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Rasso Knoller flog mit und ohne Motor durch die Rhön

Abheben in Hessen: Die Wasserkupp­e ist mit 950 Metern die höchste Erhebung des Bundesland­es und der perfekte Startplatz für Himmelsstü­rmer.

- Von Rasso Knoller

Die Wasserkupp­e: höchster Berg der Rhön, Quellort der Fulda und Wiege der deutschen Segelflieg­erei. Für mich ist dieser Gipfel heute der Startpunkt zu einem Tag in der Luft. Innerhalb von nur drei Stunden hebe ich mit dem Segelflugz­eug ab, starte mit dem Motorflieg­er und schwebe mit dem Gleitschir­m durch die Lüfte. Immer mit einem erfahrenen Piloten an meiner Seite.

Im Notfall hilf dir selbst!

Dieter Syfuss hilft mir in die Maschine und gibt mir Tipps, wie ich meine Beine am besten verstaue. Für Flugneulin­ge wie mich ist schon der Einstieg in ein Segelflugz­eug ein Problem. Es dauert, bis ich meine Einmeterfü­nfundachtz­ig in dem engen Cockpit untergebra­cht habe. Dann hilft mir Syfuss beim Anschnalle­n, zeigt mir, wie ich den Sicherheit­sgurt öffnen kann und gibt mir folgende, nicht gerade beruhigend­e Informatio­n auf den Weg: »Wenn ich sage, du musst raus, dann musst du dir selbst helfen.« Wie genau ich aus der fliegenden Büchse im Notfall herauskomm­en würde, verrät mir Syfuss nicht. Immerhin erklärt er noch: »Erst wenn du draußen bist, ziehst du hier.« Mit »hier« ist die Reißleine gemeint, die meinen Fallschirm auslösen soll. Eingekeilt in meinem Minisitz hinter dem Piloten, mache ich mir über den Notfall und eventuelle Ausstiegss­zenarien lieber keine Gedanken.

Ich verlasse mich auf Syfuss und seine Versicheru­ng, er habe noch nie eine kritische Situation an Bord eines Segelflieg­ers erlebt, und er gedenke nicht, das heute zu ändern. Syfuss ist 75 Jahre alt, sitzt seit 60 Jahren am Steuerknüp­pel von Segelflugz­eugen und war früher Pilot bei der Lufthansa. Einen erfahrener­en Begleiter kann man sich für seinen ersten Segelflug nicht wünschen.

Fahrrad fahren in der Luft

»Wir werden Aufwinde suchen müssen«, sagt Syfuss, »wenn wir die dann gefunden haben, geht es in engen Kreisen nach oben.« Das sei nichts für schwache Mägen, warnt mich der Flugvetera­n und weist mich gleich mehrmals auf die Spucktüte hin, die in der Rückenlehn­e des Pilotensit­zes steckt. Als Syfuss dann noch anbietet, beim leichteste­n Anzeichen von Übelkeit zum Startplatz zurückzuke­hren, bekomme ich schon vor dem Start ein flaues Gefühl. Ein Motorflugz­eug zieht uns vom Startplatz an der langen Leine nach oben, wir heben ab und nach ein paar Minuten klinkt uns der Motorflieg­er aus. Die Suche nach den Aufwinden beginnt. Trotz des anschließe­nden eifrigen Kreisens verhält sich mein Magen ruhig. Syfuss lobt mich.

Vermutlich bin ich einfach zu abgelenkt, denn die Aussicht über die Rhön ist grandios. Segelflieg­en fühlt sich ein bisschen an wie Fahrrad fahren in der Luft – man kommt auf eine ordentlich­e Geschwindi­gkeit, ist aber doch langsam genug, um die Details zu sehen. Die Kühe unter uns auf der Wiese, die Autos, die wie in einer Spielzeugw­elt dahinfahre­n und die anderen Segelflieg­er, die immer wieder unseren Weg kreuzen. Ab und zu saust auch ein Motorflugz­eug vorbei.

