. Bei Matetee und mit Blick auf die vorbeiziehenden Frachtschiffe erzählt Choco, welchen Einfluss das Leben im Barrio auf ihren Feminismus hat und was unser Bild von Reggaeton über soziale Klassen aussagt.
Dein Feminismus beginnt mit Reggaeton. Wie passt das zusammen? Reggaeton ist die Musik, mit der ich aufgewachsen bin. Und im Reggaeton geht es um Sex. Erstmal ein gutes Thema. Nur funktioniert das Reden über Sex im Reggaeton klassischerweise so, dass ein Hetero-Cis-Typ erklärt, was Frauen wollen. Dabei wird er von Tänzerinnen umrundet, die nur der Dekoration dienen, die nie selbst eine Stimme haben, die nie ausdrücken, was ihnen wirklich gefällt. Ich dachte mir: Gut, let’s talk about sex. Und zwar über lesbischen Sex und darüber, wie Frauen untereinander ihre Lust definieren. Der Rhythmus des Reggaeton an sich ist weder machistisch noch feministisch. Es kommt darauf an, was wir daraus machen.
Dein Zugang zu Feminismus war also kein theoretischer?
Nein, gar nicht. Ich bin in Tucumán in einer Familie aus der unteren Mittelschicht aufgewachsen. Über Feminismus wurde in Argentinien bis vor Kurzem nur in sehr begrenzten akademischen Kreisen gesprochen. Auf jeden Fall nicht bei uns im Barrio in der Provinz. Aber ich habe mich schon sehr früh in der Öffentlichkeit als Lesbe gezeigt, bin als Lesbe auf Reggaeton-Partys gegangen, und alle Nicht-Heteros wissen, was das bedeutet: dass damit deine ganze Existenz politisch ist. In dieser Zeit entstand auch mein Spitzname Choco, eine Anlehnung an den Begriff »torta«, der hier in Argentinien für Lesben benutzt wird. Meine Auseinandersetzung mit Feminismus begann über die Musik und mit Chocolate Remix. Und deine Musik hat anfangs ziemlich mit den Vorstellungen akademischer Feminist*innen geclasht.
Genau, mit meinen ersten Auftritten auf feministischen Partys habe ich viele Mittelschichtsfeministinnen schockiert. Reggaeton war an der Uni oder in Politkontexten als stumpf und mackrig verpönt. Ich wurde als antifeministisch kritisiert, weil ich mit Tänzerinnen in sexy Outfits auftrat. Frauen in Hotpants wurden direkt als Opfer des Patriarchats abgestempelt, die nicht checken, dass sie nur noch Sexobjekte sind. Alles Erotische und »Feminine« war aus feministischen Kontexten verbannt. Ich fand, dass diese Logik zu kurz greift. Sexualisierte Körper sind für mich nichts per se Schlechtes. Schlecht ist, wie diese sexualisierten Körper vom Patriarchat vereinnahmt werden. Meine damalige Partnerin war eine der Tänzerinnen bei diesen Auftritten. Und wenn ich sie und ihre Freundinnen im Barrio tanzen sah, dann war das für mich ein krasser Ausdruck von Macht und Selbstbestimmung über den eigenen Körper.
Mittlerweile trittst du auf ungefähr jeder feministischen Party in Buenos Aires auf. Wie kam es dazu? Haha. Mittlerweile haben Theoretiker*innen die Situation analysiert und sagen, okay, Reggaeton kann auch feministisch sein, und plötzlich heißt das, was wir immer gemacht haben, Bodypositivity. Diese unterschiedlichen Auffassungen von Empowerment haben auf jeden Fall etwas mit sozialen Klassen zu tun. Reggaeton war seit den 90ern das Mittel des kulturellen Ausdrucks der Arbeiter*innenklasse. Für Akademiker*innen, die zur Uni gehen, ist es eben nicht erstrebenswert, in Hotpants die Partys im Barrio zu rocken.
Im vergangenen Jahr wurdest du mit dem Vorwurf der kulturellen Aneignung konfrontiert, weil du als weiße Frau einen Musikstil vertrittst, der ursprünglich aus den afrokaribischen Communitys kommt. Wie stehst du heute zu dieser Kritik?
