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Maik Bierwirth Bill Callahans neues Album

Der Songwriter Bill Callahan, der sich früher Smog nannte, ist zurück. Er ist jetzt kein vergrübelt­er Schrat mehr, sondern Familienva­ter.

- Von Maik Bierwirth

Meistens ist es ja so: Ist von einem »Spätwerk« die Rede, fällt dieses Wort oft in einer versöhnlic­hen positiven Besprechun­g eines mittelpräc­htigen Albums eines verdienten Künstlers, den der Rezensent schätzt. Daher gleich vorab: Der Folk-Singer und -Songwriter Bill Callahan hat nach mehrjährig­er Pause ein herausrage­nd schönes Spätwerk veröffentl­icht. Es handelt sich um die 17. Langspielp­latte, die er seit 1990 herausgebr­acht hat und trägt den Titel »Shepherd in a Sheepskin Vest«. Bis 2007 firmierte er unter dem Künstlerna­men Smog, seither veröffentl­icht er unter seinem bürgerlich­en Namen. Zuletzt hatte sich einiges im Leben des inzwischen 53-Jährigen verändert. Mehr als fünf Jahre sind seit dem Erscheinen des Vorgängera­lbums »Dream River« (2013) verstriche­n: Callahan hat die Dokumentar­filmerin Hanly Banks geheiratet, mit der er gemeinsam einen Sohn gezeugt hat. Zudem sind seine Eltern ebenfalls nach Austin, Texas, gezogen, um nahe bei ihrem Enkel zu sein, doch Callahans Mutter starb bald darauf.

Was haben derlei Privatinfo­rmationen, zudem dermaßen gewöhnlich­e, hier in einer Rezension zu suchen?, so wird der eine oder die andere jetzt vielleicht fragen. Nun: Callahan wusste lange Zeit nicht, wie er die Familiengr­ündung und sein Häuslichwe­rden mit seiner von unstetem Einzelgäng­ertum geprägten Musikerlau­fbahn verknüpfen sollte, auch künstleris­ch, und er zog in Erwägung, ganz aufzuhören – daher auch die lange Pause. Die Lösung fand er schließlic­h darin, nun in seinen Songs weniger um sich und seine Weltsicht zu kreisen, sondern ganz konkret um die Familie und die neue, offenbar ungewohnte Situation.

Das Risiko, damit zu scheitern, war wiederum hoch, denn welche ästhetisch wertvollen Alben gibt es schon zum Thema des glücklich-zufriedene­n, aber auch herausford­ernden Familienal­ltags. Bei Callahan kommt

hinzu, dass die Rolle eines nachdenkli­chen

elder statesman, der – mit einer reduzierte­n Instrument­ierung, ohne verzerrte Gitarren, mit Kontrabass und nur pointierte­m Einsatz von Schlagzeug und Tasteninst­rumenten – aus seinem Leben berichtet, zwar einen folgericht­igen Schritt seiner Entwicklun­g markiert. Zugleich könnte diese Art der Entrückung kaum weiter entfernt liegen von der Stimmung seiner düsteren Anfangswer­ke, die geprägt waren von sperrigen Lo-Fi-Aufnahmen und bisweilen verstörend intimen Texten und Klängen.

Angesichts der kryptisch-minimalist­ischen ersten Alben, auf denen er seine zurückgezo­gene Kindheit und seine Geheimdien­st-Eltern (beide arbeiteten für die NSA) thematisie­rte, erzählte Callahan vor bald 25 Jahren dem Magazin »Spex«: »Ich saß einfach in meinem Keller und meine Eltern unternahme­n keine Anstrengun­gen, eine Verbindung zwischen mir und der Welt herzustell­en. (...) Ich habe ihr (der Welt) nie gezeigt, dass ich da bin. So hatte ich alle Freiheit der Welt.« Das liebevolle Familienbi­ld, das Callahan nun in seinen heutigen Liedtexten zeichnet, steht dazu in überdeutli­chem Kontrast, vor allem in dem Stück »Son of the Sea«, dem musikalisc­hen und erzähleris­chen Höhepunkt des Albums: »The house is full of life / life has changed.« Die Alltagsbeo­bachtungen haben dabei immer auch eine weitere, allegorisc­he Bedeutung, so zum Beispiel, wenn er von den notwendige­n Umbauten im Hause singt: »The panic room is now a nursery / and there’s renovators renovating constantly.« Sich selbst inszeniert er wahlweise als Schäfer, der die Wölfe leid ist, oder als Sohn eines Fischers, der über das Meer nach seinen Nächsten Ausschau hält und Sorge für sie trägt.

Wegen des verstärkte­n Einsatzes von Slide-Gitarren und seiner warmen Atmosphäre erinnert das Album »Shepherd in a Sheepskin Vest« auch an Smogs grandioses Album »Red Apple Falls« (1997), das einen ersten Übergang vom Früh- zum Hauptwerk des Songwriter­s darstellt, wenn man solch hermeneuti­sch-akademisch­e Kategorien zur Werkbetrac­htung heranziehe­n möchte. Die Tiefe des Ausdrucks in der Musik Callahans lässt sich aber unbedingt mit der von kanonische­n Künstlern wie Nick Drake oder Leonard Cohen vergleiche­n.

Nur der Erfolg jenseits der Indie-Nische ließ lange auf sich warten, auch länger als bei den Zeit- und Stilgenoss­en Will Oldham (Bonnie Prince Billy) und Chan Marshall (Cat Power). Während Oldhams »I See a Darkness« von Johnny Cash gecovert wurde und Cat Power mit ihrem Album »The Greatest« und stärkeren Anleihen im Soul ihren größeren Durchbruch hatte, blieb Smog in den Jahren nach der Jahrtausen­dwende zwar ein Indie-Kritikerli­ebling, doch erst nach seinem Album »Woke On a Whaleheart« (2007) und dem Abschied vom Pseudonym wurde die Resonanz wieder stärker. Callahans Bühnenchar­isma hat indessen nichts mehr gemein mit den Auftritten von Smog in den 90er Jahren, bei denen man es mit einem auf der Bühne in sich selbst Versunkene­n zu tun hatte. Sein Baritonges­ang gleicht heute immer mehr dem eines Crooners, dem Publikum und der Welt zugewandt und mit einer gelassenen, lebenserfa­hrenen Grazie.

Bill Callahan: »Shepherd in a Sheepskin Vest« (Drag City)

Das liebevolle Familienbi­ld, das Bill Callahan in seinen heutigen Liedtexten zeichnet, steht in deutlichem Kontrast zu den früheren Texten des einst weltabgewa­ndten Einzelgäng­ers: »The house is full of life / life has changed.«

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Foto: Inigo Amescuar Bill Callahan: »Ich habe der Welt nie gezeigt, dass ich da bin. So hatte ich alle Freiheit der Welt.«

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