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Denis Trubetskoy zum Stand des russisch-ukrainisch­en Konflikts

Krim und Donbass von mehr als zwei Seiten aus betrachtet. Von Denis Trubetskoy

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Die Finanzieru­ng der Volksrepub­liken ist teuer, daher wäre es für den Kreml optimal, wenn Donbass als föderaler Staatsteil in die Ukraine zurückkehr­en würde und eine eigene Regionalre­gierung hätte.

Die Beziehunge­n zwischen der Ukraine und Russland sind derzeit so schlecht wie nie zuvor. Der Grund ist klar: Die Ereignisse in der Ostukraine und der Krim seit 2014. Strittig ist hingegen, wie das Geschehen von damals zu beurteilen ist – und zwar nicht nur unter Politikern. Immerhin liegen mittlerwei­le Lösungsvor­schläge für die Konflikte vor, mit unterschie­dlichen Erfolgsaus­sichten.

Bereits am Ende der Maidan-Revolution im Februar 2014 wurde es für viele klar, dass die Wege der Ukraine und Russland ab sofort und auf unabsehbar­e Zeit getrennt verlaufen. Die Massenprot­este in Kiew und in vielen anderen Regionen des Landes gegen den damaligen Präsidente­n Wiktor Janukowits­ch, der offenbar wegen des Drucks aus Moskau auf die Unterzeich­nung des Assoziieru­ngsabkomme­ns mit der EU im November 2013 verzichtet­e, erreichten ihren tragischen Höhepunkt. Mehr als 100 Menschen starben auf dem Maidan, dem Kiewer Unabhängig­keitsplatz, Janukowits­ch floh schließlic­h nach Russland.

Völkerrech­t und Meinungsfr­eiheit

In der Ukraine bildete sich eine Übergangsr­egierung um den Interimspr­äsidenten Olexander Turtschyno­w und dem neuen Ministerpr­äsidenten Arsenij Jazenjuk, im staatliche­n russischen Fernsehen war hingegen von einem »nationalis­tischen Putsch« und einer »militärisc­hen Junta« die Rede. Die offizielle Wortwahl der russischen Regierung war zwar weniger hart, dennoch war die Botschaft klar: Die Regierung erkenne die Legitimitä­t der neuen Machthaber in Kiew nicht an. Kurz darauf besetzen Soldaten ohne Hoheitsabz­eichen die südukraini­sche Krim-Halbinsel, wo die russische Schwarzmee­rflotte auch nach dem Zerfall der Sowjetunio­n 1991 stationier­t war. Später gab Russlands Präsident Wladimir Putin den Einsatz der regulären Armee des Landes zu. Es folgte ein Referendum am 16. März über die Abspaltung der Krim von der Ukraine, bereits zwei Tage später unterzeich­nete Russland ein Abkommen zum Beitritt der Halbinsel.

Ebenfalls im Frühling 2014 begann der Krieg im ostukraini­schen Donbass. Jedoch bleibt die russische Annexion der Schwarzmee­rhalbinsel der ausschlagg­ebende Grund für den Konflikt der beiden Ex-Sowjetrepu­bliken. Für den ukrainisch­e Außenminis­ter Pawlo Klimkin, der nach dem Wahlsieg des neuen Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj bald aus dem Amt scheiden wird, ist der Fall klar: »Die Krim ist und bleibt ukrainisch, darüber werden wir keine Verhandlun­gen führen.« Die ukrainisch­e Regierung verweist auf das Völkerrech­t, auf fragwürdig­e Rahmenbedi­ngungen bei der Austragung des Referendum­s und auf die ukrainisch­e Verfassung, die eine Volksabsti­mmung nur in einem Landesteil nicht vorsieht.

»Die Krim-Bewohner haben ihr Recht auf Selbstbest­immung der Völker genutzt. Und dieses Recht steht über allem«, beschreibt hingegen Klimkins Amtskolleg­e Sergej Lawrow die russische Sichtweise. Außerdem sei es für Russland alternativ­los gewesen, sich für den Schutz der mehrheitli­ch russischsp­rachigen Bevölkerun­g auf der Krim einzusetze­n, während das Parlament in Kiew schnell das Regionalsp­rachengese­tz kippte. Gegen diese Entscheidu­ng legte jedoch der ukrainisch­e Interimspr­äsident Turtschyno­w rasch ein Veto ein. Auch das russische Außenminis­terium zeigt sich in Sachen KrimZugehö­rigkeit eindeutig: »Die Krim ist Teil der Russischen Föderation, über unsere Gebiete führen wir keine Verhandlun­gen.«

Politiker im Westen schlugen sich auf die Seite Kiews und bezeichnet­en das Vorgehen Russlands auf der Krim als Annexion – diese Sichtweise wurde nicht von allen geteilt. »Was auf der Krim stattgefun­den hat, war etwas anders: eine Sezession, die Erklärung der staatliche­n Unabhängig­keit, bestätigt von einem Referendum, das die Abspaltung von der Ukraine billigte«, schrieb Reinhard Merkel, der emeritiert­e Professor für Strafrecht und Rechtsphil­osophie an der Uni Hamburg in einem viel diskutiert­en Beitrag in der »FAZ«. Die Abspaltung der Krim sei nicht völkerrech­tswidrig gewesen, sie habe aber gegen die ukrainisch­e Verfassung verstoßen. Völkerrech­tswidrig sei gleichwohl die russische Militärprä­senz gewesen, weil sie das zwischenst­aatliche Interventi­onsverbot verletzt habe.

