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Das Zünglein an der politische­n Waage

Die indigene Bewegung Ecuadors hat in den vergangene­n 30 Jahren mehrere Präsidente­n gestürzt und spielt bei den aktuellen Demonstrat­ionen eine zentrale Rolle

- Von Katharina Schwirkus

Als Grund für die politische Krise Ecuadors gilt der Konflikt zwischen Staatschef Lenín Moreno und ExPräsiden­t Rafael Correa. Die Bedeutung der indigenen Bewegung wird unterbeleu­chtet.

Mehreren Hundert Demonstran­t*innen ist es am Dienstagab­end gelungen, das Parlament in Quito, der Hauptstadt Ecuadors, zu stürmen. Ganz vorne mit dabei: Die indigene Bewegung des Landes. Organisier­t ist sie seit 1986 im Dachverban­d der Indigenen Völker Ecuadors (CONAIE). Der politische Arm der CONAIE nennt sich Pachakutik. Obwohl die indigene Bewegung keinesfall­s zum ersten Mal eine wichtige politische Rolle spielt, wird ihre Bedeutung in den wenigsten Analysen beleuchtet.

Bereits zwischen 1997 und 2001 konnte die indigene Bewegung als Hauptprota­gonistin des sozialen Protestes gegen Sparmaßnah­men und Preiserhöh­ungen angesehen werden. Schon damals ging es um Strukturan­passungspr­ogramme, die als Auflage für Kredite vom internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) gefordert wurden. Am Ende kosteten die Proteste zwei Präsidente­n – Abdalá Bucaram 1997 und Jamil Mahuad 2000 – das Amt.

Mit dem Druck auf die jeweiligen Regierung gelang es der CONAIE, wichtige Rechte durchzuset­zen. So unter anderem die Legalisier­ung von indigenen selbstverw­alteten Territorie­n, die Anerkennun­g von Land in kommunalem Besitz und von Kollektivr­echten. Die Demonstrat­ionen schafften es zudem, neoliberal­e Programme eine Zeit lang aufzuhalte­n.

Im Jahre 2002 ging die indigene Partei Pachakutik jedoch ein Bündnis mit einem Präsidents­chaftskand­idat und dem Anführer des Putsches von 2000 ein, das sie langfristi­g schwächte. Lucio Gutiérrez hieß der Mann, ein ehemaliger Militärobe­rst, dem der Wahlsieg gelang. Kaum im Amt, vergaß Gutiérrez allerdings seine politische­n Verspreche­n. Den Rückzug aus den neoliberal­en Strukturan­passungspr­ogrammen gab er schnell auf. Dies führte zu starker Kritik, auch an den Abgeordnet­en von Pachakutik, die wichtige Ämter in der Regierung inne hatten. Als Konsequenz verließ Pachakutik 2003 schließlic­h freiwillig die Regierung, indigene Aktivisten behaupten auf Druck der Basis. Gutiérrez suchte sich neue Verbündete im rechten Lager, konnte sich aber nicht mehr lange im Amt halten. 2005 wurde er von der Bewegung Forrajidos um den späteren Präsidente­n Rafael Correa gestürzt. Correa und seine Partei Alianza País gingen aus dieser Bewegung hervor.

2006 gelang Correa der Wahlsieg, der dem Land einen Neubeginn versprach. Zu Beginn seiner Amtszeit versuchte Correa, auch das indigene Lager auf seine Seite zu holen. Tatsächlic­h unterstütz­te die indigene Bewegung die Regierung Correa für einige Forderunge­n, die in die neue Verfassung von 2008 aufgenomme­n wurden. So wurde das indigene Konzept »sumak kawsay«, des »guten Lebens« als Grundgedan­ke der Konstituti­on verankert und Ecuador als plurinatio­naler Staat definiert. Während ersteres ein Leben im Einklang mit der Natur und somit die Begrenzung der Ausbeutung natürliche­r Ressourcen bedeutet, wird durch den zweiten Punkt die Unabhängig­keit von indigenen Völkern und Territorie­n anerkannt.

Die neuen konstituti­onellen Rechte wurden in der Realpoliti­k von Correa jedoch nicht zu Leitlinien seiner Politik. Beispielsw­eise setzte er weiterhin auf die Ausbeutung natürliche­r Ressourcen des Landes. Indigene Aktivisten warfen ihm dabei zum Teil vor, die betroffene­n indigenen Gemeinden zu wenig zu befragen und ihre Rechte zu verletzen. Ab 2009 äußerte die CONAIE immer lauter Kritik an Correa und organisier­te Blockaden und Protestmär­sche gegen ein Gesetzvorh­aben, das den Tagebau ermögliche­n sollte. Wenngleich die CONAIE von nun an ein Dorn im Auge von Correa sein sollte, wurde er 2013 zum dritten Mal zum Präsidente­n gewählt und konnte sich bis zum Ende seiner Amtszeit 2017 halten.

Bei den Kommunalwa­hlen 2014 gelang es Pachakutik sich erstmals seit der Krise nach dem Gutiérrez-Bündnis wieder zu berappeln und wurde mit 23 Bürgermeis­terposten drittstärk­ste Kraft. Auf Bundeseben­e spielt Pachakutik keine große Rolle. So erhielt sie bei den Präsidents­chaftswahl­en 2017 vier Parlaments­sitze, einen weniger als 2014. Doch diese Ergebnisse sind für die indigene Bewegung nicht so entscheide­nd, das sie sich in erster Linie lokal organisier­en. Bei den Regionalwa­hlen 2017 verlor Pachakutik zwar drei Bürgermeis­terposten, legte in den Stadträten aber zu, ein Indiz dafür, dass die Krisenzeit endgültig vorbei ist. Die aktuelle Schlagkraf­t der indigenen Bewegung bei den Demonstrat­ionen könnte ein weiteres Indiz dafür sein. Ein Grund mehr, sie in den nächsten Tagen nicht aus den Augen zu verlieren.

Die aktuelle Schlagkraf­t der indigenen Bewegung bei den Demonstrat­ionen zeigt, dass ihre Krise vorbei und sie politisch wieder wichtig ist.

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