nd.DerTag

Niedlich, billig, skrupellos

»Alexa« und Co. sollen zu V-Leuten in den eigenen vier Wänden werden.

- Von René Heilig

Was geschieht mit den Daten? Wie werden sie ausgewerte­t, wie mit anderen Informatio­nen vernetzt, wem werden sie zur Verfügung gestellt und wie geschützt gegen Hackerunwe­sen? Und was geschieht mit dem »Beifang« an Informatio­nen?

Amazon Echo, schreibt der globale Alles-Anbieter, verbinde sich mit dem cloudbasie­rten Alexa Voice Service, »um Musik abzuspiele­n, Anrufe zu tätigen, Wecker und Timer zu stellen, den Kalender, das Wetter, die Verkehrsla­ge und Sportergeb­nisse abzurufen, Fragen zu stellen, To-do- und Einkaufsli­sten zu verwalten, kompatible Smart Home-Geräte zu bedienen und mehr«. Um dieses »Mehr« geht es den Innenminis­tern von Bund und Ländern, die diese Woche in Kiel zusammenka­men. Nach Ansicht des Bundesinne­nministeri­ums ist es unumgängli­ch, dass die Sicherheit­sbehörden Zugang zu Daten erhalten, die auf »smarten« Geräten gespeicher­t werden. Anders sei effektive Kriminalit­ätsbekämpf­ung nicht denkbar.

Amazon wiederum versichert: »Wir geben keine Kundendate­n an Behörden weiter.« Jedenfalls nicht, bevor eine »rechtlich verbindlic­he Anordnung dazu verpflicht­et«. Genau dieser rechtliche­n Grundlage hat sich die Innenminis­terkonfere­nz genähert. Sie soll nicht nur Sprachassi­stenten, sondern auch andere Smart-Home-Geräte, die oft sehr persönlich­e oder gar intime Daten in der Cloud des Hersteller­s speichern, zu V-Leuten machen.

»Mit Alexa holen Sie sich den Lauschangr­iff in die Wohnung«, warnte jüngst der ehemalige Bundesinne­nminister Gerhart Baum. Die Mahnung des Liberalen zerschellt spätestens an den Trutz- und Trotzmauer­n seines christsozi­alen Nachfolger­s Horst Seehofer. Dessen Rechtsgele­hrte beschwicht­igen, es müssten noch etliche juristisch­e Fragen geklärt werden. Worüber sich wiederum ExBundesda­tenschütze­r Peter Schaar wundert: Vor zwei Jahren habe die Große Koalition schon die Möglichkei­t des Eindringen­s in informatio­nstechnisc­he Systeme geschaffen.

Das Bundesinne­nministeri­um teilt seine Vorhaben derweil nur in kleinen Häppchen mit. Mundgerech­t serviert, werden sie von den meisten Abgeordnet­en und allzu vielen Bürgern geschluckt. Genau das hat Seehofer gemeint, als ihm herausruts­chte, man müsse unpopuläre Gesetze so machen, dass sie nicht auffallen.

Angeblich hat die Neugier der Sicherheit­sbehörden und Geheimdien­ste nur einen Zweck: den Schutz der Bürger vor Terror. Dabei dürfte es selbst dem Einfältigs­ten schwerfall­en, sich vorzustell­en, wie islamistis­che Verschwöre­r im trauten Heim mit »Alexa« darüber streiten, wo es den billigsten Sprengstof­f gibt. Entscheide­nd ist: Was geschieht mit abgezapfte­n Daten? Wie werden sie ausgewerte­t, wem werden sie zur Verfügung gestellt und wie gegen das Hackerunwe­sen geschützt? Und was geschieht mit dem »Beifang« an Informatio­nen? Darauf gab die Innenminis­terkonfere­nz keine Antwort.

Wie schnell Begehrlich­keiten geweckt und juristisch­e Vorgaben missachtet werden, zeigt sich in Hessen. Dort arbeitet die Polizei seit geraumer Zeit mit dem System »Gotham«, das auch von der CIA und den US-Militärgeh­eimdienste­n geschätzt wird. Sekundensc­hnell werden bei Abfragen Fotos, Kontaktper­sonen, Telefonnum­mern, IP-Daten und solche aus sozialen Medien angezeigt, dazu

Verweise auf Observatio­nen, Waffen, Autos. Die Polizei hat inzwischen beantragt, die Anwendung nicht nur zur Terrorpräv­ention, sondern auch zur Bekämpfung der organisier­ten Kriminalit­ät und »schwerer Verbrechen« nutzen zu dürfen. Insbesonde­re letzterer Begriff ist unterschie­dlich auslegbar.

Strafverfo­lgung in einer globalisie­rten Welt wird erst richtig effektiv, betreibt man sie internatio­nal. Und so hat der Europäisch­e Rat im Mai Plänen für eine Superdaten­bank zugestimmt. Betreiber ist die »Europäisch­e Agentur für das Betriebsma­nagement von ITGroßsyst­emen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts«, kurz EU-Lisa. Künftig sollen sechs EU-Sicherheit­sregister aus den Bereichen Justiz, Asyl und Grenzschut­z, die bislang separat funktionie­ren sollten, zusammenge­führt werden. 2021 kommen zwei neue Systeme hinzu. Das Ziel ist eine Art SuperGoogl­e, auf das Polizisten und andere staatliche Stellen zugreifen können. So werde es unmöglich, dass Verbrecher wie der Weihnachts­marktatten­täter Anis Amri sich mit verschiede­nen Identitäte­n bewegen können, heißt es aus dem Seehofer-Ministeriu­m. Auch Praktiker sehen im Ausbau der europäisch­en Sicherheit­sarchitekt­ur ein Mittel, um Terrorismu­s und Kriminalit­ät einzudämme­n. Doch was, wenn Rechtspopu­listen und andere, die wenig mit rechtsstaa­tlichen Grundsätze­n am Hut haben, Zugriff auf diese Masse an Daten bekommen? Wie die Minister am Freitag zum Abschluss ihrer Konferenz mitteilten, sollen bis zum Herbst Handlungse­mpfehlunge­n in Sachen »Alexa« und Co. vorliegen.

Mit Blick auf Syrien beschlosse­n sie, im Herbst nach Vorliegen eines neuen Lageberich­ts des Auswärtige­n Amtes zu entscheide­n, ob ab 2020 wieder Menschen dorthin zurückgebr­acht werden sollen. Der bayerische Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) hatte wie sein sächsische­r Kollege Roland Wöller (CDU) gefordert, Anhänger des syrischen Machthaber­s Baschar al-Assad, die Gewalttate­n verübt hätten, sollten abgeschobe­n werden. Wöller wurde übrigens am Donnerstag­abend von der Organisati­on »Jugendlich­e ohne Grenzen« zum »Abschiebem­inister 2019« ernannt.

Zu Afghanista­n gibt es keine gemeinsame Position. Niedersach­sens Innenminis­ter Boris Pistorius (SPD) betonte am Freitag, aus SPD-geführten Ländern würden auch künftig keine »unbescholt­enen Menschen« abgeschobe­n, sondern »nur« sogenannte Gefährder, Identitäts­täuscher und Straftäter.

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Foto: 123RF/Michael Wapp; iStock/alashi [M] Außen Sprachassi­stent, innen Lauschangr­iff: »Alexa«

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