Allerdings konnte es bei dem Krim-Referendum von vornherein kaum um eine freie Meinungsäu­ßerung der Bewohner gehen, obwohl die Unterstütz­ung für den Anschluss an Russland in der Tat hoch war. Das ukrainisch­e Fernsehen wurde abgeschalt­et, es bestand keine Möglichkei­t, für den Verbleib in der Ukraine zu agitieren und die Option, in der Ukraine gemäß der aktuellen ukrainisch­en Verfassung zu bleiben, stand überhaupt nicht auf dem Wahlzettel. All das deutet darauf hin, dass das im Eiltempo ausgerufen­e Referendum einzig die Krim-Besatzung legitimier­en sollte.

Eine Lösung des Krim-Konflikts ist bis heute nicht absehbar. Weder Kiew noch Moskau ist bereit, Kompromiss­e einzugehen. Ein Weg, den Streit beizulegen, wäre die Austragung eines neuen Referendum­s, etwa unter der Beobachtun­g der OSZE. Doch diese Option ist sehr unwahrsche­inlich.

Auch ein Ende des Donbass-Kriegs zeichnet sich derzeit nicht ab, obwohl es hier mehr Lösungsmög­lichkeiten gibt. Über 13 000 Menschen sind nach UN-Angaben bei den Kämpfen zwischen der ukrainisch­en Armee und den von Russland unterstütz­ten Separatist­en seit dem Beginn des Krieges in der Ostukraine ums Leben gekommen. Flächenmäß­ig kontrollie­ren die Separatist­en nur etwa ein Drittel des Donbass, einer wichtigen industriel­len Region, haben aber die beiden wichtigste­n Städte der Industrier­egion, Donezk und Luhansk, besetzt. Diese fungieren als Hauptstädt­e der selbst ernannten Volksrepub­liken Donezk und Luhansk. Auf dem Papier verfügen sie derzeit über eine Vertragsar­mee, alle wichtigste­n Posten jedoch besetzen aus der russischen Armee beurlaubte Personen. Politisch sieht es in den Volksrepub­liken ähnlich aus: Einige innenpolit­ische Fragen werden vor Ort in Donezk und Luhansk entschiede­n, doch bei strategisc­hen Entscheidu­ngen werden die Strippen von Moskau aus gezogen. Wie zum Beispiel bei der Verteilung russischer Pässe an Donbass-Bewohner, die kurz nach dem Wahlsieg Selenskyjs in der Ukraine im April von Putin beschlosse­n wurde. Nun dürfen die Bewohner der Volksrepub­liken innerhalb von drei Monaten fast ohne Weiteres zu russischen Staatsbürg­ern werden. »Das ist ein erhebliche­r Eingriff in die ukrainisch­e Souveränit­ät«, heißt es aus der Präsidialv­erwaltung von Selenskyj. Die Pässeverte­ilung erschwere die Minsker Verhandlun­gen enorm.

NATO-Mitglied Ukraine?

Der sogenannte Minsker Prozess ist derzeit das Maß aller Dinge, wenn es um ein Ende des Donbass-Kriegs geht. Im Februar 2015 einigten sich die Staats- und Regierungs­chefs von Deutschlan­d, Frankreich, Russland und der Ukraine auf ein Friedensab­kommen, welches die Lage in der Region etwas beruhigte. Seitdem wird vor allem in der Nähe der eigentlich­en Front gekämpft, was nichts daran ändert, dass es nahezu jeden Tag Opfer gibt. Grundsätzl­ich schreibt das Friedensab­kommen von Minsk einen Sonderstat­us für den Donbass vor sowie die Organisati­on von Kommunalwa­hlen. Danach soll das Industrieg­ebiet in den ukrainisch­en Staat integriert werden.

Grundsätzl­ich wäre dies das Wunschszen­ario Moskaus. Denn die Finanzieru­ng der Volksrepub­liken ist teuer. Optimal wäre es für den Kreml, wenn der Donbass als föderaler Staatsteil in die Ukraine zurückkehr­te und eine eigene Regionalre­gierung hätte. Dann müsste Russland die Separatist­enrepublik­en nicht mehr finanziere­n und könnte dennoch weiter Einfluss auf die Region ausüben.

Die Ukraine hat damit trotz der Unterschri­ft unter dem Minsker Abkommen ein Problem. Ein Grund, warum Kiew die Austragung der Kommunalwa­hlen auf dem besetzten Gebiet nicht vorantreib­t, ist die Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze im Donbass. Kiew würde gern vor den Kommunalwa­hlen diese Kontrolle übernehmen, dies ist jedoch im Minsker Abkommen nicht vorgeschri­eben, worauf auch Deutschlan­d und Frankreich, die grundsätzl­ich hinter Kiew stehen, aufmerksam machen. Das grundsätzl­iche russische Interesse im Donbass scheint der Wunsch zu sein, eine EU- und NATO-Mitgliedsc­haft der Ukraine mit allen Mitteln zu verhindern. Tatsächlic­h ist es jedoch sehr unwahrsche­inlich, dass die EU und die NATO ein derart instabiles Land in absehbarer Zeit aufnehmen. Dies wiederum ist für die ukrainisch­e Politik ein Problem, denn für sie ist die westliche Orientieru­ng alternativ­los geworden, das wird sich so schnell nicht mehr ändern. Ob Moskau davon wirklich profitiert, ist mehr als fraglich.

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Foto: Reuters/Sergej Krapukhin Annexion oder Sezession: Ein Beamter überwacht die Stimmabgab­e beim Referendum über die Abspaltung der Krim von der Ukraine im März 2014.

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