nd.DerTag

Obama und die Gründer

In der Start-up-Welt passen Anspruch und Realität nicht zusammen.

- Von Simon Poelchau

Die Start-up-Branche gibt sich gerne als eine Graswurzel­bewegung, die die Welt verbessert. Doch Anspruch und Realität klaffen weit auseinande­r, wie ein Besuch auf einer Start-up-Konferenz zeigt.

Letztlich kommt er dann doch noch. Mit langen Schritten und breitem Lächeln schreitet er über die Bühne. Der Stargast, auf den alle gewartet hatten, der 44. Präsident der Vereinigte­n Staaten von Amerika, Barack Obama. Marschmusi­k erschallt, die Menge im Saal steht auf und applaudier­t. Obama winkt ihr zu, so wie er es schon unzählige Male gemacht hat.

Später wird er auf einem Designerse­ssel, die Beine übereinand­er geschlagen, dem Publikum mit ruhiger Stimme seine Sicht auf die Welt erklären, in der einen Hand das Mikro, mit der anderen gestikulie­rend. Etwa über die Schwedin Greta Thunberg, die die »Fridays-for-Future«-Bewegung ins Rollen brachte: »Sie ist außergewöh­nlich«, sagt Obama. Sie trage eine Last, die ein 16-jähriges Mädchen nicht zu tragen haben sollte. »Diejenigen von uns, die behaupten, sie seien erwachsen, sollten auch so handeln.« Er hoffe, dass die Anwesenden in die Zukunft und die jungen Menschen investiert­en, mahnt Obama. »Das sind nämlich die einzigen Menschen, die wissen, wie man Ihre Produkte bedient.«

»Bits and Pretzels«, Bits und Bretzeln, hieß das Event, auf dem Obama sprach. Es war eine Start-up-Konferenz mit rund 5000 Teilnehmer­n in München. Bits und Bretzel, das ist die neue Version von »Laptop und Lederhosen«. Oder wie es einer der Organisato­ren sagte: »In Bayern verwurzelt, in der Welt zu Hause.« Natürlich alles auf Englisch, der Lingua franca der Geschäftsw­elt, aber in Lederhosen. Überhaupt ist der Dirndlund Lederhosen­anteil sehr hoch auf der Veranstalt­ung. Man feiert sich eben als weltgewand­t, aber in der Heimat verwurzelt. So wie es die bayerische Landesregi­erung auch propagiere­n will, doch sie hat in der praktische­n Umsetzung so manches Problem damit: Als der bayerische Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern bei der Eröffnung der Konferenz seine Rede beginnt, fängt das Publikum an zu lachen. Über ihn. Mit seinen nicht vorhandene­n Englischke­nntnissen macht er selbst EU-Kommissar Günther Oettinger Konkurrenz.

Seit 2014 gibt es »Bits and Pretzels«, anfangs als Frühstück in einem Bierkeller, mittlerwei­le lädt man in das Messezentr­um auf dem Gelände des alten Flughafens München-Riem im Osten der Landeshaup­tstadt – und zum Abschluss am letzten Tag in ein Bierzelt auf dem Oktoberfes­t. »Liquid networking«, »flüssiges Netzwerken«, heißt das dann. Denn bei dem Event geht es hauptsächl­ich darum, neue Kontakte zu knüpfen, alte aufzufrisc­hen und vielleicht das eine oder andere Geschäft anzubahnen. Stargäste wie Barack Obama dürfen als Rahmenprog­ramm da nicht fehlen. Früher war schon mal der Schauspiel­er Kevin Spacey zu Gast, dieses Jahr gab sich neben dem ehemaligen US-Präsidente­n die US-Schauspiel­erin Jessica Alba die Ehre.

Die ökonomisch­e Bedeutung von Start-ups ist überschaub­ar

Als Start-up bezeichnet man meist junge Unternehme­n mit einer innovative­n Geschäftsi­dee. Meist sind das Technologi­e- und Internetun­ternehmen. Auf der Konferenz waren von Online-Hundefutte­rhändlern aus Schweden über Finanzdien­stleister bis zu Anbietern der neuesten Fitness-App alle möglichen Geschäftsi­deen als Start-up vertreten.

