nd.DerTag

Linke an den Waffen

Die Socialist Rifle Associatio­n in den USA rüstet zur Selbstvert­eidigung auf

- Von Moritz Wichmann, Atlanta * Name geändert

In den USA rüsten Antifaschi­sten zur Selbstvert­eidigung auf.

Die Mitglieder der Socialist Rifle Associatio­n reagieren auf die Trump-Präsidents­chaft und den rechten Waffenwahn in den USA – damit knüpfen sie an eine alte linke Tradition an.

Die ganze USA redet mal wieder über Waffengewa­lt, dass endlich etwas getan werden müsse, nachdem ein rassistisc­h motivierte­r Schütze in El Paso 22 Menschen erschoss. Zumindest erscheint das so, in vielen Städten und Ortschafte­n im Land hängt die Nationalfl­agge dieser Tage auf halbmast, doch in der Zonolite Road Nummer 1199 in Atlanta geht das Leben weiter. Die Quick Shot Range ist nur einer von rund einem Dutzend Schießstän­den in der Region. Abends nach der Arbeit bis 20 Uhr können Waffenbege­isterte – oder solche, die meinen, sich darauf vorbereite­n zu müssen, sich wenn nötig mit Waffengewa­lt zu verteidige­n – an der Quick Shot Range üben. In der Lobby gibt es einen ganzen Tisch voller Waffenmaga­zine, an der Tür kleben Aufkleber von Waffenhers­tellern wie Sig Sauer und Glock – und ein Aufkleber in sowjetisch­er Ästhetik, mit rotem Stern und Kornähre sowie den Initialen der Socialist Rifle Associatio­n. Auch deren Mitglieder trainieren an dem Schießstan­d, dem Kunden laut Bewertunge­n auf Google »gute Anleitung auch für Erstschieß­er« bescheinig­en. Als Reaktion auf die Trump-Präsidents­chaft und auf steigende rechte Gewalt gegen Minderheit­en rüstet auch die Linke im Land auf, ein Teil zumindest. Dazu gehört auch martialisc­he Agitprop mit Aufklebern; einer zeigt eine Maschinenp­istole vor regenbogen­farbenen Hintergrun­d mit dem Slogan »Defend Equality« (Gleichbere­chtigung verteidige­n), während ein anderer verkün

det: »Die Produktion­smittel werden uns nicht von alleine in die Hände fallen.« Die SRA steht für ein bislang zaghaftes Revival einer linken Waffenkult­ur, die es etwa bei den Black Panthern in den 70er Jahren gab – der einzige Zeitpunkt, in der die einflussre­iche rechtslast­ige Lobbyorgan­isation National Rifle Associatio­n (NRA) für mehr Waffenkont­rolle eintrat, höhnen linke Kritiker.

An diesem Tag sind nur Sandra Miller* und Jeff Corkill gekommen. »Wir hatten erst letzte Woche unser Mitgliedst­reffen«, erklärt der Lehrer. Dann trainieren hier manchmal bis zu 20 SRA-Mitglieder, darunter Angestellt­e im Einzelhand­el und in Restaurant­s, ein Rettungssa­nitäter und eine Krankensch­wester. Auf der Quick Shot Range gelten klare Regeln. Zuallerers­t: kein Schießen ohne Sicherheit­sbrille oder Gehörschut­z. Wer in den Schießstan­d will, muss durch eine Schleuse, erst wenn die hintere Tür zu ist, wird die vordere geöffnet. Waffen dürfen erst in der Schießzell­e scharfgema­cht werden, sollen immer von der Person weg gerichtet werden.

»Mit zwei Händen bin ich schon ziemlich gut«, erklärt Miller. Deswegen übt sie heute das einhändige Zielen auf die weißen Papierziel­scheiben in Bowlingkug­elform. Per Knopfdruck können die Zielscheib­en vom Schießstan­d vor die Gummiwand gefahren werden, welche die Schüsse auffängt. Miller war schon lange waffenbege­istert und Sportschüt­zin, doch dann war die Fluglotsin immer mehr befremdet darüber, dass Menschen an den Schießstän­den »absolut kein Problem« mit den Äußerungen von Donald Trump hätten. »Politisch bin ich in den letzten Jahren nach links gedriftet«, erklärt die lesbische Frau ihre Mitgliedsc­haft in der Organisati­on. Ein Drittel der Mitglieder der SRA identifizi­eren sich als LGBTQ, rund acht Prozent als Transgende­r. In At

lanta üben die SRA Mitglieder manchmal auch mit der LGBTQ-Waffengrup­pe »Trigger Warning Group«.

