Umkehrung der Globalisierung
Laut dem »World Trade Report 2019« dominieren Dienstleistungen und regionaler Bezug den Welthandel
Handelsexperten sehen eine Phase der Deglobalisierung angebrochen. Begonnen hat sie lange bevor Donald Trump an die Macht kam. Unternehmen verkürzen zunehmend ihre Wertschöpfungsketten.
Welthandel funktioniert wie das richtige Leben: Er verändert sich laufend. Dies zeigt der neue »World Trade Report 2019«, den die Welthandelsorganisation (WTO) am Mittwoch in Genf vorstellte. Der Report beschreibt als einen gewichtigen Trend die Bedeutungszunahme des Handels mit Dienstleistungen – von Computercodes über Warentransporte bis hin zur Wartung von Maschinen. Dienstleistungen seien mittlerweile der »am meisten dynamische Teil des globalen Handels«.
Der globale Handel mit Dienstleistungen wächst laut WTO seit 2005 Jahr für Jahr durchschnittlich um 5,4 Prozent und damit deutlich schneller als der mittlerweile kaum noch zunehmende Warenhandel. Den Wert aller grenzüberschreitend gehandelten Dienstleistungen taxieren die WTO-Volkswirte auf rund 13 Billionen Euro. Zum Vergleich: Das weltweit erwirtschaftete Bruttoinlandsprodukt lag 2018 bei rund 80 Billionen Euro.
Moderne Dienstleistungen drehen sich oft um ganz handfeste Produkte. So hat sich beispielsweise der Augsburger Roboterhersteller Kuka mit dem Versicherer Munich Re und den IT-Beratern von MHP, einer Tochtergesellschaft von Porsche, zusammengeschlossen. Ihr Projekt heißt »Smart Factory as a Service«. Im Zusammenspiel mit dem weltgrößten Rückversicherer verkauft Kuka zukünftig nicht mehr nur Robotermaschinen in alle Welt, sondern steuert auch deren Einsatz in der Fabrik vor Ort rund um die Uhr. Munich Re steuert dazu seine Erfahrungen mit Störungen und Maschinenausfällen bei, um einen reibungslosen Betrieb zu ermöglichen. Außerdem bietet der Versicherer Kuka-Kunden Produkte an, die etwa Betriebsausfälle finanziell absichern. »Die Marke Kuka steht also nicht mehr nur für Roboter, sondern auch für deren Betrieb«, fasst Horst Wildemann, Professor an der TU München, den Wandel des Produzenten zum Industriedienstleister zusammen. Das von Kuka im Sommer 2018 in München gestartete Projekt ist noch in der Erprobung. Doch bald soll es die Produktionsprozesse in der Automobilindustrie »revolutionieren«, schreibt Munich Re in einer Mitteilung. Auch weil das Dienstleistungsplus Kleinserien bis zur »Losgröße eins« ermöglichen soll.
Auch in anderen Branchen gibt es seit den 2000er Jahren einen Trend hin zu Dienstleitungen. Rolltreppen oder Werkzeugmaschinen werden längst von Herstellern im Paket zusammen mit Service-Verträgen verkauft, die zehn Jahre und länger laufen.
Die WTO konstatiert eine weitere neue Entwicklung im Welthandel: eine Verschiebung der regionalen Gewichte. So stieg in den vergangenen zehn Jahren der Anteil Asiens am Welthandel um sechs Prozentpunkte auf 34 Prozent. Zudem hat nach der Finanzkrise eine Phase der Deglobalisierung eingesetzt. Nachdem der internationale Handel mit Waren und Dienstleistungen zwischen 1960 und 2008 fast anderthalbmal so schnell zugelegt hatte wie das globale Bruttoinlandsprodukt, ist er in den letzten zehn Jahren um ein Drittel langsamer gewachsen als die Weltproduktion. »Während also über Dekaden hinweg die Integration der Weltwirtschaft zugenommen hat, entfernen sich die Länder der Welt seit zehn Jahren zusehends voneinander«, schreibt Commerzbank-Analyst Marco Wagner.
Infolge der Finanzkrise kehrte auch der Protektionismus zurück – lange vor Donald Trump. Bereits 2009 implementierten die G20-Staaten jährlich rund 200 handelsbeschränkende Maßnahmen, zuletzt waren es annähernd 800. Hinzu kommt, dass Unternehmen ihre Wertschöpfungsketten verkürzen. Jahrzehntelang hatten Länder wie Deutschland Teile der Wertschöpfungsketten ins Ausland verlagert, China wurde dabei gerne als »verlängerte Werkbank« genutzt. Seit der Finanzkrise hat sich dieser Trend umgekehrt, und Unternehmen gehen vermehrt dazu über, zumindest im näheren regionalen Umfeld zu produzieren.
Außerdem schreiben Regierungen wieder häufiger »Local-Content«Klauseln vor, die einen bestimmten Anteil an heimischer Vorproduktion festlegen. Darüber hinaus machen neue Technologien wie 3D-Druck internationalen Handel insbesondere von Waren teilweise überflüssig.
In der Folge dürfte sich der regionale Handel intensivieren. So führt die protektionistische Haltung von US-Präsident Trump dazu, dass ausländische Unternehmen ihre Standorte in den USA ausbauen. Dabei sind die Vereinigten Staaten nur ein Beispiel: In allen Teilen der Welt wird eine regionale Konzentration des internationalen Handels beobachtet.
Rolltreppen oder Werkzeugmaschinen werden längst von Herstellern im Paket zusammen mit Service-Verträgen verkauft, die zehn Jahre und länger laufen.