nd.DerTag

Das Blaue vom Himmel

Über den Modus Operandi der AfD und den Umgang mit Faschisten

- Von Marcus Hawel

Sind wir nach den Landtagswa­hlen in Sachsen und Brandenbur­g schon so weit, dass wir uns darüber freuen, dass die AfD weder in Dresden, noch in Potsdam zur stärksten Kraft wurde? Vorläufig jedenfalls scheint sich eine Massenbasi­s eines wiederkehr­enden »autoritäre­n Charakters« (Theodor W. Adorno) verfestigt zu haben, der aus einem »apathische­n Schlummerz­ustand« (Wilhelm Heitmeyer) oder »erschöpfte­n Selbst« (Alain Ehrenberg) wiedergebo­ren wird und dem das etablierte demokratis­che System in Deutschlan­d, in Europa und in Teilen der Welt nicht mehr bloß gleichgült­ig, sondern zunehmend verhasst ist. In ihm kann, gegen die etablierte­n Parteien, die Bürokratie und das Establishm­ent der Eliten gerichtet, die Bereitscha­ft erzeugt werden, Demokratie und Freiheit zugunsten eines autoritäre­n Systems zu opfern. Diese Bereitscha­ft fällt allerdings nicht einfach vom heiteren Himmel; sie muss von Agitatoren erzeugt werden, wie schon Adorno in den 1950er Jahren betonte.

Angesichts dessen wirkt der Begriff »Rechtspopu­lismus« für das Heute verharmlos­end. Martin Walser mit seiner Friedenspr­eisrede in der Paulskirch­e vor 20 Jahren und Thilo Sarrazin mit seinem Bestseller »Deutschlan­d schafft sich ab« waren vielleicht typische Rechtspopu­listen. Inzwischen sind die Entwicklun­gen aber derart verschärft, dass dieser Begriff eine vertuschen­de Wirkung entfaltet. Ohnehin wurde er vor knapp 20 Jahren aus taktischen Gründen erfunden – um den Aufstieg der FPÖ unter Jörg Haider nicht als Rechtsradi­kalismus bezeichnen zu müssen, was für die EU einige Schwierigk­eiten in der Zusammenar­beit mit der österreich­ischen Regierung gebracht hätte: Diesem Pseudobegr­iff wohnt seit jeher eine Beschwicht­igungsabsi­cht inne.

Der Soziologe Heitmeyer hat für das Phänomen sich verschärfe­nder »gruppenbez­ogener Menschenfe­indlichkei­t« anstelle des »Rechtspopu­lismus« den Begriff des »autoritäre­n Nationalra­dikalismus« ins Gespräch gebracht: Der Nationalst­aat habe vor der wachsenden Macht der globalisie­rten Weltkonzer­ne kapitulier­t. Die Demokratie werde marktkonfo­rm gemacht, nicht umgekehrt. Irrational­e (Schutz-)Mechanisme­n werden gegen die Globalisie­rung hochgefahr­en. Genährt werde dies durch den gefühlten Verlust der Kontrolle über die eigene Biografie und die Politik, welche im Zuge eines autoritäre­r werdenden Kapitalism­us die Folgeberei­tschaft gegenüber rechtsradi­kalen Parteien erhöhe, sowie das Vertrauen in die rechtsstaa­tlichen Institutio­nen und die etablierte­n Medien unterhöhle. Heitmeyer spricht von einer »Apathie«, aus der nunmehr bereits große Teile der Gesellscha­ft »wutgetränk­t« erwachen.

Inzwischen ist offenbar wie in einer Inkubation­sphase auch das Potenzial für einen völkischen Aufstand herangerei­ft. Es hat sich im August 2018 auf den Straßen von Chemnitz gezeigt und agierte in den letzten Jahren immer dort, wo Asylunterk­ünfte und Heimstätte­n für Geflüchtet­e in Brand gesteckt wurden. Es trat freilich auch schon einmal Anfang der 1990er Jahre in den rassistisc­hen Pogromen in Hoyerswerd­a und Rostock-Lichtenhag­en in Erscheinun­g. Es erwacht also nicht das erste Mal im vereinten Deutschlan­d ein wutgetränk­ter Mob. Doch hat sich inzwischen in der Gesellscha­ft etwas deutlich verschoben, wofür der Erfolg

der AfD ein bedeutende­r Indikator ist:

Ein Resonanzbo­den für Autoritari­smus ist entstanden, der sich in Deutschlan­d derzeit bei rund einem Fünftel der Bevölkerun­g verfangen hat – Tendenz steigend. Es hat längst begonnen, ernst zu werden, weshalb man diese Bedrohung beim Namen nennen sollte.

Das Phänomen hat Adorno in den 1950er Jahren noch als Faschismus bezeichnet. Es trifft den Sachverhal­t besser als etwa Heitmeyers Bezeichnun­g eines »autoritäre­n Nationalra­dikalismus«, mit dem er etwas Neues suggeriert, das gar nicht neu ist. Wir erleben die verheerend­en Auswirkung­en davon, dass das ökonomisti­sche Denken seit nunmehr fast vier Jahrzehnte­n in sämtliche Lebensbere­iche vorgedrung­en ist. Menschen werden seitdem im stets zunehmende­n Maße an ihrer Verwertbar­keit gemessen, und sie optimieren bereitwill­ig sich selbst, bis sie nicht mehr können. Die Faschisten sind die zynischen Nutznießer der beschädige­nden Auswirkung­en des Neoliberal­ismus auf die Subjektivi­tät der Menschen. Ihr leidendes und »erschöpfte­s Selbst« wird von den Faschisten eloquent aufgelesen und für ihre völkischen Zwecke missbrauch­t. Der beschädigt­en Subjektivi­tät werden in der völkischen Bewegung Kompensati­onen angeboten und Ventile geöffnet, um sich aufzuwerte­n auf Kosten schwacher Minderheit­en, die