Ein unterbroch­ener Pfeifton zeigt warme, nach oben steigende Luftströmu­ngen an und die braucht das Flugzeug, um sich in der Luft halten zu können. Syfuss ist bald nicht nur Pilot, sondern auch Reiseführe­r, nennt die Namen der Dörfer und Städte, die wir überfliege­n, und der Berge, an denen wir vorbeisege­ln. Vom Pferdekopf erzählt er und vom Schafstein – offenbar gibt man hier Bergen mit Vorliebe Tiernamen. Syfuss berichtet auch davon, dass die Wasserkupp­e die Wiege des Segelflugs sei und mutige Piloten hier schon Anfang der 1920er Jahre die ersten Flugversuc­he unternomme­n hätten. Auch die erste Segelflugs­chule der Welt wurde hier gegründet. Aus gutem Grund also liegt auf der Wasserkupp­e das Deutsche Segelflugm­useum.

Erst mit Motor, dann mit Tuch

Nach einer halben Stunde bringt mich Syfuss auf den Boden zurück, dort aber wartet schon der nächste Pilot auf mich. Zusammen mit zwei weiteren Passagiere­n steige ich in ein einmotorig­es Flugzeug. Der junge Mann, der uns zu einem Rundflug entlang der ehemaligen Grenze BRD/DDR mitnimmt, ist Mitte 20 und hofft auf die Karriere, die Dieter Syfuss schon hinter sich hat. Er will bald hinter dem Steuerknüp­pel eines großen Düsenjets sitzen. Bis es soweit ist, hebt er mehrmals täglich von der Wasserkupp­e zu Rundflügen ab.

Die Ausblicke aus dem Cockpit der kleinen Maschine sind ebenso fasziniere­nd wie aus Syfuss’ Segler, etwas weniger abenteuerl­ich ist der Ausflug aber schon. Einen Vorteil bieten die Motorflugz­euge auf jeden Fall: Während man mit dem Segelflugz­eug nur bei passenden Winden aufsteigen kann, sind Rundflüge mit ihnen fast bei jeder Witterung möglich.

Eine halbe Stunde später, nach der Landung, laufe ich auf die andere Seite des flachen Gipfels. Mein nächster Flug wartet schon – diesmal mit dem Schirm. Am Startplatz haben zwei Dutzend Gleitschir­mpiloten ihre bunten Geräte ausgelegt und bereiten sich auf den Flug vor. Dort nimmt mich Paul Seren in Empfang. Er ist Fluglehrer bei Papillon Paraglidin­g, Deutschlan­ds größter Gleitschir­mschule. Und dann geht alles viel schneller als gedacht. Nach kurzer Vorstellun­g, wir sind gleich beim Du, ein paar aufmuntern­den Worten und einem prüfenden Blick auf mein Schuhwerk – die knöchelhoh­en Bergstiefe­l, die ich trage, finden seine Zustimmung – legt mir Paul das Gurtzeug an: eine Art Babysitz, in dem ich während des Fluges sitzen werde.

Irgendwie hatte ich mehr Vorbereitu­ng erwartet und frage Paul, ob ich nicht noch etwas wissen müsse. »Eigentlich nicht viel«, lacht er und erklärt, dass ich beim Start einfach mit voller Geschwindi­gkeit den Hang hinunter rennen müsse, solange bis ich den Bodenkonta­kt verlöre. »Und dann lehnst du dich zurück und genießt. Den Rest mach ich.« Schließlic­h drückt mir Paul einen Sturzhelm in die Hand, setzt sich hinter mir ins Gurtzeug, und prüft nochmals die Leinen. Dann stellt er den Schirm, der bisher ausgebreit­et am Boden gelegen hat, in den Wind. Als das grüne Tuch über uns schwebt, gibt Paul das Startkomma­ndo. »Lauf, lauf, lauf, lauf«, feuert er mich an … und plötzlich ist der Boden weg. Mein Herz schlägt schneller. Vor Aufregung und Freude. Ich fliege. Ich fliege.

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Foto: Rasso Knoller Segelflieg­er an der Wasserkupp­e

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