Keine Schonzeit für Idlib
Astana-Garantiemächte diskutieren in Ankara über die Zukunft Syriens
Ob Ausarbeitung der Verfassung oder Kampf um Idlib: Über die Dringlichkeit der Themen waren sich Russland, Iran und die Türkei beim Gipfel in Ankara einig – im Gegensatz zur Methode.
Das Gipfeltreffen der Astana-Garantiemächte in Ankara am Montag wurde je nach Perspektive unterschiedlich gewertet. In deutschen Medien standen scheinbare und reale Differenzen zwischen den drei Präsidenten aus der Türkei, Russland und Iran sowie die Gefahr einer Massenflucht von Menschen aus Idlib im Vordergrund. Türkische Medien hoben die Standfestigkeit des türkischen Präsidenten Erdogan hervor, der vor allem gegen »die Terroristen östlich des Euphrat« – gemeint sind die syrischen Kurden – vorgehen werde.
Russische Medien konzentrierten sich auf die Orientierung der drei Länder bezüglich regionaler Kooperation über Syrien hinaus und iranische Medien auf die Forderung des iranischen Präsidenten Hassan Ruhani nach dem Abzug der US-Truppen aus Syrien: »Die illegale Anwesenheit amerikanischer Truppen auf syrischem Boden bedroht die territoriale Integrität und nationale Souveränität Syriens als unabhängiges Land«, so Ruhani. Die syrische Nachrichtenagentur SANA gab unkommentiert die Abschlusserklärung der drei Präsidenten wieder, die alle drei die staatliche Einheit Syriens, Souveränität und territoriale Integrität betont hätten.
Die Differenzen in Bezug auf die Rebellenhochburg Idlib waren zuvor in Vieraugengesprächen besprochen worden. Die Türkei ist nicht bereit abzuziehen und fordert ein Ende der Militäroperationen. Russland, Iran und auch Syrien sind nicht bereit, den islamistischen Terrororganisationen Schonzeit zu gewähren.
Das Deeskalationskonzept und der Waffenstillstand habe »nie die Terroristen eingeschlossen«, sagte der russische Präsident Wladimir Putin. »Russland ist entschlossen, die syrische Armee weiter bei den lokalen Operationen zu unterstützen, mit denen die Terrorgefahr, überall wo sie auftaucht, neutralisiert werden kann.«
Alle drei Präsidenten betonten ihre Verpflichtung gegenüber den UN-Resolutionen und ihre Kooperationsbereitschaft für den politischen Prozess. Man müsse »den Syrern helfen, die Eckpunkte für ihre Regierung selber zu bestimmen«, so Putin. Die Entscheidung, ein Verfassungskomitee zu gründen, sei bereits Anfang 2018 in Sotschi getroffen worden, erinnerte er. Diplomaten aus allen drei Staaten hätten intensiv mit der syrischen Regierung daran gearbeitet, ihre Kandidaten für das Komitee und dessen Arbeitsweise zu bestimmen. Die Liste aller Mitglieder des Komitees sei gemeinsam zustande gekommen, das Verfassungskomitee müsse so schnell wie möglich seine Arbeit in Genf aufnehmen.
Alle drei Astana-Garantiestaaten verpflichteten sich, dem Verfassungskomitee »jede Unterstützung« zu gewähren, versicherte der russische Präsident. Der Astana-Prozess werde seine »führende Rolle bei der Lösung des Konflikts in Syrien« behalten.
Die Etablierung eines Verfassungskomitees durch die Astana-Garantiemächte Russland, Iran und die Türkei soll einen Dialog zwischen der Regierung in Damaskus und der »syrischen Opposition« ermöglichen und die rechtliche Grundlage für ein friedliches Syrien nach dem Krieg schaffen.
Doch unklar ist, welche Opposition gemeint ist. Über die zukünftigen Mitglieder ist so gut wie nichts bekannt, doch laut russischen Medien wurde bereits eine Liste mit 150 Mitgliedern erstellt. Dass unter ihnen viele sind, die einst friedlich gegen Assad demonstrierten, ist zweifelhaft. Die Türkei agiert als Sprecher islamistischer Milizen, die seit Jahren in ihren Gebieten die Bevölkerung terrorisieren. Die Kurden, die knapp ein Drittel des Landes beherrschen, sind gar nicht vertreten. Iran spricht von einer Verfassung »für alle«, dabei sind die pro-iranischen schiitischen Milizen in Syrien für ihre Brutalität bekannt. Im Übrigen hatte Assad bereits 2012 die Verfassung ändern lassen, um die damals aufkeimende Rebellion zu beschwichtigen. Er ließ das Mehrparteiensystem einführen – ein entschiedener Teil der Bevölkerung lehnte das als Täuschungsmanöver ab. Heute, sieben Jahre und eine halbe Millionen Tote später, ist der Krieg nicht vorbei, ein Sieg Assads scheint aber über kurz oder lang sicher. Ob die neue Verfassung auch jene befrieden wird, die sich seit 2011 für eine demokratische Reform einsetzen, ist unwahrscheinlich.