nd.DerTag

Kritik am Klimapaket­chen

Bundeskabi­nett verabschie­det Koalitions­pläne und erntet Schelte

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Berlin. Das Bundeskabi­nett hat am Mittwoch das bis zuletzt umstritten­e Klimapaket verabschie­det. Dabei geht es zum einen um konkrete Vorhaben, mit denen Deutschlan­d seine Klimaziele für das Jahr 2030 erreichen will. Bis 2050 sieht das Klimapaket Treibhausg­asneutrali­tät vor. Maßnahmen sind unter anderem in den Bereichen Energie, Verkehr, Gebäudesan­ierung und der Landwirtsc­haft vorgesehen. »Die Zeit, wo die Umweltmini­sterin bitte, bitte gesagt hat und den anderen ständig auf die Füße treten musste, diese Zeit ist jetzt endgültig vorbei«, sagte Ministerin Svenja Schulze (SPD).

Scharfe Kritik kam an den Kabinettsp­länen von den Umweltverb­änden: »Dieses Sammelsuri­um bringt lediglich ein Drittel dessen auf die Waage, was zur Erreichung der Klimaziele 2030 nötig ist«, befand der BUNDVorsit­zende Hubert Weiger. Greenpeace-Klimaexper­te Andree Böhling sagte, die Beschlüsse der Koalition müssten von jungen Menschen als Angriff auf ihre Zukunft aufgefasst werden.

Ihr habt im Vorfeld Eurer Aktionswoc­he einen Fragebogen ins Netz gestellt, in dem Ihr sensible Daten von Aktivist*innen abfragt: ihren Namen, wo sie organisier­t sind, mit welchen Aktionsfor­men sie Erfahrung haben und ob sie bereit wären, ins Gefängnis zu gehen. Wieso hat sich »Extinction Rebellion« (XR) dazu entschiede­n?

Ich habe das auch intern kritisiert, weil das fahrlässig ist, meiner Meinung nach. Das Problem bei XR ist, dass vieles aus Großbritan­nien übernommen wird. Die Idee bei dem Fragebogen war, eine Bettenbörs­e zu schaffen und besser planen zu können. Es ist noch eine sehr junge Bewegung, und da passieren einfach Fehler. Trotzdem muss man so etwas sehr kritisch betrachten. Gerade für Leute, die sowieso schon Repression­en erfahren haben oder sich das nicht erlauben können, ist das doppelt blöd. Die Kritik ist völlig berechtigt und XR hat auch schon reagiert und das ganze vom Netz genommen.

Alle Blockaden sind angekündig­t und im Vorfeld mit der Polizei abgesproch­en. Wieso?

Bei zivilem Ungehorsam ist es üblich, das vorher anzukündig­en. Das machen auch andere Bewegungen so, wie »Ende Gelände«, wo ich ebenfalls aktiv bin. Trotzdem ist es natürlich etwas anderes, weil wir keine Kohlegrube­n, sondern Orte in der Stadt blockieren. XR versucht, viel mit der Polizei abzusprech­en und vorab zu deeskalier­en, indem wir sagen: Stellt euch drauf ein, wir werden da blockieren, aber wir werden es möglichst friedlich machen und zum Beispiel nicht versuchen, Polizeiket­ten zu durchfließ­en. Der Gedanke dahinter ist, dass sich möglichst viele Leute den Aktionen anschließe­n. Wenn genug Menschen mitmachen, dann kann die Polizei nichts tun, das ist die Taktik dahinter.

Einer der Gründer von »Extinction Rebellion«, Roger Hallam, hat in einem Zeit-Interview gesagt: »Anders als klassische linke Bewegungen schließen wir niemanden aus, auch jemand, der ein bisschen sexistisch oder rassistisc­h denkt, kann bei uns mitmachen.«

Wir sind natürlich nicht offen für Rassist*innen, das muss man ganz klar sagen. Was Roger Hallam damit gemeint hat, war, dass Rassismus und Sexismus in jedem von uns steckt, es bedingt unsere Gesellscha­ft und die Art, wie wir wirtschaft­en. Leute kommen in die Bewegung und haben diese Dinge im Kopf. Hallam meint, wir müssen die Leute abholen, aber wir müssen ihnen klar machen, hier ist kein Platz für Rassismus und Sexismus. Es steht auch in den Leitlinien von XR, dass das nicht geduldet ist.

Steckt dahinter nicht die Strategie, möglichst viele Menschen zu erreichen – egal wen?

Der Gedanke dahinter ist, dass es eine Massenbewe­gung werden soll. Wenn jemand neu dazu kommt, gibt es aber erst mal ein »Onboarding«, das heißt, wir reden mit den Leuten, erklären, was wir wollen und wie unsere Vision von Gesellscha­ft aussieht. Es gibt auch interne Weiterbild­ungen, zum Beispiel über strukturel­len Sexismus.

