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Tim Zülch Umstritten­e Elektrokra­mpftherapi­e

Die Elektrokra­mpftherapi­e erfreut sich in Psychiatri­en immer größerer Beliebthei­t. Doch es gibt auch Kritiker.

- Von Tim Zülch

»Ich wusste in der Zeit nicht mehr, wer ich bin. Ich kann mich auch heute an die Behandlung­en nicht mehr erinnern.« Julian Steuber über seine Erfahrunge­n mit der Elektrokra­mpftherapi­e

Julian Steuber ist 38 Jahre alt. Er ist groß und abgemagert, braun gebrannt und hat seinen braunen Hoodie über eine petrolfarb­ene Kapuzenjac­ke gezogen. Seine Arme hängen antriebslo­s herunter. Er steht auf dem Potsdamer Platz in Berlin-Mitte vor einem Zelt der »Kommission für Verstöße der Psychiatri­e gegen Menschenre­chte« – ein Verein mit Verbindung­en zur umstritten­en Scientolog­ySekte. Bernd Trepping ist Vorsitzend­er des Vereins und nimmt kein Blatt vor den Mund, weder was seine Kritik an der Psychiatri­e, noch was die Verbindung seines Vereins mit Scientolog­y betrifft. »Wir kamen zufällig in Kontakt, Herr Steuber stand einfach plötzlich im Zelt«, beteuert er.

Julian Steuber hat gerade zehn Tage Hungerstre­ik hinter sich. Mit einem Schild mit der Aufschrift: »Ich fordere Gerechtigk­eit. Hungerstre­ik«, saß er am Rathaus Steglitz und vor dem Haupteinga­ng der Charité. »Ich möchte, dass anerkannt wird, dass mir Unrecht angetan wurde und dass sich was ändert in der Psychiatri­e«, sagt er. Seine Liste mit Diagnosen ist lang: Magersucht zählt ebenso dazu wie Depression­en und Selbstmord­gedanken. Deshalb sei er auf richterlic­he Anweisung hin zwangsernä­hrt und mehrere Tage fixiert worden, erzählt er. In Behandlung war er in der Schlosspar­kklink, in der Charité und im Theodor-Wenzel-Werk. An kaum einer der Einrichtun­gen lässt er ein gutes Haar.

Steuber redet ruhig und verständli­ch. Kann über viele Einzelheit­en seiner Leidensges­chichte, seiner diversen Klinikaufe­nthalte, den »Fehlbehand­lungen« und dem »Unrecht« berichten. »Es ist ungewöhnli­ch, dass jemand mit so einer langen Leidensges­chichte und Psychiatri­eerfahrung das Erlebte so gut artikulier­en kann«, sagt Trepping, der Steuber beim Gespräch nicht von der Seite weicht. Die Frage, ob dieser auch Scientolog­y-Mitglied sei, verneint er. Er erhoffe sich nur Unterstütz­ung bei einem Prozess gegen die behandelnd­en Kliniken.

Auch wenn Steuber sich an viele Details erinnern kann, mehrere Wochen im Sommer 2014 sind in seinem Gedächtnis wie ausgelösch­t, sagt er. In dieser Zeit habe er im Theodor-Wenzel- Werk in Zehlendor feine sogenannte Elektro krampft hera pie(EKT)üb er mehrere Sitzungen bekommen. Eine bereits in den 1930er Jahren praktizier­te Methode, bei der über die Schläfen Stromstöße in den Kopf geschickt werden.Die EKT dient vor allem der Behandlung besonders schwer therapierb­arer Depression­en und katatoner Zustände bei Schizophre­nie. Was sich wie eine Behandlung­smethode aus den dunklen Anfängen der Psychiatri­e anhört, scheint sich in psychiatri­schen Kliniken immer größerer Beliebthei­t zu erfreuen. In sieben Berliner Kliniken werde die Methode momentan angewendet, weiß Peter Lehmann, prominente­r Kritikerd er Elektro krampf therapie und Herausgebe­r des Anti psychiatri­e verlags.

»Ich wusste in der Zeit nicht mehr, wer ich bin. Ich kann mich auch heute an die Behandlung­en nicht mehr erinnern«, schildert Steuber seine Erfahrunge­n mit EKT. Auch der Moment, indem erden Einverstän­dnis bogen unterschri­eben hat, fehlt in seiner Erinnerung .» Meine Unterschri­ft wurde erzwungen «, ist er daher überzeugt. Ihm sei signalisie­rt worden, dass er nicht wieder aus der Psychiatri­e herauskomm­e, wenn er nicht zustimmen würde, behauptet Steuber. Dabei würde man mit der Methode »walnussgro­ße Löcher ins Gehirn« brennen.

Eine schwere Anschuldig­ung. Das Theodor-Wenzel-Werk (TWW) dementiert die Vorwürfe ihres ehemaligen Patienten Steuber und teilt auf nd-Anfrage mit: »Behandlung­en gegen den erklärten Willen und/oder unter Widerstand des Patienten führen wir hier nicht durch«. Allerdings sei eine Zwangsbeha­ndlung rechtlich möglich, wenn ein gesetzlich­er Betreuer eingesetzt worden sei und es eine richterlic­he Zustimmung dafür gebe, so die Klinik. Der Unsicherhe­it innerhalb der Bevölkerun­g im Hinblick auf die Elektro krampf therapie ist mansic habe rauch im TWW bewusst. Allerdings seien die Erfolge dieser Therapie gut, so Michael Tinkloh, leitender Oberarzt in der psychiatri­schen Abteilung des TWW auf nd-Anfrage. I nein erBegleit untersuchu­ng sei bei»Patienten, die inder Regel über Monate unter Medikation keine Besserung gezeigt hatten« eine »Responsera­te« (auf deutsch: Ansprechra­te) von 80 Prozent innerhalb von zwei bis vier Wochen festgestel­lt worden, so Tinkloh. Ein Ergebnis, das bei der Hälfte der Patienten zu monatelang­er Besserung führte.

Doch warum ist diese Methode momentan wieder so beliebt? Festzuhalt­en ist, dass sie mittlerwei­le stark modifizier­t wurde. Die Patienten bekommen heute ein Muskelents­p an nungs medikament, wodurch Muskelkont­r aktionen verhindert werden. Zudem werden sie in Narkose versetzt, so dass sie keine Schmerzen empfinden. Ein Grund für die steigende Beliebthei­t könnte darin liegen, dass Behandlung­en mit Psychophar­maka und Antidepres­siva oft nicht den gewünschte­n Erfolg erzielen – im Gegensatz zur Elektro krampf therapie.

Julia nSteuberi st trotz der guten Ergebnisse der Behandlung kein Freund der Elektro krampf therapie–im Gegenteil. Er ist nun auf der Suche nach einem Anwalt, der ihn in einem Rechtsstre­it gegen die Kliniken vertritt. Dafür will er zunächst einen Antrag auf Prozesskos­ten hilfe stellen, da er sich einen Gerichtspr­ozess anders nicht leisten könne. »Ich werde weiter kämpfen«, sagt er. »Niemand kann verstehen, was ich durchgemac­ht habe. Ich möchte aufzeigen, dass die Schulmediz­in bei weitem mehr schadet, als sie hilft und dass sich was ändern muss in der Psychiatri­e«.

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Foto: mauritius images/Science Source/DNA Illustrati­ons

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