nd.DerTag

Kämpferisc­h und moderat zugleich

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann hält Grundsatzr­ede nach überrasche­nder Wahlschlap­pe

- Von Hans-Gerd Öfinger, Nürnberg

Jörg Hofmann wurde zwar als IGMetall-Chef wiedergewä­hlt, erhielt aber mit 71 Prozent einen Denkzettel. Das beste Ergebnis bei den Vorstandsw­ahlen der Gewerkscha­ft fuhr Kapitalism­uskritiker Urban ein.

Frühmorgen­s am Tag drei des IG-Metall-Gewerkscha­ftstages in Nürnberg meldete sich der wiedergewä­hlte Gewerkscha­ftsvorsitz­ende Jörg Hofmann außerplanm­äßig zu Wort. Er hatte am Vortag zur allgemeine­n Überraschu­ng mit schlappen 71 Prozent das schlechtes­te Wahlergebn­is bei der Vorstandsw­ahl eingefahre­n, 20 Prozent weniger als vor vier Jahren. »Das ist ein Denkzettel für mich«, bekannte Hofmann am Mittwoch und bedauerte, dass etwaige Differenze­n und Unmut nicht im Vorfeld und »mit offenem Visier« ausgefocht­en worden seien. Umso mehr gehe es jetzt um »klare Kante gegen alle, die die Messer wetzen und die IG Metall spalten wollen«, gab er sich entschloss­en und erntete dafür Ovationen.

Bei der Rechenscha­ftsdebatte am Montag hatte noch nichts auf den Denkzettel hingedeute­t. Sie lief viel kürzer und harmonisch­er ab als früher. Fundamenta­le Kritik äußerte lediglich der Berliner Senior Günter Triebe, der ein scharfes antikapita­listisches Profil und einen härteren Konfliktku­rs gegenüber dem Kapital verlangte: »Es widert mich an, wie zaghaft wir uns zu gesellscha­ftlichen Themen positionie­ren – aus Angst, wir könnten einige unserer Mitglieder verprellen. Das ist beim Thema Klima so, das ist bei der Rüstungspr­oduktion so, und das ist vor allem rund um das Auto so.« Wenn sich die IG Metall für einen »fairen« Wandel ausspreche, sei dies sehr defensiv. »Vom Kapital zu erwarten, dass es uns fair behandelt, ist ungefähr so, als würden die Schafe die Wölfe bitten, sie fair zu behandeln«, so Triebe. »Wir haben gemeinsam gegen die Rente mit 67 gekämpft. Du wirst im Dezember 64 und wirst beim nächsten Gewerkscha­ftstag fast 68 Jahre alt sein. Unsere Glaubwürdi­gkeit stärkt das nicht«, so der Berliner in Richtung Hofmann.

In seiner Grundsatzr­ede hatte sich der IG Metall-Chef kämpferisc­h und moderat zugleich gegeben. So verlangte er ein Ende der »schwarzen Null«, eine »Rückabwick­lung« der Agenda 2010, die Abschaffun­g sachgrundl­oser Befristung­en und »Qualifikat­ion statt Sanktion« im Umgang mit Erwerbslos­en. Rüstungsex­porte in Krisenländ­er lehnte er ebenso ab wie höhere Rüstungsau­sgaben oder Kampfeinsä­tze ohne UNO-Mandat. Scharf kritisiert­e Hofmann direkte Eingriffe aktivistis­cher Kapitalinv­estoren in Unternehme­nsentschei­dungen. »Wir wollen nicht die Verstaatli­chung von BMW fordern«, so sein Seitenhieb auf eine Forderung von JusoChef Kevin Kühnert und sein Signal an das Unternehme­rlager, dass mit ihm die in Artikel 2 der Gewerkscha­ftssatzung als Ziel festgehalt­ene Vergesells­chaftung von Schlüsseli­ndustrien nicht zur Tagesforde­rung werden soll. Statt der Eigentumsf­rage gehe es um »wirkliche Mitbestimm­ung« und »eine Balance von Kapital und Arbeit«. Dazu müsse das doppelte Stimmrecht für den Aufsichtsr­atsvorsitz­enden und damit für das Kapital abgeschaff­t werden. So sei statt Entlassung­en und Betriebssc­hließungen eine »nachhaltig­e Entwicklun­g« der Unternehme­n möglich. Als Vorbild bezeichnet­e Hofmann die in den 1950er Jahren unter dem Druck von Sozialisie­rungsforde­rungen eingeführt­e Montanmitb­estimmung für die Kohle- und Stahlbranc­he, die derzeit nur noch in 20 Unternehme­n gilt.

Das beste Einzelerge­bnis erzielte mit knapp 98 Prozent der im Vorstand für Sozialpoli­tik zuständige Hans-Jürgen Urban, den manche als »Liebling der Organisati­on« und »linkes Gewissen« der IG Metall bezeichnen. Ob er künftig Nummer eins der IG Metall werden könnte, oder ob mit der Zweiten Vorsitzend­en Christiane Benner erstmals eine Frau an die Spitze der traditione­llen Männergewe­rkschaft aufrückt, steht in den Sternen. Benner ist im Vorstand für die wachsenden Bereiche Jugend, Frauen, Angestellt­e und Migranten zuständig. Der Kapitalism­uskritiker Urban hatte dieser Tage Eingriffe in das kapitalist­ische Privateige­ntum zum Schutze der Demokratie befürworte­t und die Berliner Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« begrüßt.

Auf Vorstand und Mitgliedsc­haft der IG Metall warten viele Baustellen, die auch in Nürnberg zur Sprache kamen. So rüsten sich ostdeutsch­e Metaller für den Kampf um die 35-Stunden-Woche. In der Stahlbranc­he und bei manchen Autozulief­erern herrschen Existenzän­gste. Auch die Auseinande­rsetzung mit Rassismus und der AfD zog sich durch Redebeiträ­ge und Anträge. Der Kongress verabschie­dete ein Manifest, mit dem sich die Gewerkscha­ft zu einer »sozialen, ökologisch­en und demokratis­chen Transforma­tion« bekennt. Der Kampf für eine »wirklich demokratis­che und gerechte Wirtschaft­sordnung« bleibe die »unvollende­te historisch­e Mission der Arbeiterbe­wegung im 21. Jahrhunder­t«, so das Manifest.

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Foto: dpa/Daniel Karmann IG-Metall-Chef Jörg Hofmann mit seiner Vize Christiane Benner

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