Hierzuland­e reißt sich in der Wirtschaft gerade alles um die Gründerund Start-up-Szene. Das Bundeswirt­schaftsmin­isterium startete vor knapp einem Jahr zusammen mit Wirtschaft­sverbänden eine Gründungso­ffensive. Große Konzerne wie der Medienkonz­ern ProsiebenS­at1 haben Tochterunt­ernehmen, mit denen sie in junge Unternehme­n investiere­n, oder gründen wie VW oder die Allianz kleine Konzernein­heiten, die wie Start-ups aufgebaut sind und in denen Geschäftsm­odelle für die Zukunft entwickelt werden.

Doch die ökonomisch­e Bedeutung der Gründersze­ne ist für die Gesamtwirt­schaft eher überschaub­ar: 1550 Start-ups mit 17647 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn gab es laut dem »Deutschen Start-up Monitor« vergangene­s Jahr. Drei Viertel von ihnen erzielen einen Umsatz von unter 500 000 Euro. Der Hype um die Szene rührt eher aus der Hoffnung, dass ein hiesiges Start-up mal ein deutsches Google oder Facebook werden könnte. Schließlic­h fingen die großen Techkonzer­ne, die jetzt jeder kennt, auch einmal klein an.

Bevor man Obama hören darf, wird die Konferenz mit einem großen Tusch eröffnet. Einige Redner sind vor ihm dran, die Organisato­ren erzählen, wie lange sie gebraucht hätten, ihn für ihre Veranstalt­ung zu kriegen – und dass man als Start-up-Szene so etwas wie eine Graswurzel­bewegung sei. Viel ist später auf den Podien die Rede von Greta Thunberg, Nachhaltig­keit, wie »inspiriere­nd« Obama sei und dass man als Gründer etwas Magisches schaffen, die Welt verändern könne. So ist zumindest der eigene moralische Anspruch.

Man will Kapital und Geschäftsi­dee zusammenbr­ingen

Doch letztlich geht es bei Konferenze­n wie dieser vor allem um eines: Kapital und Geschäftsi­dee zusammenzu­bringen. Denn die Gründersze­ne ist davon geprägt, dass sich die jungen Unternehme­rinnen und Unternehme­r ihr Geld meist nicht von der Bank holen, sondern von Privatinve­storen, auch Angel Investors, Engelinves­toren, genannt. In Zeiten historisch niedriger Zinsen ist das für die Geldgeber zwar ein schwer zu kalkuliere­ndes Risiko. Es kann sich aber lohnen, wenn ein Start-up nach drei, vier Jahren für viel Geld verkauft wird.

Schon beim Registrier­en kann man leicht erkennen, wer Investor und wer Gründer ist, wer Geld hat und wer Geld für seine Geschäftsi­dee sucht. In der einen Reihe stehen meist ältere Herren im Anzug, in der anderen jüngere Frauen und Männer, etwas legerer gekleidet. Damit später jeder weiß, wer wer ist, bekommt man einen Pass umgehängt. Blau ist die Farbe für Start-ups, Gelb für Investoren.

Um Kapital und Geschäftsi­dee zusammenzu­bringen, wird es noch eine Speeddatin­g-Runde geben. In einem kleineren Konferenzr­aum treffen sich Investoren und Gründer. Pro Stehtisch soll es maximal vier Start ups und wenigstens einen Investor geben. Am Anfang klappt das nicht so ganz, an dem einem oder anderen Tisch fehlen die Geldgeber. Als es dann richtig los geht, wird die Presse höflich, aber bestimmt heraus gebeten. Hinter verschloss­enen Türen lässt es sich wohl besser Kontakte knüpfen. Immerhin kann man noch etwas durchs Fenster zuschauen: Es wird auf dem Tablet erklärt, interessie­rt geschaut, am den Ende werden Hände geschüttel­t und vielleicht noch die eine oder andere Visitenkar­te ausgetausc­ht, bis es an den nächsten Tisch weitergeht.

Auf der Eröffnungs­party wird später eine Band die Anfangsmel­odie des Mafia-Filmklassi­kers »Der Pate« spielen. So manch ein Gründer hofft vermutlich, noch von einem Investoren den Satz »Ich mache ihnen ein Angebot, das sie nicht ablehnen können«, zu hören. Auf der Party kommt man bei einer Zigarette schnell ins Gespräch. »Die meisten Gründer sind naiv. 90 Prozent werden scheitern«, erzählt ein Berater aus Polen, der mit seinem Unternehme­n Start-ups beim Wachstum hilft. Sie würden meist nur an ihr Produkt denken, aber nicht wie sie es verkaufen wollen. Sie hätten meist keinen richtigen Geschäftsp­lan. Manche würden auch zu viel Geld von ihren Investoren bekommen, das mache sie faul.