Ich kannte zum Zeitpunkt der Kritik das Konzept der kulturellen Aneignung nicht und musste mich erst damit auseinandersetzen. Es stimmt, über Rassismus wird in Argentinien kaum gesprochen. Der Begriff des »negro« (»Schwarzer«, Anm. der Red.) wird in Bezug auf einkommensschwache Gruppen benutzt. So habe ich den Begriff auch im Song »Como me gusta a mi« verwendet. Und heute stimme ich der Kritik zu: Dass Schwarzsein ein Synonym von Armsein ist, zeigt, wie tief verankert der Rassismus in unserer Gesellschaft ist. Ich habe mich daher entschieden, den Songtext zu verändern. Ich hoffe, dass die Diskussion um meinen »Fall« dazu beitragen kann, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Schwarzen Communitys in Argentinien größtenteils in superprekären Verhältnissen leben. Ganz konkret im Feld der Musik müssen wir uns nicht nur über die Repräsentation von FLTIQ*-Personen Gedanken machen, sondern genauso schauen, wie Künstler*innen aus der AfroCommunity Zugang zu Festivals und zur Produktion von Musik haben können.
Aber du machst weiter Reggaeton?
Das ist natürlich eine Riesendebatte. Wer darf welche Musik machen, wer darf sich was aneignen, wer darf sich mit welcher Identität bezeichnen? Ich verstehe, dass die Kritik und das Aufzeigen von kultureller Aneignung wichtig sind, um auf die historische Ungerechtigkeit hinzuweisen, der Schwarze Communitys ausgesetzt sind. Und ich bin mir bewusst, dass ich weiß bin und daher mit vielen Privilegien durchs Leben gehe. Aber ich muss nur meine Eltern anschauen, um zu wissen, dass ich auch indigene Vorfahren habe. Und ehrlich gesagt, sobald es biologistisch wird, finde ich die Argumentation verkürzt. Ich bin in einem Kontext aufgewachsen, wo Reggaeton die Musik war, die meine Identität geprägt hat und im kolonialen Kontext von Argentinien habe ich keine andere Musik, die mich mehr repräsentieren würde.
Insgesamt werden gerade in Argentinien viele Dinge in Frage gestellt, die »früher normal« waren. Feministische Themen werden mittlerweile in allen Fernsehtalkshows behandelt, es wird offen über die Legalisierung von Abtreibung gesprochen, Frauen und Queers wehren sich gegen dumme Sprüche auf der Straße. Einer deiner Songs heißt »Ni una menos«, »Nicht eine weniger«. Was bedeuten die feministischen Mobilisierungen gegen Femizide und Gewalt an Frauen der letzten Jahre für dich?
Ich habe das Lied nach der ersten »Ni una Menos«-Demo 2016 geschrieben. Diese Demo markiert auf jeden Fall einen historischen Moment, einen Paradigmenwechsel. Eine so breite politische Bewegung, deren Forderungen Eingang in politische Agenden und die Medien finden, hat es in Argentinien lange nicht gegeben. Und diese Bewegung geht über die akademischen Kreise hinaus. Feminismus ist gerade das Thema, das Jugendliche politisiert. An jeder Straßenecke sieht man 14-Jährige mit dem grünen pañuelo (»Tuch«, »Kopftuch«,
Anm. der Red.), dem Symbol für die Legalisierung von Abtreibungen. Das ist großartig.
Neben Liveauftritten legst du auch auf, gerade um den 8. März herum hattest du Gigs auf allen möglichen feministischen Partys. Läuft bei diesen Partys auch Mackerreggaeton?
Auf jeden Fall! Ich versuche es so zu sehen: Das ist eben die musikalische Aufmachung der Zeit, in die ich hineingeboren wurde. Musikalisch finde ich vieles großartig, die Reime, den Flow des Freestyles, auch wenn es Macker sind. Ich habe Riesenkapazitäten, das auszublenden, was mich nicht interessiert. Und man kann alles umdeuten. Es gibt Partys, auf denen kein einziger Typ ist und ein Haufen Frauen und Queers eignen sich die Musik an, um auf ihre Art sexy miteinander zu tanzen und sich zu empowern. Das ist wie die Steine, die das Patriarchat auf uns werfen wollte, mit einer Zwille zurückzuschießen.