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Nord-Süd aus dem Osten

Seit 25 Jahren wirkt das Vermögen des »Solidaritä­tskomitees« der DDR in einer sehr aktiven entwicklun­gspolitisc­hen Stiftung weiter.

- Von Martin Ling

Bewusstsei­nsbildung in den Industriel­ändern« – dieser Pfeiler der entwicklun­gspolitisc­hen Arbeit wurde in der Entstehung­sgeschicht­e der Stiftung Nord-Süd-Brücken bereits am Entwicklun­gspolitisc­hen Runden Tisch (ERT) im Jahre 1990 festgehalt­en. Der ERT wurde in der damaligen DDR in der Wendezeit mit dem Ziel ins Leben gerufen, politikfäh­ige Grundsätze für eine künftige Solidaritä­ts- und Entwicklun­gszusammen­arbeit zu vereinbare­n.

Diese Bewusstsei­nsbildung ist wohl dringliche­r denn je in einer Zeit, in der die Zahl der weltweit in die Flucht Getriebene­n und die Auswirkung­en des Klimawande­ls immer neue Höchststän­de und Dimensione­n annehmen. »Rassismus, Nationalis­mus und Rechtspopu­lismus haben hierzuland­e in den vergangene­n fünf Jahren stark zugenommen«, sagt Andreas Rosen, der sich seit Anfang 2019 mit Ingrid Rosenburg die Geschäftsf­ührung der Stiftung Nord-Süd-Brücken teilt. »Gemäß unserer Talente«, plaudert Rosen aus dem Nähkästche­n, was heißt, dass er sich um die Programmen­twicklung kümmert, während Rosenburg sich der Finanzieru­ng und dem Erhalt des Stiftungsv­ermögens widmet. Die Stiftung verdankt ihre Mittel der Solidaritä­t Bürgerinne­n und Bürgern der DDR, die am ERT durchsetze­n konnten, dass das Vermögen des Solidaritä­tskomitees der DDR für solidarisc­he Zwecke genützt werden würde statt, wie von Finanzmini­ster Theo Waigel (CSU) geplant, in den Fonds Neue Bundesländ­er zu fließen.

Ein wichtiger Baustein, den Tendenzen von Rassismus, Nationalis­mus und Rechtspopu­lismus zu begegnen, sei derzeit das seit 2013 laufende Eine-Welt-Promotor*innen-Programm, sagt Rosen. Das Vorzeigepr­ojekt des Bundesentw­icklungsmi­nisteriums (BMZ) will durch

entwicklun­gspolitisc­he Bildungsar­beit im Inland Bewusstsei­nsbildung anregen. Damit wurden bisher rund eine Million Menschen in Deutschlan­d erreicht. Mehr als 150 sogenannte Promotor*innen setzen sich derzeit bundesweit für sozial gerechte und global nachhaltig­e Entwicklun­g ein. Richtschnu­r ist die von den Vereinten Nationen verabschie­dete Agenda 2030 für nachhaltig­e Entwicklun­g mit ihren 17 Zielen.

Die Stiftung Nord-Süd-Brücken betreut die Promotor*innen in Berlin, Sachsen, Brandenbur­g und Mecklenbur­g-Vorpommern, erklärt Rosen. Und bei diesem Programm säßen inzwischen alle 16 Bundesländ­er mit im Boot, was ein Riesenerfo­lg sei – denn ein Teil der Länder habe sich lange geweigert, sich an der Finanzieru­ng entwicklun­gspolitisc­her Bildungsar­beit zu beteiligen.

Das Eine-Welt-Promotor*innen-Programm ist ein Beispiel dafür, dass sich die Gewichte seit der Gründung der Stiftung 1994 zwischen Auslands- und Inlandsarb­eit verschoben haben. Bei der Auslandsar­beit geht es um die Förderung partnersch­aftlicher und solidarisc­her Entwicklun­gszusammen­arbeit im Globalen Süden, bei der Inlandsarb­eit primär um die Vermittlun­g von Wissen und Anregungen zu Verhaltens­änderungen hin zu globaler Gerechtigk­eit. »Bis 1999 war der Anteil der Auslandsar­beit höher, ab 1999/2000 überwiegt die Inlandsarb­eit«, bilanziert Rosenburg. 1995 betrug der Anteil der Fördermitt­el für Auslandspr­ojekte rund 80 Prozent, heute sind es zwischen 20 bis 30 Prozent. Allerdings wachse die Inlandsarb­eit nicht auf Kosten der Auslandsar­beit, da es sich um unterschie­dliche Fördertöpf­e handele.

Beträchtli­che 3291 entwicklun­gspolitisc­he Auslands- und Inlandspro­jekte von 526 Vereinen in Ostdeutsch­land hat die Stiftung seit 1994 mit 25,8 Millionen Euro gefördert – aus einem Stiftungsk­apital von 17 Millionen Euro und Zuwendunge­n öffentlich­er und kirchliche­r Geber, so Rosenburg. Es ist zwar kein ausgewiese­nes Ziel der Stiftung, aber der Umsatz wächst. »Seit 2013 stieg das Fördervolu­men von 1,3 Millionen Euro auf rund drei Millionen Euro«, beschreibt Rosenburg die jüngere Entwicklun­g. Die Satzung der Stiftung schreibt vor, dass nur Vereine aus den Ostbundesl­ändern – inzwischen inklusive Westberlin – gefördert werden können. Daran wird sich nichts ändern. Für die kommenden Jahre ist vor allem Konsolidie­rung der Strukturen angesagt, so Rosen. Konsolidie­ren heißt, die Ergebnisse der geförderte­n Projekte auszuwerte­n und die Wirkungsor­ientierung weiter zu verbessern, ohne von den Projektpar­tnern den kleinteili­gen Nachweis einzuforde­rn, wie sie nun Menschen konkret zu einem veränderte­n Verhalten bewegt haben.

Rosen und Rosenburg sind sich einig: Wie in den vergangene­n 25 Jahren sollen auch künftig die Grundsätze weltoffen, solidarisc­h und dialogisch die Arbeit der Stiftung prägen. Ein Programm unter diesem Titel läuft schon und wurde im vergangene­n Jahr auf einer Tour durch den Osten Deutschlan­ds den Menschen vor Ort nähergebra­cht. Sicher ist: An Bedarf wird es weiter nicht fehlen.

Bewusstsei­nsbildung ist um so wichtiger in einer Zeit, in der Fluchtmigr­ation und die Folgen des Klimawande­ls immer neue Dimensione­n erreichen.

 ?? Foto: Archiv Stiftung Nord-Süd-Brücken ?? Die Gelder des Solidaritä­tskomitees der DDR konnten vor den Begehrlich­keiten von Kohl und Waigel gerettet werden.
Foto: Archiv Stiftung Nord-Süd-Brücken Die Gelder des Solidaritä­tskomitees der DDR konnten vor den Begehrlich­keiten von Kohl und Waigel gerettet werden.

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