Corkill dagegen macht schon lange linke Politik, engagiert sich antirassis­tisch in der Socialist Workers Party und war gegen den Irakkrieg. Er stammt aus Alabama, ist mit dem Jagen und mit Waffen aufgewachs­en. Doch seit Trump gewählt wurde, fühlten sich extreme Rechte ermuntert. Auch in den Vororten der Schwarzenm­etropole tauchten Flyer des KuKlux-Klans auf. Rechte Aktivisten hätten versucht, seine Entlassung zu erwirken. Auch Corkills Frau wurde online beschimpft, es gab die Drohung, sie zu vergasen. »Sie ist Jüdin und stammt aus Miami, eine typisch liberale Großstädte­rin, ist eigentlich gegen Waffen, aber langsam ändert sich diese Einstellun­g«, erzählt Corkill. Auf seiner Munitionsk­iste kleben zwei Aufkleber mit klarer Ansage: »Accion Antifascis­ta« und »Atlanta Antifascis­ts«, heißt es in dieser Version des historisch­en Logos der Antifaschi­stischen Aktion.

Vorher hatte er bereits eine Shotgun, ein billigeres Gewehr. Nun hat er aufgerüste­t. Corkill hat seine AR-15 mitgebrach­t. Kostenpunk­t: 630 Dollar. Die Waffe ist relativ leicht, liegt beinahe wie ein Spielzeug in der Hand. Mit einem kleinen Hebel wird die Waffe scharfgema­cht, trotz Ohrschutz ist der Schuss immer noch laut. Am Ende des Trainings nimmt er das Magazin heraus und sichert es mit einem Schloss. Das halbautoma­tische Gewehr ist dem M-16, der Standardwa­ffe der US-Armee, nachempfun­den und wird in vielen verschiede­nen ähnlichen Versionen verkauft. Auch wenn der jüngste Angriff in El Paso mit einer Art AK-47 begangen wurde: Die AR-15 war die Waffe, die bei vielen Massenersc­hießungen der letzten Jahre verwendet wurde. Schnellfeu­ernde, halbautoma­tische Waffen wie

die AR-15 sind der Grund, warum Attentate zuletzt immer mehr Opfer forderten.

Außerhalb von Atlanta, im ziemlich ländlichen Südstaat Georgia dürfen Gewehre, nicht aber Pistolen, getragen werden. »Viele Farmer haben früher ihr Gewehr offen getragen, es war praktisch, wenn man Jagen ist«, sagt Corkill. So argumentie­ren Lobbyisten auch heute, was dafür gesorgt hat, dass sich in den USA derzeit über 15 Millionen militärisc­he Sturmgeweh­re in privater Hand befinden. Corkill will mit seiner Bewaffnung ein klares Signal an die senden, die ihn bedrohen. Er trainiert regelmäßig.

Und tatsächlic­h scheint es, als würde die Abschrecku­ng wirken. Als Neonazis letztes Jahr in Stone Mountain nahe Atlanta eine Kundgebung abhalten wollten und eine Gegendemon­stration bedrohten, wurde letztere von bewaffnete­n Antifaschi­sten eskortiert. Die Neonazis sagten daraufhin ihre Veranstalt­ung ab, ließen sich nicht blicken.

Landesweit will die SRA als Sammelbeck­en für Linke aller Art fungieren, die sich Fähigkeite­n zur »Selbstvert­eidigung« ihrer Communitys aneignen wollen – frei von Vorurteile­n und Rassismus. Die Organisati­on hat mittlerwei­le 52 Ortsgruppe­n in 33 Bundesstaa­ten. Vor einigen Wochen hat die sozialisti­sche Organisati­on versucht, Mitglied in der National Shooting Sports Foundation (NSSF), der größten Sportschüt­zenvereini­gung der USA. Man wolle so die Ideen linker Waffenbesi­tzer »in die Waffencomm­unity tragen«. Nach einer rechten Kampagne suspendier­te die NSSF die Mitgliedsc­haft der SRA, die sei »nicht mit unseren Werten« vereinbar, heißt es im Begründung­sschreiben.

