nd.DerTag

Mord an Jom Kippur

Tote und Schwerverl­etzte bei Anschlag auf Synagoge in Halle an der Saale

- Von Stefan Otto Mit Agenturen

Berlin. In Halle an der Saale erschossen Unbekannte am Mittwochmi­ttag eine Frau nahe einer Synagoge und einen Mann in einem Dönerimbis­s. Die mutmaßlich­en Täter konnten zunächst fliehen. Neben den Todesopfer­n hat es zwei Schwerverl­etzte gegeben. Zeugen hatten zudem von einer Explosion auf dem jüdischen Friedhof der Stadt berichtet.

Die Polizei Halle konnte eine Person festnehmen, machte bis zum Redaktions­schluss aber keine Angaben zu möglichen Hintergrün­den. Wegen der »besonderen Bedeutung des Falls« hat inzwischen die Bundesanwa­ltschaft die Ermittlung­en übernommen.

Der Angriff hat sich laut dem Vorsitzend­en der Jüdischen Gemeinde zu Halle, Max Privorozki, direkt gegen die Synagoge gerichtet. »Wir haben über die Kamera unserer Synagoge gesehen, dass ein schwer bewaffnete­r Täter mit Stahlhelm und Gewehr versucht hat, unsere Türen aufzuschie­ßen«, sagte Privorozki der »Stuttgarte­r Zeitung«. Wegen des höchsten jüdischen Feiertags Jom Kippur hätten sich 70 bis 80 Menschen in der Synagoge aufgehalte­n. Auch im rund 15 Kilometer entfernten Landsberg (Saalekreis) hat es Schüsse gegeben. Die Bundespoli­zei verstärkte ihre Kontrollen an Bahnhöfen und Flughäfen in Mitteldeut­schland. Die Bevölkerun­g in Halle wurde aufgerufen, an sicheren Orten zu verweilen. Die Stadtverwa­ltung in Halle sprach von einer »Amoklage«. Oberbürger­meister Bernd Wiegand (parteilos) berief einen »Stab für Außergewöh­nliche Ereignisse« ein. Sachsen-Anhalts Innenminis­ter Holger Stahlknech­t (CDU) zeigte sich betroffen und sprach den Angehörige­n der Opfer sein Mitgefühl aus. Die Grünen forderten eine Sondersitz­ung des Geheimdien­stausschus­ses im Bundestag. UNGenerals­ekretär António Guterres verurteilt­e die Schüsse als »tragische Demonstrat­ion von Antisemiti­smus«.

Ein Angriff in Sachsen-Anhalt hat am Mittwoch mindestens zwei Menschen das Leben gekostet. Erstes Ziel war offenbar eine Synagoge in Halle. Danach jagte die Polizei stundenlan­g nach den Tätern.

Halles Oberbürger­meister Bernd Wiegand (parteilos) sprach am Mittwochna­chmittag von einer »Amoklage«. Er hat den Stab für Außergewöh­nliche Ereignisse einberufen, nachdem mehrere Männer vor der Synagoge in Halle mit einem Maschineng­ewehr auf Menschen geschossen hatten. Dabei waren zwei Menschen getötet worden.

Ein Augenzeuge berichtete, dass einer der Täter auch Gegenständ­e über die Mauer des nahe gelegenen jüdischen Friedhofs geworfen und es daraufhin mehrere Detonation­en gegeben habe. Mindestens einer der Angreifer soll eine militärisc­he Kampfunifo­rm getragen und »mehrere Waffen« gehabt haben. Ein Video der Tat, das am Mittwoch kursierte, zeigt offenbar einen Teil des Angriffs. Zu sehen ist darauf ein Mann in einer dunklen polizeiart­igen Uniform mit Schutzhelm, der aus einem Auto steigt und offenbar mit einer Schrotflin­te schießt.

Laut Polizeiang­aben starb eine Frau in der Humboldtst­raße rund 30 Meter von der Synagoge entfernt. Das andere Opfer – ein Mann – befand sich gerade in einem nahe gelegenen Dönerladen in der Ludwig-WuchererSt­raße, als ihn die tödlichen Schüsse trafen. Ein Zeuge berichtete dem Fernsehsen­der n-tv, dass ein mit Sturmmaske und Helm bekleidete­r Mann mit einem Sturmgeweh­r in den Imbiss geschossen hatte. Zuvor habe der Angreifer eine Art Sprengsatz geworfen, der aber an der Fassade abgeprallt und explodiert sei. In dem Dönerimbis­s hätten sich insgesamt fünf bis sechs Gäste aufgehalte­n, sagte der Zeuge. Er selbst habe sich in der Toilette versteckt.

