Martin Ling Von der DDR-Solidarität zur Stiftung Nord-Süd-Brücken
Zwölf Katalanen warten nach dem Abschluss des Prozesses im Herbst auf Urteile.
Die Beweisaufnahme im sogenannten Jahrhundertprozess ist zu Ende, die Urteile stehen noch aus. Nach vier Monaten wurde das Verfahren gegen zwölf katalanische Politiker und Aktivisten am Obersten Gerichtshof in Madrid mit den Plädoyers der Verteidigung am 12. Juni beendet – nach 52 Prozesstagen und Aussagen von 422 Zeugen. Den Angeklagten wird vorgeworfen, im Oktober 2017 ein Unabhängigkeitsreferendum organisiert zu haben, das die spanische Justiz für illegal hält. Die Richter müssen nun bis Herbst die bewerten, ob es sich dabei um zivilen Ungehorsam oder Rebellion gehandelt hat. Freisprüche, wie sie von der Verteidigung gefordert werden, gelten als unwahrscheinlich. Die Generalstaatsanwaltschaft fordert für alle Angeklagten zusammen 177 Jahre Haft.
Viele Menschen in Katalonien rechnen mit langen Haftstrafen, auch weil Spanien gerade mit juristischen Mitteln zu verhindern versucht, dass am 26. Mai ins europäische Parlament gewählte katalanische Abgeordnete ihr Mandat antreten können. Am Freitag hat der Oberste Gerichtshof entschieden, einen der zwölf Angeklagten – den inhaftierten Chef der Republikanischen Linken (ERC), Oriol Junqueras – am Montag nicht aus dem Gefängnis freizulassen, um einen Eid auf die spanische Verfassung abzulegen, wie es das spanische Wahlrecht für EU-Abgeordnete vor Antritt ihres Mandats vorsieht. Dasselbe Oberste Gericht hatte Junqueras kürzlich erlaubt, seinen Eid als Parlamentarier für das spanische Parlament zu schwören und ihn dafür kurzzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Mit dem Schwur als EU-Parlamentarier wäre indes seine Immunität besiegelt, die nur das EU-Parlament aufheben könnte. So ist kaum verwunderlich, dass der Verfassungsexperte Joaquín Urías dem Gericht einen »klaren Rechtsverstoß« und »Befangenheit« vorwirft.
»Die Staatsanwaltschaft konnte keine Rebellion beweisen, weil es keine gab«, stellte der Professor für Verfassungsrecht Diego López Garrido fest. Dieser Sozialdemokrat hat den Rebellionsparagraphen mit dem Blick auf die Vorgänge rund um den Putschversuch von Militärs 1981 verfasst. Garrido verwies darauf, dass es »Putsch« als Begriff im Strafrecht nicht gibt: »Es ist mehr ein politischer als ein juristischer Begriff.« Auch José Antonio Martín Pallín, emeritierter Richter des Obersten Gerichtshofs, übt scharfe Kritik an der Anklage. Er spricht von einer »unverzeihlichen Fehlleistung ohne die geringste Rationalität«. Weder Aufruhr noch Veruntreuung zur Durchführung des Referendums seien bewiesen. Man könne »bestenfalls« wegen Ungehorsam verurteilen. Sogar der juristische Dienst des Staates, ein dem Justizministerium unterstellter Rechtsdienst, stellte im Plädoyer fest, dass »Gewalt kein strukturelles Element des Plans war«. Nicht an Rebellion, jedoch am Vorwurf des Aufruhrs hielt die für den Dienst arbeitende Juristin Rosa Seoane aber fest. Sie forderte bis zu zwölf Jahren Haft.
Die Angeklagten erklärten sich für unschuldig und strichen die Friedfertigkeit der Vorgänge heraus. Ex-Minister Josep Rull nannte das Unabhängigkeitsreferendum einen »Akt des Ungehorsams« von Millionen Menschen. »Wahlurnen können nie ein Instrument für einen Staatsstreich sein.«
Der Vorsitzende der Kulturorganisation Òmnium Cultural, Jordi Cuixart, sagte: »Ich bereue nichts.« Wenn die Polizeigewalt beim Referendum nicht mit den Katalanen fertig geworden sei, würden jene auch nach einer Verurteilung weiter für ihr Selbstbestimmungsrecht kämpfen. Er rief erneut zur permanenten Mobilisierung auf. Seine Worte griff Regierungschef Quim Torra auf. »Wir werden es natürlich wieder tun«, sagte er und forderte eine »strategische Einheit«, um das »Unmögliche möglich zu machen«. Das müsse die Antwort von Millionen Katalanen auf das Urteil sein, das im Herbst mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Haftstrafen hinauslaufen wird, die sich als »Kompromiss« an den Vorstellungen des juristischen Dienstes des Staats orientieren könnten.