nd.DerTag

Dauerkorre­ktiv

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Sprache ist ein Faszinosum. Sie kann informiere­n und sensibilis­ieren, kann Träume zaubern und Hass säen, Menschen vereinen und trennen. Sie sei die »unmittelba­re Wirklichke­it des Gedankens«, hebt Karl Marx in »Die deutsche Ideologie« hervor. Und Victor Klemperer stellte seiner »LTI« (Lingua Tertii Imperii) ein Zitat von Franz Rosenzweig voran: »Sprache ist mehr als Blut.«

Gleichzeit­ig ist Sprache ein höchst komplizier­tes und ambivalent­es Werkzeug; man denke allein an die vielen Synonyme. Gerade das macht sie so geschmeidi­g. Es lädt jedoch ebenso ein, sie zu verbiegen. Beim Begriff »Beweis«, der meist in der Mimikry von »erwiesener­maßen« oder »unanfechtb­ar«, »zweifelsfr­ei« oder »verbürgt« daherkommt, ist das gut auszumache­n. Besonders im politische­n Raum werden die für einen Beweis unabdingba­ren Prämissen häufig erst nach der Schlussfol­gerung geliefert; die wahren Prämissen erfährt man ebenso häufig nie. Und was die juristisch­e Beweisführ­ung angeht, illustrier­t ein geflügelte­s Wort, das es sinngemäß in vielen europäisch­en Sprachen gibt, die Crux recht treffend so: »Vor Gericht und auf hoher See sind wir in Gottes Hand.« Beweisführ­ung also mit hohem Lotteriean­teil.

Selbst in der Hand hat man den Beweis in Mathematik und Logik. Doch das adelt die beiden nur bedingt. Denn sie operieren unter Sonderbedi­ngungen, mit eigenen stringente­n Symbolen und Regeln. Diese nehmen in unserem Lebens- und Sprachuniv­ersum nur einen kleinen Raum ein. Allerdings einen sehr wichtigen, etwa in Wissenscha­ft und Technik. Mathematik und Logik können unser Gespür für die Schlüssigk­eit von Argumenten aber auch schlechthi­n schärfen. So wirken sie auf die lebendige Sprache wie ein gesellscha­ftliches Dauerkorre­ktiv.

Etwas leichter: Jannik sollte im Unterricht den Satz des Pythagoras beweisen, also dass für ein rechtwinkl­iges Dreieck a²+b²=c² gilt. Das machte er in der Klassenstu­fe 7 ganz eifrig so: »Wenn der Inhalt des Quadrats über der Hypothenus­e gleich 2 ist und der Inhalt der beiden Quadrate über den Katheten je 1 beträgt, so ergibt sich 2=1+1. 1+1 ist aber 2, also 2=2. Setze ich statt dieser Zahlen a, b und c, erhalte ich a²+b²=c². Die Klasse war irritiert bis amüsiert, und Mathelehre­r Pfiffig meinte: »Das ist wohl eher eine politische Beweisführ­ung.« – Was hatte Jannik für eine mathematis­che nicht beachtet?

Etwas schwerer: Zwei Jahre später in der gleichen Klasse wollte Herr Pfiffig bewiesen haben, dass die Summe von 1000 beliebigen unmittelba­r aufeinande­rfolgenden natürliche­n Zahlen keine Primzahl sein kann. Lisa, eine der Matheasse, brauchte dafür an der Tafel fast zehn Minuten. Anschließe­nd meldete sich Jannik, nun schon zwei Jahre lang in der Mathe-AG trainiert, und nannte eine Lösung in einem knappen Satz. – Wie machte es Lisa, wie dachte es Jannik? (Anmerkung: ein Beweis reicht schon fürs Denkspielp­rädikat »richtig«.)

Antworten an spielplatz@nd-online.de oder per Post (Kennwort »Denkspiel«). Einsendesc­hluss: Mittwoch, 19. Juni. Absender nicht vergessen, denn wir verlosen zwei Buchpreise separat für die richtigen Antworten auf beide Fragen. Auch Einzeleins­endungen sind möglich.

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