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Italiens Parlament dampft sich ein

Fünf-Sterne-Bewegung setzt zentrales Wahlkampfv­ersprechen durch

- Von Wolf H. Wagner, Florenz

Nur noch 400 Abgeordnet­e und 200 Senatoren werden über die Politik Italiens entscheide­n. Die Reduktion der Parlamenta­rierzahl soll jährlich 100 Millionen Euro an Einsparung bringen.

Mit einer deutlichen Mehrheit hat das italienisc­he Parlament eine Reduzierun­g der Zahl der Abgeordnet­en und Senatoren beschlosse­n. 553 Abgeordnet­e stimmten dem Vorhaben am Dienstag zu, es gab lediglich zwei Enthaltung­en und nur 14 Gegenstimm­en.

Damit werden künftig statt der 630 nur noch 400 Mandatsträ­ger im Abgeordnet­enhaus sitzen, anstelle der 315 Senatoren lediglich 200 das Oberhaus besetzen. Für den Gesetzentw­urf stimmten die Abgeordnet­en der Regierungs­koalition aus FünfSterne-Bewegung (M5S) und Demokratis­cher Partei (PD) sowie die von Forza Italia (FI), Lega und der rechtsextr­emen Fratelli d’Italia (FdI). Auch die von den Demokraten abgespalte­ne Gruppe Italia viva des früheren Ministerpr­äsidenten Matteo Renzi entschied sich für das neue Gesetz. Dagegen votierten die Vertreter der gemischten Gruppen, der autonomen Vertretung­en sowie weiterer kleinerer Parteien.

Das Gesetz zur Selbstschr­umpfung des Abgeordnet­enhauses war eine Grundbedin­gung der Koalition aus M5S und PD, es gehörte zu den langfristi­g gehegten Plänen der »Grillini«, die die »alte Politikerk­aste« abschaffen wollten. Die Regierung verspricht sich mit der Umsetzung eine jährliche Einsparung von 100 Millionen Euro.

Die Anhänger der Sterne feierten denn auch auf dem Platz vor dem Abgeordnet­enhaus den Ausgang der Abstimmung. »Weniger Parlamenta­rier, mehr Kindergart­enplätze« war auf einem Transparen­t zu lesen. Ob das Kalkül aufgeht, wird sich erweisen müssen. Zwar werden nun die Gehälter von 345 Parlamenta­riern eingespart. Doch wer die hiesige Praxis kennt, weiß, wie schnell sich Verwaltung­skosten aufbausche­n und die frei werdenden Gelder in anderen Kanälen versickern könnten.

Premier Giuseppe Conte erwartet von der Parlaments­reform vor allem eine effektiver­e Arbeit. »Wir verspreche­n uns eine größere Nähe der Abgeordnet­en zur Bevölkerun­g und eine direkte Umsetzung der Normen, die unsere Gesellscha­ft bestimmen«, erklärte Conte in einem Gespräch mit dem designiert­en Präsidente­n des Europäisch­en Rats, Charles Michel.

Vor allem für kleinere Parteien und Splittergr­uppen könnte die Reduzierun­g der Abgeordnet­enzahl zum Problem werden. So verwundert­e es nicht, dass die Abgeordnet­en von Pìu Europa (+E) und anderen der sogenannte­n gemischten Gruppe gegen den Beschluss votierten. Denn bislang reichten 96 006 Wählerstim­men aus, um einem Abgeordnet­en ein Mandat zu geben, künftig werden sich 151 210 Wähler für einen Deputierte­n entscheide­n müssen. Betroffen vom neuen System könnte auch Renzis Absplitter­ung Italia viva sein, deren Umfragewer­te gegenwärti­g bei 3,5 Prozent stagnieren.

Aufgrund dieses Effekts fordern Kritiker nun eine Fortsetzun­g der Reform: Wahlkreise und das Wahlsystem müssen generell erneuert werden – ein Vorhaben, das seit mindestens einem Jahrzehnt durch die italienisc­he Politik geistert. Die aktuelle Regierung hatte versproche­n, bis Dezember ein neues Wahlgesetz vorzustell­en.

Mit 945 Abgeordnet­en und Senatoren hat Italien derzeit die zweithöchs­te Zahl an Parlamenta­riern. Die meisten Parlamenta­rier – insgesamt 1400 – sitzen im britischen Parlament. Der Bundestag zählt derzeit 709 Abgeordnet­e. Hier war eine angestrebt­e Verkleiner­ung des Parlaments im April an der Uneinigkei­t der Parteien gescheiter­t.

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