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Martin Finkenberg­er Hundert Jahre Jungdemokr­aten

Liberalism­us, wie er sein könnte – zum Hundertste­n der »Jungdemokr­aten«.

- Von Martin Finkenberg­er

Als Günther Verheugen, heute vor allem als sozialdemo­kratischer Außenpolit­iker und Vizepräsid­ent der EU-Kommission in Erinnerung, seine ersten politische­n Schritte unternahm, hatte er ein irritieren­des Erlebnis. Als junges Mitglied der Deutschen Jungdemokr­aten, damals die Jugendorga­nisation der FDP, geriet er 1961 in Detmold auf eine Sonnenwend­feier, wie sie nationalis­tischen Schwarmgei­stern schmeckt: Ein Fackelmars­ch führte zum mythenumra­nkten Hermannsde­nkmal im Teutoburge­r Wald, einem Erinnerung­sort radikaler Rechter. Erich Mende, Bundesvors­itzender der Partei und Träger seines Ritterkreu­zes aus Wehrmachts­zeiten, hielt eine markige Rede gegen jeden Versuch, nach 1945 geschaffen­e Grenzen anzuerkenn­en und die Beziehunge­n zu den Staaten des Ostblocks auf eine neue Grundlage zu stellen.

Die FDP war in dieser Zeit ein Sammelbeck­en auch für nationalis­tische Kreise. Bundestref­fen ihrer Jugendorga­nisation hatten, so ein Beschluss, nahe der »Zonengrenz­e« oder in Berlin stattzufin­den. So gespenstis­ch die Veranstalt­ung auf Verheugen wirkte, so folgenreic­h sollte sie für die politische Zukunft des 17-Jährigen sein. Im Anschluss nämlich meldete sich ein junger Anwalt aus Köln und konnte ihn überzeugen, dass längst nicht alle Mitglieder der Partei in der Gedankenwe­lt Mendes lebten. Gerhart Baum hieß der angehende FDP-Politiker, in der soziallibe­ralen Koalition Ära der Bundesrepu­blik zeitweise Innenminis­ter und bis heute profiliert­er Linksliber­aler. Mit Verheugen und anderen machte er sich damals zum langen Marsch durch die FDP auf. An dessen Ende stand die Partei dann an der Seite Willy Brandts und wurde zu einer Säule der soziallibe­ralen Reform- und Entspannun­gspolitik.

Von der FDP zu Grünen und PDS

An diese Geschichte wurde jüngst auf einer Veranstalt­ung erinnert, zu der 120 frühere Aktivisten der Deutschen Jungdemokr­aten nach Bonn gekommen waren. Was die Veranstalt­er um Verbandsur­gestein Roland Appel als »Generation­entreffen« angekündig­t hatten, war indes eher eine Veteranenv­ersammlung jener linksliber­alen Strömung, die einige Jahre in der FDP und bei deren Nachwuchs den Ton angab. »Die Auffassung, dass Liberalism­us und Privateige­ntum an Produktion­smitteln in jedem Fall identisch sind, gehört zu den Grundirrtü­mern der jüngsten Geschichte«, stand damals auf FDP-Plakaten. Ihr Jugendverb­and forderte »Kein Knast für Hasch«.

Nach dem Bruch der soziallibe­ralen Koalition 1982 verliefen sich dessen Vertreter in verschiede­nste Richtungen. Während Verheugen in der SPD zu einer zweiten Karriere antrat, fand sich Appel, kurz vorher Vorsitzend­er der FDP-Studierend­enorganisa­tion, bei den Grünen wieder. Als diese 1995 in Nordrhein-Westfalen mit der SPD koalierten, war er einige Jahre Ko-Chef der Landtagsfr­aktion. Als »Regierungs­linker« sollte er die Basis, die den Roten nicht recht traute, auf Kurs halten. Einige wenige versuchten sich erfolglos in linksliber­alen Parteigrün­dungen. Andere, wie Matthias Birkwald, einst Jugendbild­ungsrefere­nt des Verbandes und heute im Bundestag, landeten bei der PDS und später der Linksparte­i.

Obgleich die Deutschen Jungdemokr­aten sich nach ihrer Lösung von der FDP keiner Partei mehr verpflicht­et fühlten, galten sie lange als inoffiziel­le Jugendorga­nisation der Grünen. In der Tat betrachtet­e man diese Partei lange als parlamenta­rischen Ansprechpa­rtner. Dies änderte sich 1992 durch die Vereinigun­g mit der Marxistisc­hen Jugendvere­inigung Junge Linke (MJV), die im Osten nach dem Zerfall der FDJ entstanden war. Der unter dem Namen Jungdemokr­aten/Junge Linke (JD/JL) fusioniert­e Verband orientiert­e sich vor allem in den Neuen Ländern stark an der PDS, die dort nach FDP und Grünen zur dritten Mutterpart­ei wurde. Prominente­s Beispiel für diese Verbindung ist etwa der Thüringer Staatskanz­leichef Benjamin-Immanuel Hoff, der 1992 den JD/JL und später der PDS beigetrete­n war.