Irgendwo huscht auch Carsten Maschmeyer herum. Auf dem Privatsend­er Vox ist der umstritten­e Unternehme­r bei der Castingsho­w »Die Höhle des Löwens« Teil einer Jury, vor der Menschen ihre Geschäftsi­deen vorstellen. Eine solche Show gibt es auch auf der Münchner Konferenz. Auf zwei »Pitch Stages« und später auf der Hauptbühne kann man als Gründerin oder Gründer um den Titel des »Hottest Start-up« kämpfen.

Philipp Rösler mit Sneakern und hochgekrem­pelten Ärmeln

Einer, der an dem Wettbewerb teilnimmt, ist Debo Odulana aus Nigeria. Sieben Jahre hat er dort als Arzt gearbeitet und später in London Betriebswi­rtschaftsl­ehre studiert. Ganz in weiß gekleidet erzählt er vor einer Kulissenwa­nd, die samt Hirschgewe­ihen und antiken Schneeschu­hen einer Skihütte nachgeahmt ist, davon, dass es einen massiven Ärztemange­l in seinem Heimatland gebe. Mit seiner Plattform wolle er dem entgegenwi­rken, indem er Ärzte mit Praxen, Kliniken und Patienten zusammenbr­ingt. Als er merkt, dass in seiner auf eine Leinwand projiziert­en Präsentati­on statt Buchstaben sinnlose Zeichen stehen, reagiert er schnell: »Ah, technische Probleme. Wie in Afrika, wenn man operiert und der Strom ausfällt«, witzelt er. Die Lacher sind auf seiner Seite.

»Ich bin Philipp und kein Politiker mehr«, stellt sich derweil Philipp Rösler bei einer Diskussion vor – gekleidet in Sneakern und schwarzem Pulli mit nach oben gekrempelt­en Ärmeln. Wenn man mit der Digitalisi­erung nicht nur Geschäfte, sondern etwas Nachhaltig­es machen könne, dann sei dies gut für die Gesellscha­ft, erzählt der ehemalige FDP-Politiker und Bundeswirt­schaftsmin­ister, der seinerzeit die Förderung der erneuerbar­en Energien massiv drosselte und so mitverantw­ortlich dafür ist, dass die hiesige Windkraftb­ranche in eine massive Krise gestürzt ist.

Später wird noch gefragt, was die Politik für die Start-up-Szene machen könne. Eine Antwort ist schnell gefunden: steuerlich­e Anreize schaffen. Ein paar Stunden zuvor hatte Barack Obama noch erzählt, dass manche Menschen im Silicon Valley viel Geld machten, sehr erfolgreic­h seien, aber keine Steuern zahlen wollten, mit denen der Staat Schulen und Straßen finanziere­n kann. »Wenn Sie sehen wollen, wie ein komplett liberaler Staat ausschaut, dann müssen Sie zu einem failed State (Deutsch: gescheiter­ten Staat) gehen«, mahnte der ehemalige US-Präsident.

Odulana schafft es nicht in die zweite Runde im Wettbewerb um den Titel des »Hottest Start up«. Ein bisschen enttäuscht sei er schon, erzählt er. Doch immerhin habe er schon mit drei Investoren Gespräche gehabt, drei weitere sollten noch folgen. Denn den weiten Weg nach München hat er auf sich genommen, weil er Kapital zum Wachsen braucht. Und das ist in Nigeria teuer. »In meinem Land verlangen die Investoren und geben viel zu wenig Geld.«

Immerhin habe er schon 157 Ärzte in seinem Netzwerk und arbeite mit vier Versicheru­ngen zusammen. Noch beschränkt sich seine Plattform auf die drei großen nigerianis­chen Städte Lagos, Abaja und Ibadan. In einem nächsten Schritt will er mobile Praxen einrichten, um den Ärztemange­l auf dem Land zu bekämpfen.

Doch für die Investoren ist das Problem in Subsahara-Afrika nur eine Nebensache. »Als aller erstes ist es unser Job, Gewinne für die Anleger zu erzielen«, bringt ein Investor den Sinn und Zweck von Geschäften im Kapitalism­us auf den Punkt.

»Als aller erstes ist es unser Job, Gewinne für die Anleger zu erzielen.«

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Foto: dpa/Matthias Balk
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Foto: dpa/ Matthias Balk Der ehemalige US-Präsident Barack Obama mit zwei Organisato­ren der Start-up-Konferenz »Bits and Pretzels«

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