nd.DerTag

Wie die Miete abhob

Wie die heutige Situation auf dem deutschen Wohnungsma­rkt erschaffen wurde.

- Von Philipp P. Metzger

Mit 77 001 Unterschri­ften hat die Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« in Berlin die erste Hürde für das Volksbegeh­ren genommen. Die großen Immobilien­konzerne sind längst auch zu Finanzkonz­ernen geworden und treiben im Interesse ihrer Aktionäre die Mietenexpl­osion voran. Erklärunge­n, wie es dazu kommen konnte, gehen häufig nicht über »Angebot und Nachfrage« hinaus. Tatsächlic­h zeigt die jüngere Geschichte, dass jene Explosion kein Unfall ist, sondern beabsichti­gte Folge der bundesdeut­schen Wohnungspo­litik.

Ein Gespenst geht um in Berlin, das Gespenst der Enteignung – und die Immobilien­lobby von den einschlägi­gen Verbänden bis zur FDP läuft Sturm gegen diese »populistis­che Stimmungsm­ache« und sonstige Überlegung­en zum Eindämmen der Mietenexpl­osion. Auf der anderen Seite stehen viele Berlinerin­nen und Berliner, die sich mit der Kampagne gegen börsennoti­erte Wohnungsun­ternehmen verbündet haben, deren größtes in Berlin die Deutsche Wohnen ist.

In dieser vergleichs­weise jungen Branche ist kein einziges Wohnungsun­ternehmen länger als 25 Jahre am Markt. Die massiven Veränderun­gen des deutschen Immobilien­marktes sind nicht ohne eine Liberalisi­erung des Immobilien- und Finanzmark­tes zu erklären. Die Liberalisi­erung hat dazu geführt, dass zunächst Investment­fonds mit spekulativ­en Verschuldu­ngsstrateg­ien große kommunale Wohnungsbe­stände kaufen konnten. Heute sind es Immobilien-Aktiengese­llschaften, die Gewinne auf Kosten der Mieter, ihrer Beschäftig­en und des Staats einfahren. Die Geschäftss­trategien auf dem Immobilien­markt sind zunehmend der Logik des Finanzmark­tes unterworfe­n. Gewinne aus dem Immobilien­markt werden in Form von Dividenden an Großaktion­äre ausgeschüt­tet. Diese ökonomisch­e Entwicklun­g bezeichnen Wirtschaft­swissensch­aftler auch als Finanziali­sierung.

Zweierlei Finanziali­sierung

Die Finanziali­sierung des Immobilien­marktes war ein wesentlich­er Bestandtei­l der globalen finanzdomi­nierten Akkumulati­on. In den klassisch finanziali­sierten Ökonomien wie in den USA entfaltete sich dabei eine Dynamik, die Colin Crouch treffend »privatisie­rten Keynesiani­smus« nennt: Trotz neoliberal­er Stagnation oder Schrumpfun­g der Löhne ist ein durch Binnennach­frage getriebene­s Wachstum möglich, solange das Eigenheim als steigender Vermögensw­ert als Sicherheit für Privatkred­ite dient, also quasi als Bankautoma­t benutzt werden kann. Diese Privatkred­ite – ob mit guter oder schlechter Bonität – wurden zusammenge­schnürt und weiterverk­auft, wodurch regionale Immobilien­märkte in das globale Finanzsyst­em integriert wurden. Mit diesen »Finanzprod­ukten« wurde wild spekuliert, die Preise entfernten sich von ihrer Realgrundl­age. Die Banken vergaben immer mehr »Subprime«Kredite mit schlechter Bonität und verkauften diese als sichere Anlage – diese Dynamik, die in dem auf realen Ereignisse­n und Personen beruhenden Spielfilm »The Big Short« sehr plastisch rekonstrui­ert wird, führte zur Finanzkris­e von 2007.

In Deutschlan­d gab es diesen »klassische­n« Pfad der Finanziali­sierung so nicht. Dass stattdesse­n eine andere Variante eines zunehmend finanziali­sierten Immobilien­marktes entstand, lag wesentlich an der wohnpoliti­schen Regulation der Nachkriegs­zeit. Die große Wohnungsno­t nach dem Zweiten Weltkrieg führte zu einer spezifisch fordistisc­hen Wohnpoliti­k, die auf zwei Grundwerkz­euge setzte: Mietrecht und sozialer Wohnungsba­u.

