Oberste Richter drängen auf Normalisierung in Kaschmir
Indiens höchstes Gericht hat Klagen gegen die von der Regierung entzogenen Sonderrechte stattgegeben / Pakistans Premier warnt vor Krieg
Seit Indien in dem von ihm kontrollierten Teil Kaschmirs Sonderrechte aufgehoben hat, steigen die Spannungen mit Pakistan. Das Oberste Gericht fordert ein zügiges Ende von Restriktionen.
Es ist ein nicht alltäglicher Urteilsspruch, den der Supreme Court in Delhi verkündete. Das höchste Gericht Indiens hat die von der hindunationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) dominierte Regierung von Premier Narendra Modi am Montag aufgefordert, die noch bestehenden Einschränkungen im Bundesstaat Jammu und Kaschmir möglichst zeitnah aufzuheben. Anfang August hatte der Entzug von Sonderrechten des Bundesstaats durch die indische Regierung politische Schockwellen durch ganz Südasien gesendet. Das Gericht erteilte nun die Anordnung, dass insbesondere ein ordnungsgemäßer Schulbetrieb sowie der Zugang zu Gesundheitseinrichtungen sicherzustellen sei.
Ungewöhnlich an dem Urteil: Gerichtspräsident Ranjan Gogoi, Indiens oberster Richter, stellte in den Raum, bei Bedarf selbst in den bisherigen Bundesstaat Jammu und Kaschmir zu reisen, um bestimmte Anschuldigungen auf ihren Gehalt zu prüfen. Dabei geht es insbesondere um die Eingabe von Enakshi Ganguly, wonach es Kinderrechtsaktivisten derzeit kaum möglich sei, den High Court, also die höchste juristische Instanz auf regionaler Ebene, im Bundesstaat zu erreichen. Die CoGründerin der Organisation Zentrum für Kinderrechte hat darauf verwiesen, dass die Kinder und Jugendlichen in Kaschmir mit am stärksten unter den nun schon wochenlang von Regierungsseite verhängten Restriktionen zu leiden haben.
Fast zeitgleich zur Urteilsverkündung hatte Indiens Generalstaatsanwalt Tushar Mehta das Gericht informiert, dass die Restriktionen in den Teilregionen Jammu und Ladakh bereits zu 100 Prozent aufgehoben seien. Im Auftrag der Regierung verwies er zudem darauf, dass seit dem 5. August in dem Ex-Bundesstaat, der nun in zwei direkt von der Zentrale verwaltete Gebiete aufgeteilt wurde, keine einzige Kugel von den Sicherheitskräften abgefeuert werden musste – ein Umstand, den die BJP und ihre Verbündeten propagandamäßig als Erfolg ihres umstrittenen Vorgehens verkaufen.
Die Opposition sieht den ganzen Vorgang auch Wochen später immer noch kritisch. Mehreren Oppositionspolitikern wurde die Einreise nach Jammu und Kaschmir verweigert. Erst auf Anordnung des Obersten Gerichts durften sie in den Bundesstaat fahren.
Neben solchen Auseinandersetzungen in Indien dreht sich auch die internationale Dimension des Konfliktes weiter. In einem Interview mit dem arabischen Nachrichtensender Al Jazeera vergangene Woche warnte Pakistans Premier Imran Khan ausdrücklich vor einer nicht mehr zu kontrollierenden Eskalation der durch Kaschmir ausgelösten neu zugespitzten Konfrontation der jeweils über Atomwaffen verfügenden Nachbarn. Niemand wolle Krieg, betonte Imran Khan, doch sollte es dazu kommen und sein Land in einem konventionell geführten Schlagabtausch unterliegen, wäre eine nukleare Option etwas, das dann nicht mehr auszuschließen sei und schlimmste Folgen hätte. Kürzlich hatte sich US-Präsident Donald Trump unter Verweis auf »gute Kontakte zu beiden Seiten« als Vermittler angeboten, was Delhi zurückwies. Der Konflikt sei nur vor Ort zu lösen.