Stavroula Poulimeni Thessalonikis Helfer für Geflüchtete
Freiwillige in Thessaloniki helfen obdachlosen Flüchtlingen aus Nordafrika und Südasien mit warmen Mahlzeiten und medizinischen Diensten.
Wenn man abends hinter das Gebäude des Hauptbahnhofs von Thessaloniki geht, offenbart sich eine versteckte Stadt. Eine Gruppe unsichtbarer Menschen lebt hier. Sie sind Geflüchtete und ohne Zugang zu fließendem Wasser, Lebensmitteln und festen Unterkünften. Es sind Menschen, für die weder die Europäische Union noch der griechische Staat Sozialleistungen zur Verfügung stellen, weil sie aus den »falschen« Ländern stammen. Sie leben in heruntergekommenen, leerstehenden Häusern, in Parks, in den Eingängen von Geschäften, auf den Straßen oder auf öffentlichen Plätzen. Im Winter hatten einige ihre Zelte auf schmelzendem Schnee oder auf Paletten aufgeschlagen.
Alles in ihrem Alltag ist unbeständig: die Orte, an denen sie sich aufhalten, der Status und die Gültigkeitsdauer ihrer Papiere und auch die Freunde. Entsprechend unterschiedlich sind auch ihre Perspektiven: Einige wollen sich ein neues Leben in Thessaloniki aufbauen, andere planen, weiter nach Zentral- oder Nordeuropa zu ziehen. Und doch gibt es alltägliche Routinen, und zwischen den Menschen sind soziale Beziehungen entstanden. Auch solidarisieren sich viele Personen aus unterschiedlichen Ländern mit den Geflüchteten. In einer Seitengasse verteilen sie gekochtes Essen und im Sozialen Zentrum »Oikopolis« organisieren sie Hilfe für die obdachlosen Marokkaner, Afghanen und Pakistani.
Miran lebt auf der Straße
Miran, der nur mit seinem Vornamen genannt werden möchte, floh vor zwei Jahren aus politischen Gründen aus Pakistan. Er lebte in Gujrat, im Norden des Landes. Dort arbeitete er als Laborant in einem Krankenhaus. Er schloss sich einer Partei an, die sich für die Armen Pakistans engagiert. »Ich floh, als die politische Situation für mein Leben unerträglich wurde. Ich reiste in den Iran und über die Türkei nach Thessaloniki. Hier habe ich Asyl beantragt, aber bis zu meiner Anhörung muss ich Monate warten. Bis dahin habe ich lediglich eine befristete Aufenthaltsgenehmigung, die mir weder Zugang zu einer Unterkunft noch zu Lebensmitteln garantiert«, erklärt Miran.
Ursprünglich versuchte Miran im Flüchtlingslager bei Diavata, einem Dorf zehn Kilometer von Thessaloniki entfernt, unterzukommen. Er fand dort zwar eine Unterkunft, hatte aber wegen seiner befristeten Aufenthaltsgenehmigung keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Als das Lager in Diavata stark überfüllt war, bat man ihn zu gehen. Mehr als 300 Geflüchtete leben dort in Zelten ohne Heizung, auch als im Winter die Temperaturen unter null Grad sanken. Miran fand für einige Zeit einen Platz in einem Obdachlosenheim. Als er dort nicht länger bleiben konnte, wurde die Straße sein neues Zuhause. Er richtete sich vor einem geschlossenen Geschäft in der Monastirioustraße ein.
Seine Schlafstätte besteht aus mehreren Decken und einigen Pappkartons. Zwei weitere geflüchtete Pakistani schlafen in der Nachbarschaft. »Ich lebe jetzt seit zwei Monaten auf der Straße. Am frühen Morgen gehe ich zu Organisationen wie Alkioni, die eine Tagesstätte für Geflüchtete betreiben, wo ich frühstücken und zu Mittag essen kann. Manchmal fühle ich mich nicht als Mensch. Alles um mich herum ist schmutzig. Ich muss damit leben, dass ich tagelang ohne saubere Kleidung in der Kälte lebe«, erzählt er. Jeden Tag sucht Miran nach einem bisschen Wärme, einer Dusche und kürzlich noch nach einem zweiten Schlafsack für kalte Nächte. Gleichzeitig versucht er sich in das Leben in Thessaloniki zu integrieren. Deshalb nimmt er am Griechischunterricht teil, der im von UNHCR und UNICEF unterstützten »Blauen Geflüchteten Zentrum« angeboten wird. Nur diese wenigen Möglichkeiten haben Geflüchtete, die nicht offiziell anerkannt und obdachlos sind. »Aus Pakistan zu kommen bedeutet, viele Probleme zu haben. Aber ich möchte in Griechenland bleiben. Ich will hier arbeiten und mit meiner Frau und meinem Kind wohnen, die noch in Pakistan leben«, fügt er hinzu.
