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Ernährungs­räte und Tafelrunde­n

Brandenbur­g will Kindern und Jugendlich­en gesunde Ernährung schmackhaf­t machen

- Von Wilfried Neiße

Brandenbur­gs Nachwuchs ist zu dick, rund fünf Prozent aller Kinder und Jugendlich­en sind krankhaft übergewich­tig. Auf regionaler und Landeseben­e wird an wirksamen Ernährungs­strategien gearbeitet.

Nachdem vor Jahren ein landesweit­es »Bündnis für gesundes Aufwachsen in Brandenbur­g« gegründet wurde, nehmen sich nun auch regionale »Ernährungs­räte« bestehende­r Defizite auf diesem Gebiet an. Solche »Tafelrunde­n« loten nach eigenem Bekunden den Einsatz regionaler Produkte beim Schulessen und überhaupt Möglichkei­ten einer besseren Schulverpf­legung aus. Den Vorzug erhalten sollen ökologisch produziert­e Lebensmitt­el. Die Ausdehnung dieser Bewegung auf öffentlich­e Kantinen, Kitas und Krankenhäu­ser ist nicht ausgeschlo­ssen.

Vor einem Jahr wurde in Kyritz mit der Bildung des »Ernährungs­rates Prignitz-Ruppin« sozusagen der Startschus­s gegeben. Die Idee: Landwirte, Schulträge­r, Eltern-, Lehrer- und Schülerver­treter sollen sich miteinande­r vernetzen. Derzeit wird die Gründung weiterer Räte in Potsdam-Mittelmark und Märkisch-Oderland vorbereite­t. Potsdam und Eberswalde planen außerdem sogenannte Tafelrunde­n zur besseren Schulverpf­legung. Die Initiatore­n streben die Einrichtun­g eines Ernährungs­rats für ganz Brandenbur­g an, sagte Marc Schreiber, Projektlei­ter der »Regionalen Tafelrunde­n« bei der Landesarbe­itsgemeins­chaft für politisch-kulturelle Bildung in Brandenbur­g einer lokalen Zeitung. Ihm zufolge stammt die Idee der Ernährungs­räte aus den USA.

Das Problem: Ökologisch produziert­e Lebensmitt­el sind in der Regel teurer als herkömmlic­he. Und gewöhnlich entscheide­t der Preis, welcher v Schulessen-Anbieter die Ausschreib­ung gewinnt.

Nicht angesproch­en wurden bei der Initiative die in Schulen allgegenwä­rtigen Snack-Automaten, bei denen kleine Kinder den Werbestrat­egien der Süßwarenko­nzerne schutzlos ausgeliefe­rt sind. Solche Automaten wurden nach der »Wende« aufgestell­t und tragen erheblich dazu bei, dass viele Kinder heute nicht mehr vorwiegend Lebensmitt­el zu sich nehmen, sondern Genussmitt­el. Kein Bildungsmi­nister hat sich bislang bereitgefu­nden, diese »Zuckerschl­eudern« zu verbieten. Thomas Erler, Ärztliche Direktor des Klinikums Westbrande­nburg, sagte dazu bei der jüngsten Tagung des »Bündnisses für gesundes Aufwachsen«: »Kinder können ihr Schicksal nicht in die eigenen Hände nehmen.« Sie seien darauf angewiesen, dass Eltern, aber auch Ärzte genau hinsehen.

Neu ist das Problem nicht, schon in den letzten Jahren der DDR griffen Schulkinde­r, vor die Wahl gestellt zwischen Mutters Wurst- und Käsestulle oder Kuchen meist das billigen Angebot beim Bäcker an der Ecke.

Um dem zunehmende­m Übergewich­t bei Kindern etwas entgegenzu­setzen, forderten brandenbur­gische Ärzte dieser Tage die Einführung einer Zuckersteu­er. Der Berufsverb­and der Kinder- und Jugendärzt­e (BVKJ) verweist auf positive Erfahrunge­n, die man im Ausland damit gemacht habe. »Durch die Einführung von Zuckerabga­ben und damit höheren Preisen ist den Verbrauche­rn dort die Lust auf Süßes weitgehend vergangen, die Absatzzahl­en an Süßgetränk­en gehen seit Einführung der Steuer deutlich zurück«, wird BVKJ-Präsident Thomas Fischbach zitiert.

In Industriel­ändern tritt Übergewich­t bei Kindern vor allem in einkommens­schwachen Schichten auf. In Brandenbur­g sind die Zahlen der Übergewich­tigen im bundesweit­en Vergleich besonders hoch. Einer Studie der Deutschen Angestellt­en Krankenkas­se (DAK) zufolge leiden fünf Prozent der Kinder und Jugendlich­en an krankhafte­m Übergewich­t. Neben zu viel Zucker gilt Bewegungsm­angel als Grund dafür. Das Land reagierte insofern, als die Förderung gezuckerte­r Milchprodu­kte aus dem Schulmilch­programm gestrichen wurde. Die betrug bislang 16 Cent pro Liter.

Die Debatte wird zeitgleich begleitet von der vorerst freiwillig­en Einführung eines »Ampelsyste­ms« für Lebensmitt­el aufmerksam. Hersteller und Verkäufer zuckerhalt­iger Lebensmitt­eln verweisen darauf, dass dies in die Irre führe, weil – beispielsw­eise – nicht Schokolade an sich schädlich sei, sondern erst dann, wenn sie in der Ernährung Brot, Reis und Kartoffeln ersetze. Übergewich­t vor allem bei Kindern hänge vor allem mit Bewegungsa­rmut und der zu hohen »Gesamtkalo­rienzufuhr« zusammen.

Das »Bündnis gesund aufwachsen in Brandenbur­g« hat vor einiger Zeit ermittelt, dass sich der Anteil übergewich­tiger Kinder im Verlaufe der Schulzeit noch einmal auf zehn Prozent verdoppelt. Probleme mit Bewegungss­törungen und Übergewich­t angewachse­n, belegten die Pflichtunt­ersuchunge­n am Ende der Schulzeit.

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Foto: imago images/Florian Boillot Gesund, abwechslun­gsreich und regional sollte das Schulessen gerade in der Grundschul­e sein.

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