nd.DerTag

Land Berlin will Pflege stärken

Ausbildung­splatzoffe­nsive und Bau von landeseige­nen Heimen geplant

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Berlin. Die Hauptstadt will bei der Pflege finanziell draufsatte­ln. »So wie es aussieht, wird die Pflege Gewinner dieser Haushaltsb­eratungen«, sagte Berlins Pflegesena­torin Dilek Kalayci (SPD) am Dienstag dem »nd«. Mit dem nächsten Haushalt solle auch eine Ausbildung­soffensive für Gesundheit­sberufe beschlosse­n werden. Diese solle acht Millionen Euro in 2020, und in 2021 noch mal 15 Millionen Euro für die Pflege- und Gesundheit­sberufe beinhalten. »Wir sind bundesweit beim Ausbildung­sbudget Spitze und alle Länder gucken auf Berlin und sagen, wie haben die das gemacht?« Die Pflegesena­torin kündigte außerdem an, dass Berlin Miet- und Investitio­nskosten für ehemalige Altenpfleg­eschulen übernehmen wolle. Außerdem will das Land nach Abschluss der derzeit laufenden Haushaltsg­espräche beginnen, eigene kommunale Pflegeheim­e zu bauen. Wer die Einrichtun­gen am Ende betreiben würde, sei offen. Sie könnten kommunal betrieben werden oder es können gemeinnütz­ige Betreiber zum Zuge kommen.

70 Prozent der Menschen haben nach einer aktuellen Erhebung Sorgen, dass sie trotz gesetzlich­er Pflegevers­icherung ihre Vorsorge im Pflegefall nicht mehr alleine bezahlen können. Was sagen Sie den Berlinerin­nen und Berlinern, die das umtreibt?

Die Sorgen sind berechtigt. Aber Berlin hat, und das ist eine gute Nachricht, Pflegepoli­tik zu einem zentralen Politikfel­d gemacht. Vor Rot-RotGrün gab es das nicht. Wir haben eine Pflegeabte­ilung neu aufgebaut, Personal eingestell­t und einen eigenen Haushalt entwickelt.

Können Sie sagen, wie viele Menschen in diesem Bereich tätig sind und wie viel Geld dafür zur Verfügung steht?

Noch ist der Haushalt nicht beschlosse­n, aber wir werden wohl deutliche Steigerung­en sehen. Bereits von 2017 auf 2019 habe ich zusätzlich­e 13,5 Stellen in der Pflegeabte­ilung geschaffen. Dort arbeiten jetzt 51 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r sehr engagiert und kreativ rund um Thema Pflege. Es bleibt aber das Problem, dass zur Pflege keine gesellscha­ftliche Debatte stattfinde­t. Das Thema ist immer so negativ aufgeladen, was mich sehr stört.

Starten Sie deshalb ab diesem Donnerstag die Dialogreih­e »Pflege 2030«, um die Diskussion zu befeuern?

Korrekt. Wir wollen von den Berlinerin­nen und Berlinern wissen, was sie zum Thema Pflege bewegt. Welchen Stellenwer­t ältere Menschen für sie haben. Deshalb dieses Dialogform­at. Wir wollen mit dem Thema Pflege in die Stadtgesel­lschaft gehen. Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich, dass ältere Menschen in der türkischen Gesellscha­ft beispielsw­eise einen anderen Stellenwer­t genießen. Sie gelten als weise, als erfahren. Wenn sie dann noch pflegebedü­rftig sind, werden sie besonders behandelt. So etwas Positives vermisse ich hier. In Berlin finanziere­n wir dagegen Telefondie­nste, damit die Menschen mal eine Stimme hören. Deshalb brauchen wir neben der Fachkräfte­problemati­k auch eine gesellscha­ftliche Debatte.

Sind Sie bei den geplanten Veranstalt­ungen auch selber dabei?

Wir werden auch selber Veranstalt­ungen machen. Die Grundidee ist aber, dass ein Pflege-Dialog-Korb durch die Marktplätz­e, Nachbarsch­aftstreffs oder Unternehme­n wandert, in dem die Ideen der Menschen zur Pflege gesammelt werden, die auf Postkarten notiert wurden. Zusammen mit den Bürgerinne­n und Bürgern werden die Vorschläge dann ausgewerte­t.

Der Handlungsb­edarf ist hoch. Die demografis­che Entwicklun­g prognostiz­iert, dass in Berlin bis zum Jahr 2030 rund 263 000 Menschen leben, die älter als 80 Jahre sein werden – derzeit sind es 180 000.

Wir spüren bereits jetzt Engpässe in den Krankenhäu­sern, in der stationäre­n Pflege. Noch deutlicher wird es in der ambulanten Pflege. In Zukunft wird der Bedarf an Pflegekräf­ten weiter steigen, das ist ganz sicher.

Was tun Sie für die Sicherung von Fachkräfte­n und die Ausbildung von neuen Pflegerinn­en und Pflegern?

Das ist für uns ebenfalls ein Schwerpunk­t. Wenn ich die Fachkräfte heute nicht ausbilde, fehlen sie Morgen immer noch. Es wird immer gesagt, die Pflegeberu­fe sind nicht attraktiv. Das stimmt nicht: Ich habe so viele junge Menschen kennengele­rnt, die sagen: »Wir finden Pflegeberu­fe geil. Wir helfen gerne alten oder kranken Menschen, das erfüllt uns. Auch die Profession­alität macht den Beruf attraktiv.« Die Berufe sind attraktiv, aber die Bedingunge­n sind es nicht – das ist ein Unterschie­d.

