Mord an Jom Kippur
Tote und Schwerverletzte bei Anschlag auf Synagoge in Halle an der Saale
Berlin. In Halle an der Saale erschossen Unbekannte am Mittwochmittag eine Frau nahe einer Synagoge und einen Mann in einem Dönerimbiss. Die mutmaßlichen Täter konnten zunächst fliehen. Neben den Todesopfern hat es zwei Schwerverletzte gegeben. Zeugen hatten zudem von einer Explosion auf dem jüdischen Friedhof der Stadt berichtet.
Die Polizei Halle konnte eine Person festnehmen, machte bis zum Redaktionsschluss aber keine Angaben zu möglichen Hintergründen. Wegen der »besonderen Bedeutung des Falls« hat inzwischen die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernommen.
Der Angriff hat sich laut dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Halle, Max Privorozki, direkt gegen die Synagoge gerichtet. »Wir haben über die Kamera unserer Synagoge gesehen, dass ein schwer bewaffneter Täter mit Stahlhelm und Gewehr versucht hat, unsere Türen aufzuschießen«, sagte Privorozki der »Stuttgarter Zeitung«. Wegen des höchsten jüdischen Feiertags Jom Kippur hätten sich 70 bis 80 Menschen in der Synagoge aufgehalten. Auch im rund 15 Kilometer entfernten Landsberg (Saalekreis) hat es Schüsse gegeben. Die Bundespolizei verstärkte ihre Kontrollen an Bahnhöfen und Flughäfen in Mitteldeutschland. Die Bevölkerung in Halle wurde aufgerufen, an sicheren Orten zu verweilen. Die Stadtverwaltung in Halle sprach von einer »Amoklage«. Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) berief einen »Stab für Außergewöhnliche Ereignisse« ein. Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) zeigte sich betroffen und sprach den Angehörigen der Opfer sein Mitgefühl aus. Die Grünen forderten eine Sondersitzung des Geheimdienstausschusses im Bundestag. UNGeneralsekretär António Guterres verurteilte die Schüsse als »tragische Demonstration von Antisemitismus«.
Ein Angriff in Sachsen-Anhalt hat am Mittwoch mindestens zwei Menschen das Leben gekostet. Erstes Ziel war offenbar eine Synagoge in Halle. Danach jagte die Polizei stundenlang nach den Tätern.
Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) sprach am Mittwochnachmittag von einer »Amoklage«. Er hat den Stab für Außergewöhnliche Ereignisse einberufen, nachdem mehrere Männer vor der Synagoge in Halle mit einem Maschinengewehr auf Menschen geschossen hatten. Dabei waren zwei Menschen getötet worden.
Ein Augenzeuge berichtete, dass einer der Täter auch Gegenstände über die Mauer des nahe gelegenen jüdischen Friedhofs geworfen und es daraufhin mehrere Detonationen gegeben habe. Mindestens einer der Angreifer soll eine militärische Kampfuniform getragen und »mehrere Waffen« gehabt haben. Ein Video der Tat, das am Mittwoch kursierte, zeigt offenbar einen Teil des Angriffs. Zu sehen ist darauf ein Mann in einer dunklen polizeiartigen Uniform mit Schutzhelm, der aus einem Auto steigt und offenbar mit einer Schrotflinte schießt.
Laut Polizeiangaben starb eine Frau in der Humboldtstraße rund 30 Meter von der Synagoge entfernt. Das andere Opfer – ein Mann – befand sich gerade in einem nahe gelegenen Dönerladen in der Ludwig-WuchererStraße, als ihn die tödlichen Schüsse trafen. Ein Zeuge berichtete dem Fernsehsender n-tv, dass ein mit Sturmmaske und Helm bekleideter Mann mit einem Sturmgewehr in den Imbiss geschossen hatte. Zuvor habe der Angreifer eine Art Sprengsatz geworfen, der aber an der Fassade abgeprallt und explodiert sei. In dem Dönerimbiss hätten sich insgesamt fünf bis sechs Gäste aufgehalten, sagte der Zeuge. Er selbst habe sich in der Toilette versteckt.
