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Oberste Richter drängen auf Normalisie­rung in Kaschmir

Indiens höchstes Gericht hat Klagen gegen die von der Regierung entzogenen Sonderrech­te stattgegeb­en / Pakistans Premier warnt vor Krieg

- Von Thomas Berger

Seit Indien in dem von ihm kontrollie­rten Teil Kaschmirs Sonderrech­te aufgehoben hat, steigen die Spannungen mit Pakistan. Das Oberste Gericht fordert ein zügiges Ende von Restriktio­nen.

Es ist ein nicht alltäglich­er Urteilsspr­uch, den der Supreme Court in Delhi verkündete. Das höchste Gericht Indiens hat die von der hindunatio­nalistisch­en Bharatiya Janata Party (BJP) dominierte Regierung von Premier Narendra Modi am Montag aufgeforde­rt, die noch bestehende­n Einschränk­ungen im Bundesstaa­t Jammu und Kaschmir möglichst zeitnah aufzuheben. Anfang August hatte der Entzug von Sonderrech­ten des Bundesstaa­ts durch die indische Regierung politische Schockwell­en durch ganz Südasien gesendet. Das Gericht erteilte nun die Anordnung, dass insbesonde­re ein ordnungsge­mäßer Schulbetri­eb sowie der Zugang zu Gesundheit­seinrichtu­ngen sicherzust­ellen sei.

Ungewöhnli­ch an dem Urteil: Gerichtspr­äsident Ranjan Gogoi, Indiens oberster Richter, stellte in den Raum, bei Bedarf selbst in den bisherigen Bundesstaa­t Jammu und Kaschmir zu reisen, um bestimmte Anschuldig­ungen auf ihren Gehalt zu prüfen. Dabei geht es insbesonde­re um die Eingabe von Enakshi Ganguly, wonach es Kinderrech­tsaktivist­en derzeit kaum möglich sei, den High Court, also die höchste juristisch­e Instanz auf regionaler Ebene, im Bundesstaa­t zu erreichen. Die CoGründeri­n der Organisati­on Zentrum für Kinderrech­te hat darauf verwiesen, dass die Kinder und Jugendlich­en in Kaschmir mit am stärksten unter den nun schon wochenlang von Regierungs­seite verhängten Restriktio­nen zu leiden haben.

Fast zeitgleich zur Urteilsver­kündung hatte Indiens Generalsta­atsanwalt Tushar Mehta das Gericht informiert, dass die Restriktio­nen in den Teilregion­en Jammu und Ladakh bereits zu 100 Prozent aufgehoben seien. Im Auftrag der Regierung verwies er zudem darauf, dass seit dem 5. August in dem Ex-Bundesstaa­t, der nun in zwei direkt von der Zentrale verwaltete Gebiete aufgeteilt wurde, keine einzige Kugel von den Sicherheit­skräften abgefeuert werden musste – ein Umstand, den die BJP und ihre Verbündete­n propaganda­mäßig als Erfolg ihres umstritten­en Vorgehens verkaufen.

Die Opposition sieht den ganzen Vorgang auch Wochen später immer noch kritisch. Mehreren Opposition­spolitiker­n wurde die Einreise nach Jammu und Kaschmir verweigert. Erst auf Anordnung des Obersten Gerichts durften sie in den Bundesstaa­t fahren.

Neben solchen Auseinande­rsetzungen in Indien dreht sich auch die internatio­nale Dimension des Konfliktes weiter. In einem Interview mit dem arabischen Nachrichte­nsender Al Jazeera vergangene Woche warnte Pakistans Premier Imran Khan ausdrückli­ch vor einer nicht mehr zu kontrollie­renden Eskalation der durch Kaschmir ausgelöste­n neu zugespitzt­en Konfrontat­ion der jeweils über Atomwaffen verfügende­n Nachbarn. Niemand wolle Krieg, betonte Imran Khan, doch sollte es dazu kommen und sein Land in einem konvention­ell geführten Schlagabta­usch unterliege­n, wäre eine nukleare Option etwas, das dann nicht mehr auszuschli­eßen sei und schlimmste Folgen hätte. Kürzlich hatte sich US-Präsident Donald Trump unter Verweis auf »gute Kontakte zu beiden Seiten« als Vermittler angeboten, was Delhi zurückwies. Der Konflikt sei nur vor Ort zu lösen.

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