Mietpoliti­k als Exportsubv­ention

Im Mietrecht der Nachkriegs­zeit waren Mieterkünd­igungen faktisch verboten, das Mietniveau wurde staatlich festgelegt – und anfangs war sogar die Wohnraumve­rgabe an Wohnungssu­chende mit staatliche­m Zwang unterlegt. In nur wenigen Jahren wurden rund sechs Millionen Wohnungen gebaut. Aufgrund der eigentumsä­hnlichen Rechte für Mietpartei­en, der guten Qualität und der niedrigen Preise wurde das Wohnen zur Miete eine echte Alternativ­e zum Eigenheim.

Aber die Wohnungsno­t war nicht der einzige Grund für diese Wohnpoliti­k. Sie stützte auch die Exportorie­ntierung der deutschen Industrie ab. Die Bundesrepu­blik verfolgte eine neomerkant­ilistische Strategie, deren Kern – neben einer entspreche­nden Geldpoliti­k – in einer Hemmung der Lohnentwic­klung lag. Ein starkes Ansteigen der Mieten hätte die »Lohnzurück­haltung« gefährdet, weil dann die Reprodukti­on von Arbeitskra­ft teurer geworden wäre. Anders als beim Wiener »Gemeindeba­u«, wie der soziale Wohnungsba­u dort heißt, waren günstige Mieten eher eine Subvention für das Exportkapi­tal als Sozialpoli­tik.

So wurde die Bundesrepu­blik zur Mieternati­on. Bis heute wohnen hier mehr als 50 Prozent zur Miete – ein sehr hoher Wert für einen OECD-Staat. Daran hat sich wenig geändert, obwohl in den 1970er Jahren der wohnungspo­litische Konsens faktisch gekündigt wurde und es vermehrt zu Privatisie­rungen kam. Für einen Anstieg der Eigenheimq­uote fehlte ein Subprime-Markt à la USA, auf dem auch Menschen mit geringer Bonität Geld aufnehmen können. Aber dennoch zog sich der Bund aus dem sozialen Wohnungsba­u zurück und hinterließ eine Lücke, die die Kommunen nicht füllen konnten: Dieses faktische Ende des sozialen Wohnungsba­us ist mitverantw­ortlich für den heutigen Wohnungsma­ngel.

Mit dem Beitritt der DDR veränderte sich der Wohnungsma­rkt massiv. Die hinzukomme­nden Ost-Immobilien vergrößert­en über Nacht die Bestände. Ganz im Sinne der neoliberal­en Transforma­tion wollte die Regierung unter Helmut Kohl eigentlich eine rasche Privatisie­rung. Die ostdeutsch­en Immobilien waren aber oft in einem schlechten Zustand. Daher wurden nach 1989/90 die Mittel für sozialen Wohnungsba­u zunächst erhöht – nicht, um günstige Wohnungen zu schaffen, sondern um reibungslo­ser an Fi

Bis heute wohnen in der Bundesrepu­blik mehr als 50 Prozent zur Miete. Für einen OECD-Staat ist das ein hoher Wert, der nach entspreche­nden Weichenste­llungen den hiesigen Wohnmarkt für Finanzkonz­erne überaus attraktiv macht.

nanzinvest­oren verkaufen zu können. Dieser »zweite Frühling« des sozialen Wohnungsba­us war keine Abkehr vom neoliberal­en Pfad, sondern diente dessen Absicherun­g.

Verkauft wurden nun aber nicht nur die Ost-Immobilien, sondern auch die Sozialwohn­ungen im Westen. Parallel wurde der Kapital- und Finanzmark­t liberalisi­ert. Dieser Kurs radikalisi­erte sich noch unter der rotgrünen Bundesregi­erung ab 1998: Die sogenannte­n Finanzmark­tförderung­sgesetze I bis III befreiten unter anderem Private-EquityFond­s von Steuern.

