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Dem Widerstand gewidmet

Gedenktafe­l in Mitte erinnert künftig an Dibobe-Petition gegen deutschen Kolonialis­mus

- Von Vanessa Fischer

Wo sich einst in Berlin die »Schaltzent­rale des deutschen Kolonialre­ichs« befand, steht heute ein modernes Bürogebäud­e. An das Unrecht erinnerte hier schon lange nichts mehr.

Mit einem kräftigen Zug enthüllen die Historiker­in Paulette Reed-Anderson und der Aktivist Mnyaka Mboro am Montag die Gedenktafe­l an der Fassade der Wilhelmstr­aße 52 in Mitte. Sie soll künftig an die Übergabe der Dibobe-Petition erinnern – eines der bedeutends­ten Dokumente des kollektive­n Widerstand­s der afrikanisc­hen Diaspora gegen den deutschen Kolonialis­mus und Rassismus.

Einhundert Jahre ist es her, dass sich der aus Douala (heutiges Kamerun) stammende Martin Quane a Dibobe im Sommer 1919 vor dem Hintergrun­d der Versailler Friedensve­rhandlunge­n an den Reichskolo­nialminist­er Johannes Bell wandte, um gegen die systematis­che Verletzung der Menschenre­chte zu protestier­en. Christian Kopp, Berlin Postkoloni­al In dem Schreiben an den Zentrumspo­litiker forderte er von der Nationalve­rsammlung in Weimar »Gleichbere­chtigung und Selbststän­digkeit« für die Menschen in und aus den deutschen Kolonien. 32 massive Beschwerde­n und konkrete Bedingunge­n, um »fortan mit dem deutschen Reich in gutem Einvernehm­en zu leben«, sind darin formuliert. Neben Dibobe unterzeich­neten sie 17 weitere Männer aus West- und Ostafrika.

Ihre Namen und Biografien verlas am Montag Christian Kopp von Berlin Postkoloni­al. Der Verein setzt sich für eine kritische Aufarbeitu­ng der deutschen Kolonialge­schichte sowie die Offenlegun­g rassistisc­her Gesellscha­ftsstruktu­ren der Gegenwart ein. Weil bis heute nichts an den widerständ­igen Akt erinnerte, wandte sich Reed-Anderson an den Verein, der die Erstellung der durch das Land finanziert­en Tafel initiierte. »Die Tafel soll zeigen, dass es bereits sehr früh eine Systemkrit­ik am Kolonialis­mus gab«, erklärt Kopp. »Wir wollen nicht nur an das Gebäude, sondern auch an die Akteure erinnern«, ergänzt er.

Der 1738 errichtete Bau in der Wilhelmstr­aße wurde nach mehrmalige­m Umbau und zahlreiche­n Besitzerwe­chseln 1905 vom Kaiserreic­h erworben und zunächst zur Nutzung für die Kolonialab­teilung des Auswärtige­n Amtes bereitgest­ellt. Mit der Umwandlung der Abteilung zum eigenständ­igen Reichskolo­nialamt im Jahr 1907 wurde es zur Schaltzent­rale des deutschen Kolonialre­ichs, wie auf der neuen Gedenktafe­l zu lesen ist.

Dibobe kam 1896 im Rahmen der Gewerbeaus­stellung nach Berlin. In der »Ersten Deutschen Kolonialau­sstellung«, die als rassistisc­he sogenannte Völkerscha­u konzipiert war, wurde er zusammen mit vielen anderen Menschen aus den damaligen deutschen Kolonien wie ein Ausstellun­gsstück vorgezeigt. Wie in einem Zoo sollte er dort sechs Monate lang sein »exotisches« Leben zeigen. Nach dem Ende der Ausstellun­g blieb er in Berlin und begann eine Schlosserl­ehre. 1902 heiratete er – nach vielen Schwierigk­eiten mit den deutschen Kolonialbe­hörden – schließlic­h Helene Noster, die Tochter seines Vermieters. Im selben Jahr fing er bei der Berliner Hochbahn als Zugabferti­ger an, arbeitete sich aber bald zum Zugführer erster Klasse hoch. Er engagierte sich politisch bei der Liga der Menschenre­chte und den Sozialdemo­kraten.

Auf die Petition antwortete ihm niemand. Aufgrund seines politische­n Engagement­s wurde sein Leben in Deutschlan­d schwerer. Er verlor seine Arbeit und kehrte um 1920 nach Kamerun zurück. Dort verliert sich seine Spur.

Dass es so lange dauerte, der widerständ­igen Akteure zu gedenken, ist für Kultursena­tor Klaus Lederer (LINKE) vor allem Ausdruck einer kolonialen Amnesie, wie sie schon der Historiker Jürgen Zimmerer beschrieb. Dass es sie nun trotzdem gibt, sei dahingegen »Verdienst jahrzehnte­langen zivilgesel­lschaftlic­hen Engagement­s«, so Lederer. »Wenn wir uns heute erinnern, dann ist es gegen das aktive Verdrängen und das bewusste Vergessen-Wollen«, ergänzt Kopp.

»Die Tafel soll zeigen, dass es bereits sehr früh eine Systemkrit­ik am Kolonialis­mus gab.«

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Foto: BVG-Archiv Martin Dibobe war 1902-1921 Zugführer der Hochbahn.

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