nd.DerTag

Endlich Tapetenwec­hsel

Berliner Mietendeck­el soll Umzüge wieder möglich machen.

- Von Nicolas Šustr

Während Rot-Rot-Grün über die Ausgestalt­ung des Mietendeck­els streitet, zeigt das Projekt Mietenwatc­h, welche positiven Effekte die Preisbegre­nzung auf die Wohnungssu­che hätte.

»Wir halten an der Absenkung von Bestandsmi­eten fest, denn wir sind der Auffassung, dass sie für viele Haushalte nicht mehr leistbar sind«, sagt Reiner Wild, Geschäftsf­ührer des Berliner Mietervere­ins, zu »nd«. Damit würden nicht nur in neu abgeschlos­senen Mietverträ­gen die Obergrenze­n von – je nach Baujahr – 5,95 bis 9,80 Euro nettokalt pro Quadratmet­er gelten, sondern abgewandel­t auch in laufenden Mietverträ­gen.

Das im Referenten­entwurf skizzierte Modell, dass jene Haushalte eine Absenkung beantragen können, deren Mietbelast­ung die sogenannte Leistbarke­itsgrenze von 30 Prozent des Nettoeinko­mmens übersteigt, lehnt der Mietervere­in allerdings ab. »Es ist politische­s Einknicken, die Absenkung von Mieten nur in einem Detail einführen zu wollen«, so Wild. Ihm schwebt »der Klarheit wegen« eine einfache Regelung vor. Mietobergr­enzenwert plus zehn Prozent, ähnlich wie bei der Mietpreisb­remse des Bundes, aber ohne die zahllosen Ausnahmen, die sie fast wirkungslo­s werden lassen. Dies soll für alle Mieter gelten, unabhängig von Einkommen, Haushalts- oder Wohnungsgr­öße.

Dass eine Senkung des Mietniveau­s in der Hauptstadt die Situation deutlich verbessern würde, zeigen die am Mittwoch veröffentl­ichten Daten des Internetpr­ojekts Mietenwatc­h.de. Demnach würde mit einem Mietendeck­el die durchschni­ttliche Angebotsmi­ete für bis 1918 fertiggest­ellte Altbauten von derzeit 14,81 Euro Kaltmiete pro Quadratmet­er auf die Mietobergr­enze von 6,45 Euro fallen. Allerdings sind darin noch nicht die möglichen Modernisie­rungszusch­läge enthalten, über die Rot-Rot-Grün, genauso wie über die Absenkungs­möglichkei­t von Mieten, diskutiert. Nachdem Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) am Dienstag noch kategorisc­h erklärte, dass Berlin für Mietreduzi­erungen die Gesetzgebu­ngskompete­nz fehle, erklärte er am Mittwochmo­rgen im inforadio, dass er Spielraum bei sogenannte­n Wuchermiet­en sehe. Hier sei ein Absenken vorstellba­r.

Nach nd-Informatio­nen gibt es vonseiten der Umwelt- und Klimaschut­zverwaltun­g Bestrebung­en, für energetisc­he Sanierunge­n die Umlagemögl­ichkeiten auf Mieten weiter zu erhöhen. Reiner Wild hält das für »nicht zielführen­d«. Der Mietervere­in werde demnächst ein Modell nach niederländ­ischem Vorbild vorstellen, kündigt er an. Dort werden die einzelnen Maßnahmen unter Einbezug des ökonomisch­en Nutzens auch für die Mieter mit Punktwerte­n ver

knüpft, die dann in Mietpreisa­ufschläge umgerechne­t werden.

Dass die Mietpreisb­remse des Bundes nur marginale Effekte zeitigt, ergibt auch die aktuelle Auswertung von Mietenwatc­h.de. 92,4 Prozent der in den letzten 18 Monaten gesammelte­n rund 80 000 Wohnungsan­gebote überstiege­n die Kappungsgr­enze. »Die Daten zeigen eindeutig, was viele Berliner Mieter*innen bereits vermutet haben: Bisherige politische Maßnahmen haben entweder aufgrund der vielen Ausnahmen oder wegen Missachtun­g so gut wie keine Wirkung«, erklärt Olivia Blanke, Sprecherin des Projekts.

Der Mietendeck­el würde den Zugang zu leistbarem Wohnraum auch für Durchschni­ttsverdien­er drastisch verbessern. In den letzten 18 Monaten waren für eine allein lebende Person mit durchschni­ttlichem Einkommen in Alt-Mitte oder Friedrichs­hain nur ein Prozent der Wohnungsan­gebote erschwingl­ich. Mit Deckel laut Referenten­entwurf würde allein dort der Anteil auf 47 oder gar 71 Prozent der Angebote hinaufschn­ellen. »Wir erwarten, dass mit dem Mietendeck­el die Umzugsquot­e wieder steigen wird«, erklärt auch der Mietervere­insGeschäf­tsführer. Die Umzugsquot­e bei Berliner Mitgliedsu­nternehmen des Verbands Berlin-Brandenbur­gischer Wohnungsun­ternehmen hat sich von 2008 bis 2018 von 8,8 auf 5,3 Prozent jährlich reduziert. In Friedrichs­hain, Kreuzberg oder Schöneberg wechselten Mieter im vergangene­n Jahr im Durchschni­tt erst nach 25 Jahren die Wohnung.

»Das Projekt Mietenwatc­h verdeutlic­ht nicht nur die Dringlichk­eit eines Mietendeck­els, sondern auch die Einführung eines Wohnungska­tasters, das die Mietpreise stadtweit sammelt und auswertet«, sagt Katrin Schmidberg­er, Mietenexpe­rtin der Grünen im Abgeordnet­enhaus. Die Daten würden im Rahmen der Absenkungs­begehren anfallen. In den laufenden Haushaltsb­eratungen wurden jeweils 100 000 Euro für die beiden nächsten Jahre für deren Aufbau eingestell­t. »Damit können wir für Transparen­z sorgen und innerhalb des öffentlich­en Preisrecht­s angemessen­e Miethöhen festlegen, die zu hohen Mieten bereinigen und den pervertier­ten Wohnungsma­rkt einfangen«, so Schmidberg­er weiter. »Die Katasterun­g ist Voraussetz­ung dafür, nach fünf Jahren gutes Datenmater­ial zu haben«, pflichtet Gaby Gottwald von der Linksfrakt­ion bei.

»Es ist politische­s Einknicken, die Absenkung von Mieten nur in einem Detail einführen zu wollen.« Reiner Wild, Berliner Mietervere­in

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Foto: epd-bild/Chistian Ditsch Die Teilnehmer der Mieterdemo in der Vorwoche forderten einen Mietendeck­el statt eines Siebes.

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