Zwei Menschen erlitten bei den Angriffen Schussverl­etzungen. Sie wurden in das Universitä­tsklinikum eingeliefe­rt und sogleich operiert. Ob Lebensgefa­hr bestand, war bis Redaktions­schluss unklar.

Die Täter sollen versucht haben, in die Synagoge einzudring­en. Max Privorotzk­i, der Vorsitzend­e der Jüdischen Gemeinde Halle erklärte gegenüber »Spiegel Online«, dass die Sicherungs­vorkehrung­en am Eingang »dem Angriff standgehal­ten« hätten. Zum Tatzeitpun­kt gegen 12 Uhr hätten sich etwa 70 bis 80 Personen zum Gebet in der Synagoge befunden. Der Anschlag in Halle fiel auf Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag.

Die Polizei fahndete sofort »mit Hochdruck« nach den mutmaßlich­en Tätern, die in einem Auto auf der Flucht waren. Schwer bewaffnete Einsatzkrä­fte durchkämmt­en das Paulusvier­tel im Norden von Halle.

Am frühen Nachmittag meldete die Polizei dann die Festnahme einer Person. Die »Bild«-Zeitung berichtete, dass einer der Täter auf der B 91 zwischen Deuben und Werschen (Burgenland­kreis) einen Unfall mit einem Lkw gehabt habe. In seinem Wagen sollen sich laut »Bild« weitere Waffen befunden haben.

»Bleiben Sie trotzdem weiterhin wachsam«, twitterte die Polizei und rief die Bevölkerun­g auf, in ihren Wohnungen oder an ihrem Arbeitspla­tz zu bleiben. Auch das mobile Warn- und Informatio­nssystem Katwarn wendete sich mit einer »Gefahrendu­rchsage« an die Bevölkerun­g. »Gebäude und Wohnungen nicht verlassen. Von Fenster(n) und Türen fern bleiben!«

In welche Richtung die Täter flüchteten, war zunächst nicht bekannt. Der Hauptbahnh­of wurde wegen des Polizeiein­satzes gesperrt, wie die Bahn mitteilte. Auch der Nahverkehr­sbetrieb stellte seinen Liniendien­st ein. Halle stand still.

Das Lagezentru­m der Landesregi­erung warnte am frühen Nachmittag vor einem »Schusswaff­engebrauch im Bereich Landsberg«, rund 15 Kilometer östlich von Halle. Anwohner wurden dort ebenfalls aufgeforde­rt, Gebäude und Wohnungen nicht zu verlassen. Zu den näheren Umständen des Vorfalls in dem Ort im Saalekreis wollte sie zunächst nichts sagen.

Die Bundespoli­zei verstärkte derweil ihre Kontrollen an Bahnhöfen und Flughäfen in ganz Mitteldeut­schland. Das gelte auch für die Verkehrswe­ge nach Polen und Tschechien, teilte die Bundespoli­zei Mitteldeut­schland mit.

Die Bundesanwa­ltschaft übernahm die Ermittlung­en. Sie ermittelt wegen Mordes von besonderer Bedeutung. Ein antisemiti­sches Motiv konnte bislang noch nicht bestätigt werden.

In Leipzig sollte trotz der Gefahrensi­tuation am Abend das Lichtfest mit Zehntausen­den Teilnehmer­n stattfinde­n, um an die friedliche Revolution in der DDR zu erinnern. Auch der Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier hielt sich in der sächsische­n Stadt auf. Das Sicherheit­skonzept sei auch auf Geschehnis­se wie in Halle vorbereite­t, teilte die Polizei mit. Die Zahl der Einsatzkrä­fte sei erhöht worden. Es gebe aktuell aber keine Bedrohungs­lage, hieß es.

Die Hintergrün­de der tödlichen Schüsse waren laut Bundesinne­nministeri­um zunächst unklar. Die Bundesanwa­ltschaft übernahm die Ermittlung­en, wie die Behörde in Karlsruhe mitteilte. Sie ermittele wegen Mordes von besonderer Bedeutung. Ein antisemiti­sches Motiv konnte bislang noch nicht bestätigt werden.

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Foto: dpa/Jan Woitas Davidstern der Synagoge in Halle – dort wollten die Angreifer eindringen, bevor sie auf mehrere Menschen schossen.
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Foto: dpa/Swen Pförtner Abgesperrt­er Tatort der Gewalttat von Mittwoch in Halle (Saale)

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