Burckard Bierhoff Rudolf Bahro, ein Vordenker der Klimabewegung
Rudolf Bahro wurde zu seinen Lebzeiten meist überhört. Die aktuelle Klimabewegung könnte ihn als Vordenker der Sozialökologie wiederentdecken.
Bahro macht Front gegen die modisch gewordenen Apokalyptiker,« hieß es 1988 in der »Zeit«. Mittlerweile ist es still geworden um den am 5. Dezember 1997 verstorbenen Sozialökologen Rudolf Bahro. Doch tatsächlich lassen sich aus seinem damals besprochenen Buch »Logik der Rettung« noch heute viele Einsichten zur Klimapolitik gewinnen. In einem gutem Sinne konkret und entlang der damaligen Tagespolitik geschrieben, muss man zwar aus heutiger Sicht das Wesentliche herausdestillieren, doch dann lesen sich seine Kommentare überraschend aktuell.
Bereits auf dem Karlsruher Gründungskongress der Grünen im Januar 1980 beschwor der als DDR-Dissident bekannt Gewordene angesichts der ökologischen Krise eine notwendige Verbindung von rot und grün. Rund fünf Jahre später befand er die Umsetzung in der Partei als unzureichend – und trat aus. Und auch auf dem außerordentlichen Parteitag SED-PDS 1989, wo Bahro seine Ideen vorstellte, fand er kein Gehör. An den Reaktionen der Zuhörer zeigte sich – so heißt es dazu auf der Website der Linkspartei – , dass »die meisten Delegierten noch keine Antenne für Bahros sozioökologische Theorien besaßen«.
Letztlich kam Bahro 1990 an die Humboldt-Universität zu Berlin, und gründete dort das Institut für Sozialökologie. Berühmt waren seine Montagsvorlesungen, auf denen er bekannte Referentinnen und Referenten die zivilisatorische Krise ausleuchten ließ. Mit unbestechlichem Tatsachenblick verwarf er alle Halbheiten und bewegte sich konfrontativ und produktiv auf der wissenschaftlichen, politischen und sozialpraktischen Ebene.
Zu esoterisch für die Linke?
Bahro untersuchte die Grundlagen der industriellen Zivilisation in ihrer Tiefenstruktur und Dynamik. Er attestierte dem System, in dem wir leben, eine »Logik der Selbstausrottung« und stellte frühzeitig eine entscheidende Frage: »Warum investiert der Mensch seit Beginn der Zivilisation immer mehr schöpferische Lebensenergie in mörderische und selbstmörderische Kulturzusammenhänge?« Doch seine Suche nach einer rettenden Grundlage in den »Herzen der Menschen« führte zu dem unvollkommenen Versuch, Spiritualität gegen den Industrialismus zu setzen und Befreiungswege zu erkunden. Wissenschaftlich wurde sein Ansatz gering geschätzt und ihm etwas Missionarisches zugeschrieben. Philosophisch versuchte Bahro, heterogene Ideen unterschiedlicher Herkunft in ein neues System einzubinden, mit dem die Umrisse einer möglichen Synthese sichtbar wurden. Obwohl das Institut auf großes öffentliches Interesse stieß, wurde es ein Jahr nach seinem Tod geschlossen. Doch nicht etwa, weil die ökologische Krise gelöst war.
Seit längerem ist bekannt, dass der US-amerikanische Mineralölkonzern ExxonMobil 1982 die Klimakrise wissenschaftlich exakt vorhergesagt, die Ergebnisse aber unter Verschluss gehalten hat. Doch viele umweltpolitisch aktive Autoren haben seit mehr als 50 Jahren den Klimanotstand überzeugend beschrieben. Dass er erst jetzt ins allgemeine Bewusstsein tritt, ist Ausdruck eines soziokulturellen Verdrängungsprozesses, der ausblendet, dass sich die Fortschrittsvision des Industriezeitalters erschöpft hat und das Projekt der Moderne zu scheitern droht.
Noch heute bemüht sich die Autoindustrie nach Kräften, ihre Powerfahrzeuge weiter aufzumotzen: Noch einmal die PS bei den SUVs richtig spielen lassen, bevor die Show vorbei ist und der Klimanotstand statt freiwilliger Maßnahmen einschneidende Veränderungen erzwingt. Es vergeht kaum ein Tag, an dem die Absurditäten des Konsumkapitalismus mit ihren zu kurz greifenden politischen Maßnahmen gegen den Klimawandel nicht deutlich würden.
Bahro hat zwar nicht die Bewegungen Fridays for Future und Extinction Rebellion voraussehen können, aber er hat bereits jenen westlichen Lebensstil kritisiert, der in die Apokalypse führt. Schon damals erkannte er in der grünen Politik keine entschiedenen Anstrengungen für einen seelisch-geistigen Wandel und entlarvte sie als Umweltkosmetik. Tatsächlich fürchten heute Politiker der Grünen um die internationale Konkurrenzfähigkeit der deutschen Autoindustrie, während die AfD der Bundesregierung unterstellt, sie ruiniere selbige.