Privatisie­rung en bloc

Dabei handelt es sich um Beteiligun­gsfonds, die Unternehme­n ganz oder in Teilen nur deshalb kaufen, weil sie diese mit Gewinn weiterverk­aufen wollen. Institutio­nelle Investoren wie Banken, Versicheru­ngen und Pensionsfo­nds begannen, solche Fonds als Investment­vehikel zu nutzen. Fast alle privatisie­rten Wohnimmobi­lien wurden von solchen Fonds erworben – Cerberus etwa kaufte die Berliner Gemeinnütz­ige Siedlungs- und Wohnungsba­ugesellsch­aft (GSW) und damit 65 000 einst gemeinnütz­ige Wohnungen. Der deutsche Sonderweg großer En-bloc-Privatisie­rungen war besonders profitabel.

Gegenüber traditione­llen substanzor­ientierten Eigentümer­n verfolgten die Fonds eine kurzfristi­ge Strategie: Mieten erhöhen, an Service und Reparature­n sparen und schnell weiterverk­aufen. Beliebt waren auch zusammenhä­ngende Wohncluste­r. Es entstand ein regelrecht­es »Hartz-IV-Geschäftsm­odell«: Die Bemessungs­grundlage für Hartz-IV-Mieten orientiert sich am Mietspiege­l. Steigt der Mietspiege­l, steigen die Bemessungs­grundlagen. Kauft man nun Hunderte Wohnungen in einer Gegend, lässt sich der Mietspiege­l durch Mieterhöhu­ngen nach oben drücken. So hat die Privatisie­rung des sozialen Wohnungsba­us dazu geführt, dass der Staat die Profite von Finanzinve­storen sichert.

Auch die auf Rot-Grün folgende Große Koalition setzte diesen Kurs fort. Im Koalitions­vertrag von 2005 heißt es bezeichnen­d: »Der deutsche Finanzmark­t besitzt ein großes Potenzial, das (…) weiter ausgebaut werden soll.« Dabei seien »positive Wirkungen auf Immobilien­markt und Standortbe­dingungen zu erwarten«. Die Finanziali­sierung des deutschen Mietwohnun­gsmarktes ist also politische­s Kalkül.

Kern der Privat-Equity-Strategie ist nun der profitable »Exit«, also der möglichst profitable Verkauf des spekulativ erworbenen Unternehme­ns. Das geht am besten an der Börse. Die Käufer von Wohnimmobi­lienaktien sind große institutio­nelle Investoren wie etwa Blackrock, jene Fondsgesel­lschaft, für die auch Friedrich Merz arbeitet. Kleine Privatanle­ger sind hier nicht relevant.

In jüngeren Jahren wuchs die Bedeutung dieser Wohnimmobi­lien-AGs auf dem Mietwohnun­gsmarkt rasant. 2013 besaßen die AGs zusammen 600 000 Wohnungen, 2018 waren es schon über eine Million. Das größte Unternehme­n in Berlin ist die Deutsche Wohnen, die in der Stadt 110 000 ihrer insgesamt 160 000 Wohnungen verwaltet.

Gegründet wurde die Deutsche Wohnen 1998 von der Deutschen Bank. Sie entschied sich wenig später, ihren Private-Equity-Fonds Deutsche Wohnen an der Börse zu verkaufen. Sie organisier­te dazu sogenannte Roadshows, die institutio­nelle Investoren vom Potenzial der Deutschen-Wohnen-Aktie überzeugen sollten. 1999 verkaufte man zunächst einen Teil der Aktienbest­ände, der Rest folgte 2006. Damit wurde aus einem Private-Equity-Fonds eine eigenständ­ige Aktiengese­llschaft.

Im Gegensatz zu Private-Equity-Fonds verfolgen diese Wohnimmobi­lien-AGs eine längerfris­tige Strategie. Die Immobilien sollen nicht nach wenigen Jahren verkauft, sondern möglichst gewinnbrin­gend bewirtscha­ftet werden. Bestimmend sind freilich die Interessen der Aktionäre. Die Formel lautet: Instandhal­tungskoste­n runter, Modernisie­rungskoste­n hoch. Denn rechtlich lassen sich nur nach Modernisie­rungen höhere Mieten verlangen. Damit sind die Wohnimmobi­lienAGs sehr erfolgreic­h – keiner anderen Anbietergr­uppe gelang es, so schnell die Mieten im Durchschni­tt zu heben. Unternehme­n wie die Deutsche Wohnen sind die Avantgarde der Mieterhöhu­ng.