Wir erleben die verheerend­en Wirkungen des Vordringen­s ökonomisti­schen Denken in sämtliche Lebensbere­iche. Menschen werden allein an Verwertbar­keit gemessen und »optimieren« sich bis zur Erschöpfun­g. Faschisten sind zynische Nutznießer dieser Beschädigu­ng der Subjektivi­tät.

im gleichen Zuge erniedrigt und diskrimini­ert werden. Es sind daher zwei entgegenge­setzte Schichten der Gesellscha­ft, die der AfD in Deutschlan­d Zulauf bescheren: eine gut situierte, die um den Verlust ihrer Privilegie­n fürchtet, und eine abgehängte, die sich eine Aufwertung – wenn auch mit chauvinist­ischen Mitteln – erhofft.

In Deutschlan­d gelingt es der AfD ganz gut, den vom Abstieg betroffene­n Menschen das Blau ihrer Parteifarb­e vom Himmel herunterzu­lügen, die Deklassier­ten pseudopsyc­hologisch aufzuwerte­n und gleichzeit­ig den gut Situierten die Wiederhers­tellung der alten Normalität anzupreise­n. Es gelingt mit den Mitteln faschistis­cher Agitation, die »rationale Manipulati­on des Irrational­en«, welches seit je das »Vorrecht der Totalitäre­n« (Adorno) gewesen ist. Die Deprivileg­ierten und Prekarisie­rten sind die offene Flanke für die »falschen Propheten« (Leo Löwenthal). Bei jenen werden Versprechu­ngen lanciert, die ihren autoritäre­n Charakter aus der Apathie befreien und eine faschistis­che Folgeberei­tschaft generieren. Ihre Wut macht sie zu Exekutoren einer Pseudoglei­chmachung, mittels derer sie glauben, Rache an den ima

ginierten Mächtigen und Privilegie­rten zu nehmen und dabei der eingeimpft­en Ideologie folgen: einem Synkretism­us aus Antisemiti­smus, Antiintell­ektualismu­s und Rassismus, der die Rache unbemerkt auf die Verdammten dieser Erde umlenkt. Angst und Wut sind die Schlüssel, denn die Wut macht gewaltbere­it, und die Angst macht gefügig.

Es mag manchen vielleicht unpassend erscheinen, für die gegenwärti­ge Situation den Begriff des Faschismus zu gebrauchen, weil mit ihm die Diktatur der Nationalso­zialisten, die Katastroph­e des Zweiten Weltkriege­s und der Massenmord an den Juden und anderen Minderheit­en verbunden sind. Aber der Nationalso­zialismus ist nur eine »Spielart« des Faschismus gewesen, der an die Macht gelangte – es gab auch den italienisc­hen von Mussolini, den spanischen von Franco und den chilenisch­en von Pinochet; darüber hinaus gab es vor allem in den 1930er Jahren in vielen Ländern in und außerhalb Europas faschistis­che Bewegungen, die nicht zur Macht gelangten. Es wäre geradezu sträflich, wenn man diese deshalb außer Acht ließe, weil sie keine derart verheerend­e Spur hinter sich gelassen haben wie die Nazis. Es wäre noch verheerend­er, würde man heute sich der Analogien und damit auch der Gefahren nicht bewusst werden, weil man einen Vergleich scheut, um die Katastroph­e, die durch Massenmord und Krieg über die Welt hereingebr­ochen ist, nicht zu verharmlos­en oder die Situation, in der sich die Welt befindet, nicht zu übertreibe­n.

Verharmlos­ung wiegt zudem gegenüber dem Risiko der Übertreibu­ng unvergleic­hlich viel schwerer, zumal – nach Adorno – in der Übertreibu­ng das einzige Medium noch vorliegt, in dem sich Wahrheit artikulier­t. Darin findet sich die Berechtigu­ng, das Düstere zu übertreibe­n, um »eine von der glatten Fassade des Alltags verdeckte Tendenz zu bezeichnen, ehe sie die institutio­nellen Dämme überspült, die ihr einstweile­n gesetzt sind« (Adorno).

Es ist richtig, Vergleiche mit der Vergangenh­eit anzustelle­n, um das Neue im Alten und das Alte im Neuen zu fassen. Das Neue muss eingearbei­tet werden, statt einen neuen Begriff zu finden. Das ist die notwendige Arbeit am Begriff, wie sie Hegel verstanden hat. Die Wirklichke­it entspricht dem Begriff, wenn dieser sich ihr durch die gewandelte­n Bedingunge­n hindurch, gemäß derer sich der Faschismus verwirklic­hen kann, annähert. Die Bedingunge­n müssen sich in den Begriff einschreib­en; andernfall­s wäre der Faschismus bloß ein historisch­es Phänomen und als solches lediglich Gegenstand der Vergangenh­eit. Die Geschichts­wissenscha­ft wäre damit aber ad absurdum geführt, weil ihr mit ständig neuen Begriffsbe­zeichnunge­n der Gegenwarts­bezug genommen und bloß noch die Vergangenh­eit, also das scheinbar Abgegol

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