»Das ist Solidarität. Helfen und selbst Hilfe bekommen. Ich habe viele Freunde, die auf der Straße leben. Der tägliche Kontakt zu ihnen bedeutet mir sehr viel.« Umer Sufyan, pakistanischer Flüchtling in Thessaloniki
Das Kochkollektiv Philoxenia
Neben Miran erhalten in dieser Nacht etwa 150 andere obdachlose Geflüchtete und Mig
ranten eine Mahlzeit von der Kochgruppe Philoxenia – einem solidarischen Kollektiv, das täglich im Oikopolis kocht. Jeden Tag gehen Mitglieder des Kollektivs durch die Straßen hinter dem alten Bahnhofsgebäude und zählen die Menschen, die Essen brauchen. Am Abend kehren sie zurück, um es auszugeben. Die Geflüchteten stellen sich in einer Schlange an, und wenn sie das Essen bekommen, fragen sie nach anderen grundlegenden Dingen wie Schuhen, Decken oder Obdach.
»Wir sind eine unabhängige, spendenfinanzierte Organisation und seit April im Oikopolis. Wir kochen jeden Tag mittags etwa 150 Portionen und abends etwa 250. Wir sammeln Nahrungsmittel mit Hilfe anderer Gruppen, die mit Märkten kooperieren, und beziehen daher unser Obst und Gemüse«, sagt Francesco Serantini, ein Mitglied von Philoxenia. »Unser Angebot richtet sich an die Obdachlosen, die mehrheitlich aus Marokko, Afghanistan und Pakistan kommen. Aber auch viele Griechen sind darunter. Die Mehrheit sind junge, alleinstehende Männer. Wenn du eine Familie hast, ist es etwas einfacher, Zugang Sozialleistungen zu erhalten.« Serantini zufolge lebt die arabische Community in verschiedenen Teilen der Stadt. »Wir tun aktuell das, was andere Organisationen nicht tun, nämlich Essen auf der Straße verteilen.« Die Küche ist mit anderen Organisationen vernetzt, wie beispielsweise den Ärzten von Doc Mobile.
Mobile medizinische Hilfe
Die NGO Doc Mobile reist durch Griechenland und bietet täglich von morgens bis in die Nacht kostenlose medizinische Hilfe für obdachlose Geflüchtete an. Rose Hansen, die Leiterin der Organisation, ist mit der Hilflosigkeit der Familien konfrontiert, die neu aus der Türkei ankommen und Schutz suchen. Jeden Tag hört sie sich die Probleme an, die nicht immer leicht zu lösen sind. »Wir sehen oft Familien auf der Straße, die eine Bleibe suchen. Heute kamen drei Familien aus dem Irak, insgesamt 17 Personen, die nicht wissen, an wen sie sich wenden können. Wir vermitteln den Kontakt zu entsprechenden Organisationen«, sagt Hansen. »Die größten Probleme haben alleinstehende Männer aus Pakistan, Afghanistan, Marokko und Algerien. Sie erhalten in der Regel keinen Platz im Flüchtlingslager Diavata und müssen sehr lange auf die Registrierung durch die Behörden warten. Sie suchen bei uns medizinische Hilfe, oft benötigen sie aber einfach nur eine Jacke oder einen Schlafsack. Wir geben es ihnen, wenn wir es haben«, erzählt sie.
Die meisten Behandlungen des Doc-Mobile-Teams erfolgen wegen Fieber, Muskelund Knochenschmerzen sowie Zahnproblemen. Viele Patienten haben Verletzungen von ihrer Flucht, dem Versuch, die Grenze zu überqueren, oder weil sie unter sehr ärmlichen Bedingungen leben. Sie leiden oft unter Infektionen, Hauterkrankungen, Kopfschmerzen und natürlich Erkältungen. Hansen zufolge ist die Zahl der obdachlosen Geflüchteten in Thessaloniki im Verhältnis zum Vorjahr gestiegen. Während im vergangenen Jahr etwa 80 Menschen am Lebensmittelverteilungsprogramm von Oikopolis teilgenommen haben, sind es in diesem Jahr über 200. 50 bis 70 Geflüchtete und Migranten erhalten täglich medizinische Hilfe. »In den vergangenen Monaten gab es Verletzte mit gebrochenen Schultern oder Fingern aufgrund der Gewaltanwendung der türkischen Polizei an der Grenze. Um dem Behandlungsbedarf gerecht zu werden, erhielten wir Hilfe von der Solidarischen Klinik, wo Ärzte und Personal ehrenamtlich arbeiten, sowie von Organisationen wie Alkionis. Wir haben uns entschieden hierzubleiben, weil wir denken, dass wir hier am meisten gebraucht werden«, erklärt Hansen.
