Andreas Fritsche Brandenburgs neues Verfassungsschutzgesetz
Rot-Rot verabschiedet umstrittenes Gesetz als Lehre aus dem NSU-Skandal.
Sie haben mit Blumen, Obst und Gemüse gehandelt. Sie haben Döner oder Süßigkeiten verkauft, einen Schlüsseldienst oder ein Internetcafé betrieben. Sie hatten Familie. Nun sind sie tot, neun Männer, erschossen vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) in den Jahren 2000 bis 2007. Auch eine Polizistin wurde ermordet. Neonazi Carsten Szczepanski, der unter dem Decknamen »Piatto« für den brandenburgischen Verfassungsschutz spitzelte, hatte Hinweise geliefert, wo das untergetauchte NSU-Trios steckte. Hätte der Geheimdienst 1998 die Staatsanwaltschaft informiert, wären die Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe vielleicht noch rechtzeitig gefasst worden. Nicht nur in diesem Fall versagte der brandenburgische Verfassungsschutz. Trotzdem wird er nicht abgeschafft. Trotzdem darf er durchaus weiter zweifelhafte Spitzel anheuern. Trotzdem bekommt er mehr Personal. Die Zahl der Stellen wird um 37 auf 130 aufgestockt. Das alles beschloss der Landtag in Potsdam am Donnerstagabend.
Es war eng für die rot-rote Koalition. Vier, ursprünglich sogar fünf Abgeordnete der Linksfraktion wollten nicht mitziehen. Damit geriet die knappe Mehrheit von SPD und LINKE im Landtag in höchste Gefahr. Am Ende stimmten Volkmar Schöneburg und Isabelle Vandré am Donnerstag tatsächlich mit Nein, enthielten sich Anita Tack und Carsten Preuß wie angekündigt der Stimme. Damit hätte es normalerweise nicht gereicht für Geschenke an den Verfassungsschutz. Das Ja zum Verfassungsschutzgesetz von der fraktionslosen Abgeordneten Iris Schülzke (einstmals Freie Wähler) hätte nicht gereicht. Da aber acht Abgeordnete der Opposition fehlten, konnte das umstrittene Gesetz mit 44 zu 35 Stimmen sogar noch bequem das Parlament passieren.
Alles andere wäre rund zweieinhalb Monate vor der Landtagswahl am 1. September noch einmal ein deutliches Zeichen dafür gewesen, dass die rot
rote Koalition am Ende ist. Eine Fortsetzung geben die jüngsten Umfragewerte von SPD (19 Prozent) und LINKE (14 Prozent) nicht einmal ansatzweise her.
Der Fairness halber muss gesagt werden, dass der Verfassungsschutz von dem Beschluss des Landtags nicht ausschließlich profitiert. Er wird durch das neue Gesetz auch ein bisschen an die Kandare genommen, darf nicht mehr jeden als Informanten nehmen und bekommt eine Innenrevision. Außerdem kann sich künftig ein Verfassungsschutzbeamter, der meint, dass in seinem Nachrichtendienst etwas schief läuft, als Whistleblower vertrauensvoll und unter Umgehung des Dienstwegs an die parlamentarische Kontrollkommission des
Landtags wenden.
Solche Dinge zählte der Abgeordnete Hans-Jürgen Scharfenberg (LINKE) in der Debatte im Staccato auf. »Es ist bekannt, dass die LINKE den Verfassungsschutz kritisch sieht und seine Abschaffung als Fernziel hat«, gestand Scharfenberg. Der beste Schutz der Verfassung seien schließlich mündige Bürger. Der Geheimdienst stehe da im Weg. Gegenwärtig sei die Abschaffung jedoch nicht zu machen, bekannte er.
Dagegen schwärmte die Abgeordnete Inka Gossmann-Reetz (SPD), der Verfassungsschutz sei ein »wehrhaftes Element der Demokratie«. Sie nannte es befremdlich, wenn Bürgerrechtler den Nachrichtendienst schmähen. In anderen Staaten haben solche Dienste einen guten Ruf, hier leider nicht, vermerkte Gossmann-Reetz verschnupft. Wer in Jugendclubs gegen Ausländer hetze, durch Terror Angst und Schrecken verbreiten wolle oder Verschwörungstheorien verbreite, der sei ein Verfassungsfeind, definierte sie. Der Verfassungsschutz solle ein Abgleiten in den Extremismus verhindern. Das Gegenteil war jedoch an der Tagesordnung, wie ein NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags erkennen musste. So hatte der Verfassungsschutz den verurteilten Gewalttäter Szczepanski aus dem Gefängnis geholt und zu Rechtsrockkonzerten chauffiert, hatte ihm das Publizieren eines Skinheadmagazins ermöglicht und einen Szeneladen in Königs Wusterhausen finanziert. Die Beamten alimentierten auch Toni Stadler, der die Rechtsrock-CD »Noten des Hasses« produzierte. Auf der CD wurde zum Mord an CDUPolitikerin Rita Süssmuth und Fernsehmoderator Alfred Biolek aufgerufen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Neonazis konnten noch radikaler auftreten als ohnehin schon, weil sie im Zweifel auf Hilfe vom Verfassungsschutz vertrauen durften.
Die Abgeordnete Ursula Nonnemacher (Grüne) nennt das neue Verfassungsschutzgesetz ein »Armutszeugnis«. Ihrer Ansicht nach hätte es schon geholfen, wenn das Innenministerium aus Gesetzen anderer Bundesländer besser abgeschrieben hätte. Bei einer moderaten Ausstattung des Verfassungsschutzes mit ein paar Spezialisten wären die Grünen mitgegangen, versicherte Nonnemacher. Bei einer Personalaufstockung um fast 40 Prozent wollten sie aber nicht mitspielen.
Der CDU schwebte einerseits vor, dem Verfassungsschutz noch mehr Befugnisse zu geben. Dass sich Geheimdienstler künftig unter falscher Identität in Internetforen einschleichen, dort eine Legende über sich erzählen und mitdiskutieren dürfen, auch Mobiltelefone orten, das reicht der CDU nicht aus – solange dazu nicht das Ausspähen von WhatsApp-Nachrichten erlaubt wird. Andererseits plädierte die CDU für eine noch schärfere parlamentarische Kontrolle der Geheimdienstarbeit. Ihre Vorschläge wurden jedoch allesamt abgelehnt. Nur die AfD stimmte mit der CDU.
Die Gemengelage war unübersichtlich. Ursula Nonnemacher von den Grünen brachte das an einer Stelle auf den Punkt, als sie formulierte: »Stell dir vor, die CDU for
dert, was eigentlich die LINKE will.«
»Stell dir vor, die CDU fordert, was eigentlich die LINKE will.« Ursula Nonnemacher (Grüne)