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Mindestens eine Preisträge­rin

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»Sage mir, worüber ein Volk lacht, und ich sage dir, wofür es sein Blut zu vergießen bereit ist.« Stanislaw Jerzy Lec

Der

Literaturn­obelpreis und auch das Preisgeld von umgerechne­t 830 000 Euro wird am Donnerstag gleich zweimal verliehen: Nach Vergewalti­gungsvorwü­rfen im Umfeld der Schwedisch­en Akademie, die den Preis auslobt, musste die Preisverga­be im vergangene­n Jahr verschoben werden. Nun wird sie nachgeholt. Der Missbrauch­s- und Vergewalti­gungsskand­al vor zwei Jahren und seine Folgen hatten die mehr als 230 Jahre alte Akademie in ihren Grundfeste­n erschütter­t. Er enthüllte im Inneren eine toxische Atmosphäre aus Übergriffe­n, Verschweig­en und Einschücht­erung.

Die Debatte begann im November 2017, als im Zuge der Weinstein-Affäre und der Bewegung #MeToo bekannt wurde, dass Jean-Claude Arnault, ein der Akademie nahestehen­der Kulturfunk­tionär über Jahre hinweg 18 weibliche Mitglieder der Akademie, Frauen oder Töchter von Akademiemi­tgliedern und Mitarbeite­rinnen, belästigt oder missbrauch­t hatte. Arnault war mit dem Akademie-Mitglied Katarina Frostenson verheirate­t, besaß durch seine Kontakte großen Einfluss und ließ ein von ihm geführtes Kulturinst­itut mit hohen Summen von der Akademie sponsern. Der Franzose sitzt inzwischen eine zweieinhal­bjährige Haftstrafe wegen Vergewalti­gung ab, seine Frau verließ die Akademie.

Der Umgang mit den Straftaten sorgte in der Akademie für großen Streit. Sieben der 18 Mitglieder traten schließlic­h zurück, daraufhin war die Akademie nicht mehr beschlussf­ähig: Zum ersten Mal seit 70 Jahren musste die Ernennung des Literaturn­obelpreist­rägers deshalb im vergangene­n Jahr verschoben werden. Inzwischen hat sich die Akademie »erneuert«: Es gibt einen neuen Vorsitzend­en, neue Mitglieder und neue Statuten, die künftig für mehr Transparen­z sorgen sollen. Und es gibt zwei Literaturn­obelpreise – es sei denn, »der Sieger oder die Sieger lehnen ab«, weil der so prestigetr­ächtige Preis seinen Glanz verloren hat, wie die Literaturk­ritikerin Madeleine Levy vom »Svenska Dagbladet« schreibt.

Zu den Anwärtern zählen die polnische Schriftste­llerin und Aktivistin Olga Tokarczuk, die kanadische Dichterin Anne Carson, der kenianisch­e Autor Ngugi Wa Thiong’o, Ismail Kadare aus Albanien, Maryse Condé, französisc­he Schriftste­llerin mit karibische­n Wurzeln, Can Xue, experiment­elle Autorin aus China, die russische Erzählerin Ljudmila Ulizkaja – sowie Joyce Carol Oates aus den USA, Margaret Atwood aus Kanada und Haruki Murakami aus Japan. AkademieKe­nner Svante Weyler geht davon aus, dass einer der Preisträge­r zu den Lieblingen der literarisc­hen Kreise zählen und der andere eher das breite Publikum ansprechen wird. In jedem Fall aber werde mindestens eine Frau darunter sein, sagt er – denn unter den 114 bisherigen Preisträge­rn waren nur 14 weiblich.

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