Umer Sufyans Zuhause
In einem der Zimmer von Oikopolis fand Umer Sufyan ein Zuhause, Freunde und Wärme. Heute gibt er Suppe an die Menschen aus, die in Zelten oder Kartons schlafen. Er ist ein ehemaliger obdachloser Flüchtling aus Pakistan. »Ich kam mit einem kleinen Boot von Evros zusammen mit 15 anderen Männern. Das Boot schlug Leck und wir wurden von zwei Männern gerettet, die uns mit einem Seil zogen. Zum Glück verloren wir nur unsere Sachen«, erzählt er, während er uns in dem Zentrum herumführt. »Wir liefen sehr weit, bis wir einen Händler fanden, der uns mit dem Auto mitnahm. Als die Polizei ihn anhalten wollte, gab er Gas. Dabei krachten wir in ein anderes Fahrzeug. Der Händler wurde freigelassen und wir wurden verhaftet.« Sufyan war zweimal in Abschiebehaft, insgesamt etwa drei Monate. »Bei meiner Entlassung erhielt ich neue Papiere, die besagten, das ich das Land innerhalb weniger Tage verlassen müsse. Ich ging jeden Tag zur Ausländerbehörde und sie sagten immer, ich solle morgen wiederkommen. Ich verstand nicht, was da passierte«, ergänzt er. Er sah keine andere Möglichkeit mehr, als auf den Straßen am Bahnhof in Thessaloniki mit anderen Geflüchteten zu leben. Etwas zu essen fand er an den Abenden bei der Philoxenia-Kochgruppe, wo er Leute von Oikopolis kennenlernte.
»Ich kam jeden Tag ins Oikopolis und habe mich gerne als Freiwilliger gemeldet. Sie boten mir dann an, in ein Haus zu ziehen, das die Gruppe gemietet hat. Dort lebte ich mit fünf anderen. Als der Mietvertrag auslief, boten sie mir den Umzug in ein Gemeinschaftshaus an. Hier beginnt der Tag mit Unterricht. Ich lerne Griechisch. Danach kochen wir für obdachlose Griechen und Flüchtlinge. Für mich ist es ein Zuhause und eine Familie geworden«, erzählt er, während er das Essen für diesen Nachmittag vorbereitet. Zusammen mit anderen Mitgliedern von Oikopolis fährt Sufyan jeden Abend mit seinem Fahrrad zu den Menschen, die Suppe, Decken und warme Kleidung benötigen. »Das ist Solidarität. Helfen und selbst Hilfe bekommen. Ich habe viele Freunde, die auf der Straße leben. Der tägliche Kontakt zu ihnen bedeutet mir sehr viel«, sagt Sufyan. Er wartet auf seine Anhörung im Rahmen seines Asylverfahrens. Sein Traum ist es, als Informatiker Arbeit zu finden. In Pakistan hatte er ein Studium begonnen, musste es aber vor drei Jahren wegen finanzieller Probleme abbrechen.
Soziales Zentrum Oikopolis
Mit dem Essenverteilen für einheimische Obdachlose und Geflüchtete hatte die Oikopolis-Gruppe angefangen, als tausende Geflüchtete im Lager bei Idomeni, einem Dorf Nahe der mazedonischen Grenze, festsaßen, weil der Grenzübergang geschlossen wurde. Dort schufen Freiwillige Ende 2015 die »Colors Open Kitchen« für die Menschen, die unter unglaublich schwierigen Bedingungen leben mussten.
»Heute erfolgt die Essensverteilung rund um das Oikopolis. Das Angebot ist für jeden offen, da wir nicht nach Herkunft oder Aufenthaltsstatus fragen«, sagt Dimitris Kanders, ein Mitglied der Gruppe. Neben griechischen Freiwilligen sind in den vergangenen Monaten Geflüchtete hinzugestoßen, die etwas von der Solidarität zurückgeben wollen, die sie empfangen haben. »Wir wissen, dass wir Leistungen anbieten, für die eigentlich die Regierung zuständig ist, aber wir können nicht einfach die Hände in den Schoß legen. Wir handeln nach solidarischen Prinzipien und versuchen, den Staat dazu zu drängen, seine Verantwortung zu übernehmen.«
Kanders glaubt, dass die Krise Griechenlands noch lange nicht vorbei ist. Geflüchtete und Einwanderer, die von Evros nach Thessaloniki kommen, erleben die Folgen der Ausgrenzung, die aus den geschlossenen Grenzen in und um Europa resultieren. Oft werden diese Menschen zu einem Kollateralschaden in einem irrationalen System. Der tägliche Kampf um das Leben auf den Straßen gefährdet die Menschenwürde. Es sind Gruppen wie Oikopolis, die ein humanes Miteinander entstehen lassen.
Übersetzung: Ulrike Kumpe