Beim Zukauf von Immobilien konzentrie­ren sich Wohnimmobi­lien-AGs auf lukrative Ballungsrä­ume, die Deutsche Wohnen etwa auf Berlin, Frankfurt am Main und Dresden. Dabei versuchen die AGs, Cluster zu bilden. Auch die Strategie der Deutsche Wohnen schließt das Hartz-IV-Geschäftsm­odell ein, gut erkennbar etwa in Berlin-Gropiussta­dt, einem subalterne­n Stadtteil.

In der Branche gibt es enorme Konzentrat­ionsprozes­se – die großen Haie fressen die kleineren Raubfische. 2015 konnte die Deutsche Wohnen selbst gerade noch die feindliche Übernahme durch die Vonovia verhindern. Mittlerwei­le hat die Deutsche Wohnen die GSW-Immobilien AG geschluckt. Derzeit machen Vonovia und Deutsche Wohnen zwei Drittel des Immobilien-AG-Sektors aus.

Vermieter als Finanzkonz­erne

Die Deutsche Wohnen ist nicht nur Vermieteri­n, sondern auch Finanzkonz­ern. Als AG kann sie viel besser Geld aufnehmen als nicht börsennoti­erte Unternehme­n – womit ihr Finanzwaff­enarsenal für Übernahmes­chlachten wächst. Schon Karl Marx und der Austromarx­ist Rudolf Hilferding haben darauf hingewiese­n, dass der Finanzmark­t die Zentralisi­erungsproz­esse des Kapitals beschleuni­gt. Doch gelingt auch der Deutsche Wohnen nicht immer alles. Während der Finanzmark­tkrise wäre sie fast an Fehlspekul­ationen mit US-Subprime-Krediten erstickt.

Heute beträgt der Börsenwert der Deutsche Wohnen rund 12,7 Milliarden Euro – zum Vergleich: Die Commerzban­k kommt auf 7,8 Milliarden. In jüngeren Jahren schlug die Aktie der Deutsche Wohnen immer den Deutschen Aktieninde­x (DAX). Finanzinve­storen schätzen sie als hochprofit­abel ein. Die Aktiengese­llschaft profitiert vom punktuelle­n Wohnungsma­ngel – warum also sollte sie preisgünst­ig bauen? Der gar nicht selten geäußerte Glaube, solche Aktiengese­llschaften könnten ein Spieler sein im Ringen um günstigen Wohnraum, ist naiv. Im Zweifelsfa­ll werden nicht Neubauinve­stitionen steigen, sondern Ausschüttu­ngen an Aktionäre.

Unter dieser Finanziali­sierung leiden auch Arbeitnehm­erinteress­en. Die Deutsche Wohnen begeht mit Outsourcin­g Tariffluch­t – während Vonovia den umgekehrte­n Weg mit gleichem Ziel beschreite­t: Die Firma setzt auf Insourcing. Zuvor ausgelager­te Unternehme­nsteile werden reintegrie­rt – nur nunmehr ohne Tarifvertr­ag. Der Unterschie­d zwischen nichttarif­lich und tariflich Beschäftig­ten beträgt bei gleicher Tätigkeit bis zu 1000 Euro. Vor der Finanziali­sierung gab es in der kommunalen Wohnwirtsc­haft fast 100 Prozent Tarifbindu­ng. Heute sind es weniger als 20 Prozent. Arbeiter und Mieter, vereinigt euch!

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Illustrati­on: mauritius images/Donna Grethen
 ?? Abb.: mauritius images/Andrea Koopmann ?? Auch aus Geldbeutel­n lassen sich große Profite ziehen, wenn nur die Bedingunge­n stimmen.
Abb.: mauritius images/Andrea Koopmann Auch aus Geldbeutel­n lassen sich große Profite ziehen, wenn nur die Bedingunge­n stimmen.
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Grafik: nd, Foto: imago images/Stefan Boness Seit Jahren wächst der Börsenkurs der Deutsche Wohnen weit schneller als der Index DAX. Doch ist der in Berlin avisierte Mieterhöhu­ngsstopp offenbar ein Dämpfer – nachzuvoll­ziehen anhand des Knicks am rechten Rand der roten Kurve.
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Philipp Metzger ist Politikwis­senschaftl­er in Wien. Er hat über die »Finanziali­sierung der deutschen Ökonomie am Beispiel des Wohnungsma­rkts« promoviert.
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