Ausgangspunkt der Zivilisationskritik von Bahro ist die immer mehr zur Gewissheit gewordene Vermutung, dass eine Gesellschaft, die, an der gegenwärtigen Ökonomie festhaltend, ihre Kräfte vorrangig in die Erzeugung von materiellen Reichtümern investiert, kulturell ihre Zukunftsfähigkeit verspielt. Das ungelöste Problem der industriellen Warenproduktion liegt in der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Im Konsumkapitalismus führt die erweiterte Warenproduktion zu einem ungeheuren Anstieg der Naturausbeutung. Es werden Güter produziert, ohne die Endlichkeit und Erneuerung der Ressourcen in die Gesamtrechnung einzubeziehen. Damit entfaltet die materialistische Lebensweise zunehmend exterministische Wirkungen und steuert auf ein Zivilisationsstadium jenseits der ökologischen Stabilität mit der Gefahr der »Selbstzerstörung« zu.
Wirtschaftliche Klimapolitik
Hier schloss sich Bahro der Warnung des britischen Friedensaktivisten Edward Thompson an; er konkretisierte sie jedoch in Bezug auf eine »Logik der Rettung«, um auszuloten, wie das als Exterminismus bezeichnete Zivilisationsstadium jenseits der ökologischen Stabilität zu vermeiden sei, das die Tendenz hat, weltweit destruktive Wirkungen bis hin zur »totalen Selbstzerstörung« zu entfalten, sei es durch Artensterben, Zerstörung der Biosphäre oder Armut und Hunger.
Die aktuelle Klimapolitik der Bundesregierung verdeutlicht, dass es sich auch hier um eine »systemimmanente Schadensbegrenzung« handelt, deren erstes Ziel die Stabilisierung der gegenwärtigen Ökonomie ist. Für Bahro kann es indes nur zu einer ökologischen Rettungspolitik kommen, wenn der gewohnte Rahmen – in dem die Machbarkeit wirtschaftlich und politisch definiert wird und an die vorherrschenden Gewohnheiten und Institutionen gebunden ist – überschritten wird. Um den Preis der Zerstörung der Mitwelt halten wir an einer gewohnten Lebenspraxis fest, »die sich als selbstmörderisch herausstellt, ohne so gemeint zu sein«. Deshalb plädiert Bahro für eine »Bewusstseinsveränderung größten Stils, und zwar nicht nur auf der individuellen, sondern auch auf der sozialen, institutionellen Ebene«.
Für eine solche Bewusstseinsveränderung gibt es gerade innerhalb der jungen Generation, die sich der Folgen für ihre Zukunft bewusst wird, ein erkennbares Bemühen. Ob die derzeit erstarkenden Bewegungen etwas bewirken werden, hängt auch davon ab, ob es ihnen gelingt, den »Teufelskreis der kapitalistischen Wachstumsdynamik« zu durchbrechen und in dezentralen Einheiten mit subsistenzwirtschaftlichen Elementen einen Lebensstil zu entwickeln, der von »freiwilliger Einfachheit« und »sparsamer Schönheit« bestimmt ist. Bahro zeigte sich überzeugt, dass dieses Ziel erreichbar ist.
Doch einer großen Verbrauchergruppe geht es nach wie vor nicht primär um nachhaltige Entwicklung, sondern um ein Konsumniveau mit hohem Genuss, Spaß und Unterhaltung unter Aufrechterhaltung der Gesundheit. Das Klima soll zwar gerettet werden, doch ohne die Bereitschaft, auf die Annehmlichkeiten materiellen Wohlstands zu verzichten. Der SUV ist zum Symbolbild dessen geworden. Demgegenüber hat eine neue Gruppe von Verbrauchern angesichts des Klimanotstands begonnen, politische Prioritäten für ein Leben mit nachhaltiger Lebensqualität zu entwickeln.
Wie schon Bahro vor ihnen hat sie erkannt, dass eine rettende Lebensweise noch nicht erreicht ist, solange der »Normalverbrauch« nur biologisch-dynamisch garniert wird, die Autos etwas weniger Sprit fressen oder durch Elektromobile ersetzt werden, Getränkedosen dünnwandiger sind und die Menschen sich gesundheitsbewusster ernähren. »Wir machen uns mit unserer Normalität kaputt,« mahnte Bahro.
Die Antennen der heutigen Umweltbewegung für eine solche Kritik am materiellen Wohlstandsmodell scheinen ausgerichtet.
Dennoch können wir derzeit nur feststellen, dass der Kampf der Lebenstriebe gegen den »gesellschaftlich organisierten Todestrieb« noch nicht entschieden ist.
Sein Ausgang wird davon abhängen, ob es gelingt, eine postkapitalistische Ökologie zu errichten, die den Neoliberalismus ebenso wie den Konsumismus verabschiedet.
Die Utopie eines Postkapitalismus ist immer wieder zum Leben erwacht und hat sich bei Rudolf Bahro, einem Vordenker der Sozialökologie in Deutschland, in der klaren Erkenntnis niedergeschlagen, dass ein »rettender gesellschaftlicher Wandel« eine tiefgreifende Verwandlung des Menschen sowie neue Beziehungsstrukturen und Institutionen voraussetzt, die eine Abkehr von der gesellschaftlichen und ökonomischen Megamaschine beinhalten. Wohl hätte Bahro mit den Aktivisten von »Extinction Rebellion« sympathisiert. Doch richtete er sich stets gegen Apokalyptiker, die den Weltuntergang als unvermeidlich darstellen.
Den rettenden gesellschaftlichen Wandel sah er in der Verwandlung des menschlichen Selbst voraus.
Für Bahro kann es nur zu einer ökologischen Rettungspolitik kommen, wenn der gewohnte Rahmen – in dem die Machbarkeit wirtschaftlich und politisch definiert wird und an die vorherrschenden Gewohnheiten und Institutionen gebunden ist – überschritten wird.