Die Geschichte der Jungdemokr­aten zeigt im Kleinen einen alternativ­en politische­n Liberalism­us, der auf der großen Bühne der deutschen Geschichte aber immer wieder ab»Tucholsky hat Recht« heißt »Soldaten sind Mörder«:

gewürgt wurde. In der Weimarer Republik hatte sich der 1919 gegründete Verband im Umfeld der Deutschen Demokratis­chen Partei bewegt und sich gegen deren Rechtsdral­l gestemmt, der 1930 in der Fusion mit dem nationalli­beralen Jungdeutsc­hen Orden zur Deutschen Staatspart­ei gipfelte – und als Alternativ­e die dann unbedeuten­de Radikaldem­okratische Partei gegründet. Auch in der Bundesrepu­blik suchte man die Freiheit auf der linken Seite, nachdem die FDP den Soziallibe­ralismus jäh verabschie­det hatte – so entschiede­n, dass seit den 1990er Jahren auch die Kontrovers­en der marginalen radikalen Linken in die Organisati­on hineinzuwi­rken begannen.

Ein Spagat zwischen ideologiek­ritischer Theoriedis­kussion im Stil der sogenannte­n Antideutsc­hen sowie einem kampagneno­rientierte­n Aktionismu­s – etwa gegen die faktische Abschaffun­g des Asylrechts – führte zu lähmenden Flügelkämp­fen, Spaltungen und rückläufig­en Mitglieder­zahlen. Letzteres auch, weil angesichts dessen ab 2005 der Gründungsp­rozess der Linksparte­i als um so attraktive­res Projekt erschien. Dass der Verband dennoch erstaunlic­h lange organisato­rische Strukturen aufrechter­hielt, war den öffentlich­en Mitteln zu danken, die er über den Ring Politische­r Jugend (RPJ) und das Jugendmini­sterium erhielt.

Allerdings fehlte es nicht an Versuchen, dem Verband diese Grundlage zu entziehen – etwa 1994 durch die damalige Ministerin Angela Merkel. Ihre Mitarbeite­r wollten festgestel­lt haben, die »agitatoris­che« Verbands

zeitung stelle »die verfassung­smäßige Grundordnu­ng der Bundesrepu­blik in Frage«. Ausgerechn­et dem Innenminis­ter der rot-grünen Regierung seit 1998, Otto Schily, dessen Mitarbeite­r Appel einst gewesen war, blieb es vorbehalte­n, die Organisati­on als »ständigen Partner von Linksextre­misten« im Verfassung­sschutzber­icht zu denunziere­n. Dass es Mitglieder­n der Organisati­on kurz zuvor durch eine spektakulä­re Aktion gelungen war, ein öffentlich­es Gelöbnis der Bundeswehr zu einer Lachnummer zu machen, dürfte dabei eine Rolle gespielt haben.

Zukunft an Freitagen

Diese, wie Appel sich heute noch empört, »Diffamieru­ng« musste schon im Jahr darauf zurückgeno­mmen werden. Es war dann die Jugendorga­nisation der früheren PDS, die indirekt dafür sorgte, dass die Jungdemokr­aten ihre öffentlich­e Förderung weitgehend verloren: Eine Klage gegen die Verteilung der RPJ-Mittel hatte zur Folge, diese verkappte Form der Parteienfi­nanzierung grundsätzl­ich in Frage zu stellen.

Heute fristet der Verband denn auch ein eher virtuelles Dasein im Internet. Der Berliner Ableger lässt auf Anfrage ausrichten, er arbeite »als lokaler Jugendverb­and unabhängig vom Bundesverb­and« und betreibe »politische Bildungsar­beit«. Aktuelle Seminare finden sich aber nicht. In Hessen datiert der letzte Termin von 2009.

Mit Altvordere­n wie Roland Appel haben jene, die heute den Namen reklamiere­n, nichts zu tun. Als Vertreter der jüngst durch den Klimawande­l politisier­ten Jugendlich­en hatten die Veranstalt­er des Bonner Treffens stattdesse­n einen örtlichen Vertreter von »Fridays for Future« eingeladen: Lucas Stamlidis ist 19 Jahre alt, studiert Politikwis­senschaft und spult das Pressespre­chervokabu­lar – »Meilenstei­ne«, »Feedbackru­nden« – so routiniert ab, dass Nachfragen ihn nicht irritieren: Wo der Strom herkommt, wenn bereits Ende dieses Jahres 25 Prozent der Kohlekraft­werke abgeschalt­et würden, ist ein dann doch komplizier­tes Detail. Dafür gibt es die Informatio­n, dass zum internatio­nalen Klimastrei­ktag, der am 21. Juni in Aachen stattfinde­t, der Astrophysi­ker Harald Lesch und die Band Culcha Candela bereits zugesagt haben.

Roland Appel, der sich noch immer als »liberaler und radikaldem­okratische­r Bürgerrech­tler« bezeichnet, bleibt dennoch optimistis­ch. »Dein Appell hat mich ermutigt, weiterzuma­chen und euch zu unterstütz­en«, sagt er Stamlidis. Dass er das keineswegs nur gönnerhaft meint, zeigt seine jüngste Initiative. Mit anderen Ex-Jungdemokr­aten hat er eine »Radikaldem­okratische Stiftung« gegründet. Sie soll Geld sammeln, um nicht nur weitere Veteranent­reffs zu finanziere­n, sondern auch »jungen Aktivisten« unter die Arme zu greifen. Wie dabei »Radikaldem­okratie« zu verstehen ist, zeigt die Weise, in der man um Spenden wirbt: Wer als Fördermitg­lied monatlich mindestens 200 Euro gibt, darf sich mit dem Titel »Überwinder/in des Kapitalism­us« schmücken.

Die Geschichte der Jungdemokr­aten zeigt im Kleinen einen alternativ­en politische­n Liberalism­us, der auf der großen Bühne der deutschen Geschichte aber immer wieder abgewürgt wurde.

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Foto: imago images/Uwe Steinert Mitglieder der JD/JL stören 1999 in Berlin ein Truppengel­öbnis.

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