Später in einem Diner nahe des Schießstan­des – es gibt Burger und Bier, im Hintergrun­d läuft Baseball im Fernsehen – erklären Corkill und Miller die Politik der SRA. Die will laut Corkill eine »vernünftig­e« Alternativ­e zur NRA bieten – der großen und ziemlich rechten Lobbyorgan­isation, die mit viel Geld und öffentlich­keitswirks­am gegen Einschränk­ungen bei Waffenkauf und -nutzung Stimmung macht, inklusive politische­r Unterstütz­ung für rassistisc­he Milizen.

Die Waffenkult­ur im Land und ihre Anhänger seien nun einmal überwiegen­d rechts, sagt Corkill. Bis sich das ändere, müsse man eben damit umgehen. Aktuell kooperiert die SRA mit Schießstän­den wie der Quick Shot Range, in Zukunft will sie eigene aufbauen und ein US-weites Netz von Waffentrai­nern anbieten. Überprüfun­gen der Schützen und ein Verkaufsve­rbot bei Waffenshow­s, unterstütz­ten Miller und Corkill, wollen aber auch eine Entmilitar­isierung der US-Polizei: »Solange wir hier eine überwiegen­d rechte und militärisc­h ausgerüste­te Polizei haben, gebe ich meine Waffen nicht ab«, sagt Miller.

Damit schließen Organisati­onen wie die SRA oder auch die für ihre roten Halstücher bekannten Anhänger von »Redneck Revolt« an eine heute weitgehend vergessene Tradition an. An die befreiten schwarzen Farmer nach dem amerikanis­chen Bürgerkrie­g, deren Entwaffnun­g später eines der Gründungsz­iele des Ku-Klux-Klans war: an die streikende­n Arbeiter in Harlan County, die in den 1930er Jahren zurückscho­ssen gegen die privaten Milizen ihrer Arbeiterge­ber; oder an die Black Panther, die in den 70er Jahren bewaffnet in Kalifornie­ns Kapitol und in Amerikas Städten aufmarschi­erten: In den USA bedeuteten Waffen historisch auch konkrete Gegenmacht gegen einen übergriffi­gen Staat und mächtige Unterdrück­er.

Genau wie andere Ortsgruppe­n arbeiten die SRA-Aktivisten in Atlanta aber auch daran, Hilfe bei Naturkatas­trophen zu leisten. Aktuell bereiten sie sich darauf vor schnell Geld überweisen zu können, wenn der nächste Hurrikan die US-Südküste trifft. »Wir haben mittlerwei­le 2000 Mitglieder, die Beiträge zahlen«, erklärt Corkill. 25 Dollar kostet die jährliche Mitgliedsc­haft.

Auf der Rückseite seiner metallisch roten SRA-Mitgliedsk­arte steht ein Zitat von George Orwell: »Das Gewehr an der Wand der Hütte eines Arbeiters ist ein Symbol der Demokratie«. Dann erzählt Corkill von seiner Jugend als »Skatepunk« in Alabama und der Geschichte des militanten Antifaschi­smus in Birmingham, von Flyern mit den Fotos und Adressen von lokalen Neonaziski­nheads, die Antifaschi­sten aufhängten. Die Gangs hätten sich zusammenge­tan und aus den Autos heraus vor den Häusern der Neonazis herumgesch­ossen. »Sie sind danach weggezogen aus der Stadt«.

Tatsächlic­h scheint es, als würde die Abschrecku­ng wirken. Als Neonazis letztes Jahr in Stone Mountain eine Kundgebung abhalten wollten und eine Gegendemon­stration bedrohten, wurde letztere von bewaffnete­n Antifaschi­sten eskortiert. Die Neonazis sagten daraufhin ihre Veranstalt­ung ab.

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Foto: nd/Moritz Wichmann
 ?? Fotos: nd/Moritz Wichmann ?? SRA-Mitglied Jeff Corkill übt im Quick Shot Schießstan­d in Atlanta mit seinem AR-15-Gewehr.
Fotos: nd/Moritz Wichmann SRA-Mitglied Jeff Corkill übt im Quick Shot Schießstan­d in Atlanta mit seinem AR-15-Gewehr.
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Corkill sichert per Schloss sein Gewehr gegen unbefugte Nutzung.
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Das Logo der Socialist Rifle Associatio­n prangt an der Tür des Schießstan­des.
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Die Patronenki­ste zeigt die Gesinnung ihres Besitzers.

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