Zwei Menschen erlitten bei den Angriffen Schussverletzungen. Sie wurden in das Universitätsklinikum eingeliefert und sogleich operiert. Ob Lebensgefahr bestand, war bis Redaktionsschluss unklar.
Die Täter sollen versucht haben, in die Synagoge einzudringen. Max Privorotzki, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Halle erklärte gegenüber »Spiegel Online«, dass die Sicherungsvorkehrungen am Eingang »dem Angriff standgehalten« hätten. Zum Tatzeitpunkt gegen 12 Uhr hätten sich etwa 70 bis 80 Personen zum Gebet in der Synagoge befunden. Der Anschlag in Halle fiel auf Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag.
Die Polizei fahndete sofort »mit Hochdruck« nach den mutmaßlichen Tätern, die in einem Auto auf der Flucht waren. Schwer bewaffnete Einsatzkräfte durchkämmten das Paulusviertel im Norden von Halle.
Am frühen Nachmittag meldete die Polizei dann die Festnahme einer Person. Die »Bild«-Zeitung berichtete, dass einer der Täter auf der B 91 zwischen Deuben und Werschen (Burgenlandkreis) einen Unfall mit einem Lkw gehabt habe. In seinem Wagen sollen sich laut »Bild« weitere Waffen befunden haben.
»Bleiben Sie trotzdem weiterhin wachsam«, twitterte die Polizei und rief die Bevölkerung auf, in ihren Wohnungen oder an ihrem Arbeitsplatz zu bleiben. Auch das mobile Warn- und Informationssystem Katwarn wendete sich mit einer »Gefahrendurchsage« an die Bevölkerung. »Gebäude und Wohnungen nicht verlassen. Von Fenster(n) und Türen fern bleiben!«
In welche Richtung die Täter flüchteten, war zunächst nicht bekannt. Der Hauptbahnhof wurde wegen des Polizeieinsatzes gesperrt, wie die Bahn mitteilte. Auch der Nahverkehrsbetrieb stellte seinen Liniendienst ein. Halle stand still.
Das Lagezentrum der Landesregierung warnte am frühen Nachmittag vor einem »Schusswaffengebrauch im Bereich Landsberg«, rund 15 Kilometer östlich von Halle. Anwohner wurden dort ebenfalls aufgefordert, Gebäude und Wohnungen nicht zu verlassen. Zu den näheren Umständen des Vorfalls in dem Ort im Saalekreis wollte sie zunächst nichts sagen.
Die Bundespolizei verstärkte derweil ihre Kontrollen an Bahnhöfen und Flughäfen in ganz Mitteldeutschland. Das gelte auch für die Verkehrswege nach Polen und Tschechien, teilte die Bundespolizei Mitteldeutschland mit.
Die Bundesanwaltschaft übernahm die Ermittlungen. Sie ermittelt wegen Mordes von besonderer Bedeutung. Ein antisemitisches Motiv konnte bislang noch nicht bestätigt werden.
In Leipzig sollte trotz der Gefahrensituation am Abend das Lichtfest mit Zehntausenden Teilnehmern stattfinden, um an die friedliche Revolution in der DDR zu erinnern. Auch der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hielt sich in der sächsischen Stadt auf. Das Sicherheitskonzept sei auch auf Geschehnisse wie in Halle vorbereitet, teilte die Polizei mit. Die Zahl der Einsatzkräfte sei erhöht worden. Es gebe aktuell aber keine Bedrohungslage, hieß es.
Die Hintergründe der tödlichen Schüsse waren laut Bundesinnenministerium zunächst unklar. Die Bundesanwaltschaft übernahm die Ermittlungen, wie die Behörde in Karlsruhe mitteilte. Sie ermittele wegen Mordes von besonderer Bedeutung. Ein antisemitisches Motiv konnte bislang noch nicht bestätigt werden.