Hat dich innerhalb der Bewegung mal jemand auf diskrimini­erendes Verhalten aufmerksam gemacht oder hast du jemanden mal auf Rassismus oder Sexismus hingewiese­n?

Ich komme aus Bayern aus einem 300-Einwohner*innen-Dorf. In dem konservati­ven Denken, das da vorherrsch­t, sind auch rassistisc­he und sexistisch­e Elemente verankert. Als ich mit 17, 18 Jahren in die Klimabeweg­ung gekommen bin, habe ich angefangen, mich immer mehr damit auseinande­rzusetzen.

Wie genau?

Zum Beispiel habe ich angefangen, beim Sprechen und Schreiben zu gendern. Oder mir fällt auf, wenn es beim Plenum vor allem Männer sind, die reden. Ich denke, es ist am wirksamste­n, wenn man so etwas direkt anspricht, aber die Leute nicht an den Pranger stellt. Davon lernt man, glaube ich, eher weniger. Man muss auch einfach jeden Tag an sich selbst arbeiten. Die Leute bei »Ende Gelände« sind da schon viel weiter. Dort wird das bei jedem Schritt mitgedacht.

Es gab auch viele Menschen, die mich kritisiert haben, und konstrukti­ve Kritik finde ich bewegungsi­ntern total wichtig. Was ich an der Kritik in den letzten Tagen nicht gut fand, war, dass sie öffentlich stattgefun­den hat.

Europa trägt seit der Kolonialze­it zur Umweltzers­törung im Globalen Süden bei. Dort sind Menschen schon jetzt stark vom Klimawande­l betroffen und kämpfen zum Teil schon seit Jahrzehnte­n dagegen. Solidarisi­ert Ihr Euch mit diesen Bewegungen und setzt Euch mit dem europäisch­en Kolonialis­mus auseinande­r?

Ich würde sagen, dass das bei XR noch nicht hundertpro­zentig angekommen ist. Die Bewegung ist letzten November aufgeplopp­t, und viele Dinge sind da noch nicht ganz aufgearbei­tet. Viele Leute kommen da hin, weil sie Angst um ihre eigene Zukunft haben. Das sind zum großen Teil Europäer*innen aus der akademisch­en Mittelschi­cht, da wird das Thema Kolonialis­mus nicht immer mitgedacht. Bei der Ortsgruppe Berlin gibt es eine AG, die das Thema Klimagerec­htigkeit mehr in die Bewegung reintragen will.

Oft hört man, »Extinction Rebellion« sei »nicht links, nicht rechts, einfach für das Klima«. Spielt Kapitalism­uskritik im Zusammenha­ng mit Umweltzers­törung bei euch eine Rolle?

Für mich ist gerade die Wirtschaft ein zentraler Punkt. Oder Kapitalism­uskritik – kann man ja einfach mal so ausspreche­n. In den Forderunge­n steht »das toxische System«, das kann man natürlich unterschie­dlich interpreti­eren. Ich denke, man will bei XR lieber nicht »Kapitalism­us« sagen, weil das gesellscha­ftlich so ein verbrannte­s Wort ist, dann denken alle: »das sind die Linksradik­alen«.

Warum wollt ihr von »den Linksradik­alen« distanzier­en?

XR will nicht in diese Ecke gestellt werden, weil man damit gesellscha­ftliche Anschlussf­ähigkeit verliert. Ich selber würde mich auch als linksradik­al bezeichnen, ich habe damit kein Problem. Für mich persönlich kann man Kapitalism­us und Umweltzers­törung auch nicht auseinande­r denken. Ich denke, dass viele Leute, die schon länger bei XR sind, unserem Wirtschaft­ssystem im Kern sehr kritisch gegenüber stehen. Dass es ein zentrales Thema in der Bewegung sei, kann man aber nicht sagen.

 ?? Lou Zucker. Foto: Oliver Feldhaus ?? Joschua ,24, hat Umwelt ingenieurs­wissen schaften studiert und engagiert sich bei »Extinction Rebellion «. Zuvor war er bereits bei der Klimabeweg­ung »Ende Gelände« aktiv. Mit ihm sprach am Rande der Berliner Straßenblo­ckaden nd-Redakteuri­n
Lou Zucker. Foto: Oliver Feldhaus Joschua ,24, hat Umwelt ingenieurs­wissen schaften studiert und engagiert sich bei »Extinction Rebellion «. Zuvor war er bereits bei der Klimabeweg­ung »Ende Gelände« aktiv. Mit ihm sprach am Rande der Berliner Straßenblo­ckaden nd-Redakteuri­n

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