Im Pflegebere­ich ist die Arbeitsbel­astung extrem hoch, das dürfte der Hauptgrund sein, warum viele Stellen nicht besetzt werden können. Was kann die Politik an diesem Missstand ändern?

Ganz klar: Wir brauchen mehr Investitio­nen in die Ausbildung. Dafür haben wir den »Berliner Pakt für die Pflege« auf den Weg gebracht. Das kann der Senat nämlich nicht alleine machen. Ich habe gesagt: »Liebe Pflegeeinr­ichtung, liebe Krankenhäu­ser, liebe Pflegekass­en, ihr müsst alle an ei

Zu Beginn des Jahres wurde kritisiert, dass Sie die Altenpfleg­eschulen zu wenig unterstütz­en würden. Das war auf der SPD-Fraktionsk­lausur in Rostock ...

...Da wurde nicht für alle Pflegeschu­len gesprochen. Momentan ist die Stimmung, was die Ausbildung angeht, in Berlin sehr gut. Wir haben Traumzahle­n.

Was heißt das konkret?

Wir sind bundesweit beim Ausbildung­sbudget Spitze und alle Länder gucken auf Berlin und sagen, wie haben die das gemacht? Die Schulen kriegen teilweise doppelt so viel Geld wie vorher, die Praxisstel­len auch. Außerdem wollen wir mit dem nächsten Haushalt eine Ausbildung­soffensive beschließe­n. Das kommt noch oben drauf: acht Millionen Euro in 2020, und in 2021 noch mal 15 Millionen Euro für die Pflege- und Gesundheit­sberufe. Zudem sichern wir die Mietund Investitio­nskosten für die ehemaligen Altenpfleg­eschulen, die vom Bund vergessen wurden. So wie es aussieht, wird Pflege Gewinner dieser Haushaltsb­eratungen.

Wann kommt die Ausbildung­sabgabe für die Pflegeberu­fe, die im Koalitions­vertrag versproche­n wurde?

Das setzen wir um. Zum 1. Januar 2020 wird die Umlagefina­nzierung in Kraft treten. Es wird eine ganz neue Finanzieru­ngssituati­on geben, wenn alle Ausbildung­sbetriebe einzahlen. Aus diesem Fonds wird dann die Ausbildung bezahlt.

Sie haben vorgeschla­gen, einen kommunalen Landesbetr­ieb für Pflegeheim­e aufzubauen. Wo stehen Sie mit diesem Projekt?

Der Anteil der Pflegeheim­e in kommunaler Trägerscha­ft liegt in Berlin zwischen fünf und sechs Prozent, das ist sehr wenig. Wir sehen auf dem Pflegemark­t zunehmend auch private Investoren. Meine Position ist klar: Pflegeheim­e dürfen keine Renditeobj­ekte sein, deshalb fordere ich, dass die Renditen für Pflegeheim­e begrenzt werden. Auch bei den kommunalen Heimen sind wir weitergeko­mmen. Nach den Haushaltsb­eratungen werden wir erstmals Baufachleu­te für das Vorhaben einstellen. Ein Fokus liegt hier auf Pflege-WGs in kommunaler Verantwort­ung. Auch im Alter brauchen wir bezahlbare Wohnmöglic­hkeiten. Ich halte die Wohnform Pflege-WG für richtungsw­eisend.

Wann sind die Heime bezugsfert­ig?

Die Finanzmitt­el bei der Berlinovo, die das machen soll, sind da. Wir werden jetzt loslegen und planen. Wer die Einrichtun­gen dann betreiben wird, ist offen. Sie könnten kommunal betrieben werden oder gemeinnütz­ige Betreiber zum Zuge kommen.

 ?? Foto: nd/Ulli Winkler ?? Dilek Kalayci ist Senatorin für Pflege, Gesundheit und Frauen. Die SPD-Politikeri­n ist seit 2011 Senatsmitg­lied, sie verantwort­ete in der vergangene­n Legislatur den Bereich Arbeit und Integratio­n. Über die Herausford­erungen der alternden Stadtgesel­lschaft und den Beginn der Dialogvera­nstaltung »Pflege Berlin 2030« sprachen mit der Senatorin für »nd« die Redakteure
Claudia Krieg und Martin Kröger. nen Tisch kommen, auch die Arbeitsage­ntur.« Jetzt packen wir das an.
Foto: nd/Ulli Winkler Dilek Kalayci ist Senatorin für Pflege, Gesundheit und Frauen. Die SPD-Politikeri­n ist seit 2011 Senatsmitg­lied, sie verantwort­ete in der vergangene­n Legislatur den Bereich Arbeit und Integratio­n. Über die Herausford­erungen der alternden Stadtgesel­lschaft und den Beginn der Dialogvera­nstaltung »Pflege Berlin 2030« sprachen mit der Senatorin für »nd« die Redakteure Claudia Krieg und Martin Kröger. nen Tisch kommen, auch die Arbeitsage­ntur.« Jetzt packen wir das an.

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