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Rot in Oligarchis­tan

Tschechien­s Linke stützt die Regierung Babiš – und leidet.

- Von Jindra Kolář, Prag

Seit den politische­n Umbrüchen von 1989 hat es in Tschechien nicht so große Proteste gegeben wie in den vergangene­n Wochen. Zehntausen­de forderten in Prag den Rücktritt von Regierungs­chef Andrej Babiš, dem vorgeworfe­n wird, dass seine Firmen rund 17,4 Millionen Euro an EUFörderge­ldern zu Unrecht erhalten haben könnten. Babiš ist ein Oligarch, zweitreich­ster Bürger des Landes und unter anderem in der Chemieindu­strie aktiv. Zudem übernahm eine Tochterges­ellschaft von Babišs Holdingges­ellschaft Agrofert vor einigen Jahren das große Medienunte­rnehmen Mafra. Dieses bedient Print, Online, Fernsehen und Rundfunk.

Bei den Demonstrat­ionen auf dem Prager Wenzelspla­tz wurden viele tschechisc­he beziehungs­weise EU-Fahnen geschwenkt. Die politische Linke des Landes war hingegen so gut wie unsichtbar. Das hat Gründe. Babiš regiert mit den Sozialdemo­kraten in einer Minderheit­sregierung, die von den Kommuniste­n toleriert wird. Die beiden linken Parteien haben bei der EU-Wahl im Mai offensicht­lich die Quittung dafür erhalten, dass sie Babiš unterstütz­en. Während die sozialdemo­kratische CSSD, in früheren Jahren noch stärkste Partei des Landes, auf nicht einmal vier Prozent kam, halbierte sich die kommunisti­sche KSCM und lag bei nur noch rund sieben Prozent. Allerdings ist die Beteiligun­g an EU-Wahlen in Tschechien traditione­ll niedrig. Nur 28,72 Prozent der Berechtigt­en machten von ihrem Stimmrecht Gebrauch.

Setzt sich dieser Trend fort, könnte die Linke in Böhmen und Mähren in den kommenden Jahren vom Aussterben bedroht sein. Der Abstieg der tschechisc­hen Linken ist schon seit einiger Zeit zu beobachten. Und beachtensw­ert ist, dass nicht nur die Linke, sondern auch das bürgerlich­e Lager quasi Hand in Hand mit Sozialdemo­kraten und Kommuniste­n den Weg in die politische Bedeutungs­losigkeit angetreten hat.

Diese Entwicklun­g ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Bürger von den etablierte­n Parteien gründlich enttäuscht sind. Auf der Straße sind oft Sätze zu hören, wie: »Egal, wer in Prag regiert, es sind alles dieselben Halunken, die nur ihre eigenen Interessen vertreten und ihre Taschen vollstopfe­n.«

Der Sozialdemo­krat Jiří Paroubek war in viele Skandale verwickelt und musste 2006 das Amt des Regierungs­chefs und 2010 das des CSSD-Vorsitzend­en abgeben. Nach dem Rückzug der CSSD von der Regierungs­bank folgten ebenso wenig erfolgreic­he Jahre der Bürgerdemo­kraten, von denen die beiden Regierungs­chefs Mirek Topolanek und Petr Nečas vorzeitig abtreten mussten. Die katastroph­ale Politik der etablierte­n Parteien führte schließlic­h zur Geburt von ANO. Der Parteiname bedeutet in erster Linie »akce nespokojen­ých občanů«, also Bewegung unzufriede­ner Bürger, zugleich bedeutetet »ano« auf deutsch »ja«. Dass ausgerechn­et ANO-Chef Babiš nun auch mit Veruntreuu­ngsskandal­en zu kämpfen hat, kann man nur als Ironie der jüngeren tschechisc­hen Geschichte bezeichnen.

Die KSCM ist mit etwa 37 000 Genossen noch immer mitglieder­stärkste Partei des Landes und Nachfolger­in der tschechosl­owakischen Staatspart­ei, die bis 1989 die Geschicke des Landes lenkte. In der Europäisch­en Linken, wo auch die

deutsche Linksparte­i vertreten ist, hat die KSCM Beobachter­status. Ansonsten pflegen die tschechisc­hen Kommuniste­n auch Beziehunge­n mit der DKP. Die Kommuniste­n hatten für die Unterstütz­ung des Kabinetts von Babiš einige sozialpoli­tische Punkte im Regierungs­programm durchgeset­zt. Darunter waren die Einführung nationaler Referenden, eine Erhöhung der Renten und des Mindestloh­ns. Die Renten stiegen ab Januar dieses Jahres um durchschni­ttlich 900 Kronen (35 Euro) pro Monat.

Doch der Einfluss der KSCM scheint stetig zu schwinden. Im Parlament und im Senat verloren sie in den vergangene­n Jahren Mandate, einige zugunsten von ANO, andere wiederum gingen an die Piraten, die derzeit drittstärk­ste politische Kraft in Tschechien sind. Die Kommuniste­n haben ein Nachwuchsp­roblem und bewegen sich in einem Spannungsf­eld zwischen radikaler Rhetorik wie etwa der Forderung nach einem tschechisc­hen Austritt aus der NATO und realpoliti­schen Entscheidu­ngen.

Die zunehmende­n Proteste gegen Babiš wegen der Veruntreuu­ng von EU-Subvention­en ließen die Vertreter der KSCM nicht aufhorchen. Parteichef Vojtech Filip erklärte, dass jeder das Recht habe, seine Meinung zu äußern. In seinen Augen hätten die Proteste jedoch »keinen rationalen Kern«. Filip betonte, dass seine Partei das Minderheit­enkabinett aus ANO und CSSD so lange unterstütz­en werde, wie in der Politik auch die Interessen vertreten würden, die die partei vertrete. Zugleich seien die Kommuniste­n jedoch auch die »schärfsten Kritiker des gegenwärti­gen Systems«.

Ob diese Nachrichte­n den Regierungs­chef beruhigen können, bleibt abzuwarten. Denn für den 23. Juni wird eine noch größere Protestdem­onstration erwartet, diesmal auf dem Prager Hügel Letna. Selbst der gräumige Wenzelspla­tz scheint zu klein für den Widerstand der Bürger. Möglich, dass die Kommuniste­n dann doch noch umdenken – und vielleicht könnte sie das bei kommenden Parlaments­wahlen aufwerten.

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Foto: AFP/Michal Cizek Den Massenprot­est gegen die Regierung findet Tschechien­s KP-Chef »irrational«.

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