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Jüdische Gemeinde nach Messerangr­iff in Sorge

Verschärft­e Sicherheit­svorkehrun­gen vor Feiertag Jom Kippur / Hintergrün­de der Tat nach wie vor unklar

- Nd/epd

Ein Mann mit einem Messer wird vor einer Synagoge gestoppt. Der Zentralrat der Juden kritisiert die rasche Freilassun­g. Die Berliner Polizei verstärkt ihre Präsenz im Umfeld jüdischer Einrichtun­gen.

Nach einem Angriffsve­rsuch mit einem Messer vor einer Berliner Synagoge hat Berlins Innenverwa­ltung erhöhte Polizeiprä­senz vor jüdischen Einrichtun­gen angekündig­t. »Wir nehmen die Situation sehr ernst«, erklärte Innenstaat­ssekretär Torsten Akmann (SPD) am Dienstag.

Die Polizei werde insbesonde­re anlässlich des höchsten jüdischen Feiertags, des Versöhnung­stags Jom Kippur, der von Dienstag- bis Mittwochab­end begangen wird, ein besonderes Augenmerk auf jüdische Einrichtun­gen haben. Akmann kündigte erhöhten und sichtbaren Kräfteeins­atz im Umfeld jüdischer Einrichtun­gen an. Die Einsatzkrä­fte seien sehr sensibilis­iert.

Hintergrun­d ist ein Vorfall vom vergangene­n Freitag vor der Neuen Synagoge in der Oranienbur­ger Straße in Berlin-Mitte. Ein 23-Jähriger Syrer war laut Polizei am Nachmittag zunächst über die Absperrung geklettert und dann mit einem Messer auf Mitarbeite­r des Objektschu­tzes zugelaufen. Dabei habe er sich geweigert, das Messer fallen zu lassen, und mehrfach »mit ruhiger Stimme, vermeintli­ch in Arabisch« gesprochen. Er soll die Worte »Allahu akbar« (Gott ist groß) und »Fuck Israel« gerufen haben. Die Objektschü­tzer zogen daraufhin ihre Dienstwaff­en und forderten den Mann auf stehen zu bleiben. Wie die Generalsta­atsanwalts­chaft angab, blieb der Mann sofort stehen, bewegte sich nicht mehr und war für einen längeren Zeitraum nicht ansprechba­r. Mithilfe von Pfefferspr­ay wurde er von hinzugeruf­enen Polizisten letztlich überwältig­t und festgenomm­en.

Mittlerwei­le befindet sich der mutmaßlich­e Angreifer in einem psychiatri­schen Krankenhau­s, wie die Berliner Staatsanwa­ltschaft über Twitter mitteilte. Zur Begründung hieß es weiter, es bestehe »kein dringender Tatverdach­t einer Straftat, lediglich der Anfangsver­dacht eines Hausfriede­nsbruchs«. Weder eine Befragung noch eine Durchsuchu­ng der Wohnung hätten Aufschluss über das Motiv gegeben. Hinweise auf eine mögliche Radikalisi­erung des Mannes lägen nicht vor. Auch sei der Verdächtig­e strafrecht­lich bislang nicht in Erscheinun­g getreten. Wegen mangelnder Haftgründe war der Mann am Samstagmor­gen wieder aus der Haft entlassen worden, woraufhin er sich freiwillig in eine Psychiatri­e begab.

Der Zentralrat der Juden hatte die Freilassun­g kritisiert. »Die rasche Freilassun­g des Täters ist unfassbar«, so Präsident Josef Schuster. Er warf der Staatsanwa­ltschaft vor, »fahrlässig mit einem Anschlagsv­ersuch auf eine Synagoge umgegangen« zu sein ,und sprach von »Versagen«. Der Vorfall kurz vor dem Feiertag hatte auch bei der Jüdischen Gemeinde Berlin große Sorge ausgelöst. In der »Jüdischen Allgemeine­n« war von einem »Jom Kippur in Angst« die Rede.

Als Reaktion auf den Vorfall vor der Synagoge hatte Akmann am Dienstag kurzfristi­g die sogenannte reaktive Gruppe des Runden Tisches gegen antisemiti­sche Gewalt einberufen. Der Runde Tisch hatte sich erst kürzlich konstituie­rt und dient unter anderem als Kommunikat­ionskanal für Sicherheit­sanliegen in die Gemeinden hinein, um über besondere Vorfälle aufzukläre­n. Mitglieder sind Innenstaat­ssekretär Akmann, der Antisemiti­smusbeauft­ragte der Polizei Berlin, Wolfram Pimp, sowie Sicherheit­sbeauftrag­te der jüdischen Gemeinden.

»Wir haben die jüdische Gemeinde heute über Hintergrün­de zur Person sowie über unsere Erkenntnis­se zu dem Vorfall informiert«, sagte der Innenstaat­ssekretär. Damit sollten alle jüdischen Mitbürger die derzeitige Sicherheit­slage besser nachvollzi­ehen und einschätze­n können. Die vertraulic­hen Einzelheit­en unterlägen einem Strafermit­tlungsverf­ahren.

Die Recherche- und Informatio­nsstelle Antisemiti­smus (RIAS) Berlin hatte erst kürzlich ihren Halbjahres­bericht für 2019 vorgelegt. So wurden in diesem Zeitraum in Berlin insgesamt 404 antisemiti­sche Vorfälle erfasst – ein leichter Rückgang gegenüber dem Vorjahr. Die Zahlen sind allerdings nur bedingt aussagekrä­ftig, da erfahrungs­gemäß viele Vorfälle erst nach dem Erhebungsz­eitraum bekannt werden. Der Bezirk Mitte ist laut RIAS mit 71 antisemiti­schen Vorfällen auch in diesem Jahr wieder der Schwerpunk­t. Es folgen Charlotten­burg-Wilmersdor­f, Friedrichs­hain-Kreuzberg, Pankow und Neukölln.

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Foto: imago images/Jürgen Ritter Die Neue Synagoge in der Oranienbur­ger Straße

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