Venedig-Kommission kritisiert Kiew
Neues Gesetz soll die russische Sprache in der Ukraine verdrängen
Das sogenannte Sprachengesetz soll die ukrainische Sprache im öffentlichen Leben des Landes klar bevorzugen. In der Regierungspartei gibt es nun Forderungen, die Regelung aufzuheben.
Die internationale Venedig-Kommission hat die Ukraine für ihre Sprachenpolitik kritisiert. Im Juli war dort das Sprachengesetz in Kraft getreten, noch zur Amtszeit des Ex-Präsidenten Petro Poroschenko. De facto bewirkt das umstrittene Gesetz, dass Ukrainisch quasi zur alleinigen Sprache des öffentlichen Lebens wird – obwohl rund 30 Prozent der Menschen laut Umfragen Russisch als Muttersprache angeben. So wird die vorrangige Nutzung des Ukrainischen etwa für die private Dienstleistungsgewerbe oder auch für die Presse verpflichtend. Die ukrainischsprachige Auflage der Printmedien soll in der Zukunft ebenfalls mindestens so groß sein wie die Auflage in einer Minderheitssprache.
Der politisch aktive Teil der ukrainischen Gesellschaft, der Poroschenko bei den von Wolodymyr Selenskyj gewonnenen Präsidentschaftswahlen im Frühjahr mehrheitlich unterstützte, stand hinter dem Gesetz. Die Kritik aus der Bevölkerung war trotzdem groß. Nun kommt sie auch von der Venedig-Kommission, die Staaten verfassungsrechtlich berät. Vergangene Woche forderte sie ein eigenes, starkes Gesetz, das die Sprachrechte der Minderheiten sichern würde und zusammen mit diesen erarbeitet werden soll. Ohne ein solches Gesetz sei die Sprachbalance nicht herzustellen.
Die Venedig-Kommission spricht außerdem die besondere Rolle des Russischen in der Ukraine deutlich an – und hält es für fragwürdig, dass etwa im Bildungsbereich Unterschiede zwischen den Sprachen der EU-Minderheiten und dem Russischen gemacht werden. Ab der 5. Schulklasse wird die Ausbildung fast komplett auf die Staatssprache Ukrainisch umgestellt. Die Übergangsperiode bei den EU-Sprachen wie zum Beispiel Ungarisch im westukrainischen Transkarpatien dauert bis 2023, beim Russischen dauert sie lediglich bis 2020. Darüber hinaus empfiehlt die Kommission, der privaten Dienstleistungsgewerbe den Gebrauch anderer Sprachen zu erlauben und die Normen zur verpflichtenden Größe der ukrainischsprachigen Auflage bei Printproduktionen zurückzuziehen.
Ebenfalls setzt man sich für die Verringerung der Strafen ein, für die die neu geschaffene Stelle des Beauftragten für den Schutz der Staatssprache verantwortlich ist. Diese Stelle wurde durch Tetjana Monachowa besetzt, die sich für die Ukrainisierung des ganzen Landes einsetzt. »Es gibt viele Mythen bezüglich des Sprachgesetzes«, meinte sie auf ihrer ersten Pressekonferenz
vergangenen Woche. Das Gesetz reguliere lediglich die Beziehungen der Bürger mit ihrem Staat und keinesfalls ihre Privatsphäre.
Monachowa versprach zudem, dass die Ukraine auf die Empfehlungen der Venedig-Kommission bei der Erarbeitung des Gesetzes zu den Minderheitensprachen achten wird, kritisierte jedoch andere Einschätzungen der Kommission und kündigte eine baldige offizielle Antwort an. Neben der erwartbar positiven Reaktion auf die
»Dieses Gesetz hat nichts mit dem Schutz der ukrainischen Sprache zu tun.«
Maxym Buschanskyj, prorussischer Abgeordneter
Schlussfolgerungen der VenedigKommission aus der zweitgrößten Partei im ukrainischen Parlament, der prorussischen »Oppositionsplattform«, gibt es zum Sprachgesetz nun kritische Stimmen auch in der Regierungsfraktion »Diener des Volkes« rund um den Präsidenten Selenskyj.
So hat der Abgeordnete Maxym Buschanskyj einen Entwurf zur Aufhebung des Gesetzes beim Parlament eingereicht. »Dieses Gesetz hat nichts mit dem Schutz der ukrainischen Sprache zu tun. Das Ziel ist lediglich die Diskriminierung – vor allem die der Russischsprechenden.« Allerdings gilt Buschanskyj in patriotischen Kreisen selbst als etwas prorussisch.
»Wir werden die Empfehlung der Venedig-Kommission im Ausschuss prüfen. Die Position unserer Partei und des Präsidenten ist, dass die Sprache die Ukraine nicht mehr teilen wird«, sagte Olexander Tkatschenko, Vorsitzender des Fachausschusses. »Die Eile des Kollegen bei einer derart empfindlichen Frage unterstützte ich persönlich aber nicht.« Dennoch wird die Sprachfrage demnächst sicher wieder auf der Tagesordnung stehen.