»Wat? Wohin jeht et? Inne Südsee? Ach mein Jott!«
Der Berliner Liedermacher Stefan Körbel hat seinen ersten Roman veröffentlicht
Rette sich, wer kann! Seefahrt, Sehnsucht, Seelenqual« hieß eines der vielen Programme des Liedermachers Stefan Körbel. Das wäre auch ein prima Titel für sein Buchdebüt gewesen. Doch das heißt »Wendekreis oder die Vollendung der deutschen Einheit im Südpazifik«. Darin schickt er seinen Helden Rollo Schultz (mit gemütlichem Bauch, flinken Fingern auf der Gitarre, meerverliebt und segelvernarrt dem Autor nicht ganz unähnlich) auf eine abenteuerliche Reise in die Weite der Ozeane.
»Wat? Wohin jeht et? Inne Südsee? Ach mein Jott! Wo is ditte denn. Machorka… oder wat?« Nachbarin Klawitter soll das Grünzeug des Berliners Musikers Rollo versorgen, während der auf einem reichlich dubiosen Kreuzfahrtschiff anheuert, um abends in der Bar stellvertretend für seinen kranken Kollegen Alex aufzuspielen. 7000 Euro Gage sind nicht zu verachten und das Meer lockt. Doch noch ehe der Barde mit der merkwürdig zusammengewürfelten Besatzung an Bord warm werden kann, sinkt das Schiff. Was nicht das einzige Mysterium bleiben soll.
Rollo und die gerade einmal 20jährige Schwäbin aus der Kombüse stranden als (vorerst) einzige Überlebende auf einer einsamen Insel im Südpazifik. Sie ist halbtot, er wird zu ihrem Retter, erst hausen sie in einer Felsspalte, später bauen sie sich eine Hütte, hinterher noch ein Boot. So leben Robinson Rollo und »seine kleine Stella«. Denn es entwickelt sich, wie kann es anders sein, wenn Mann und Frau allein auf weitem heißen Sand sind, eine Liebesbeziehung. Während die Südseesonne brennt, die Tage kommen und gehen wie die Ozeanwellen, erzählen die Zwei sich ihre Leben. Vor allem Rollo mit seinen fast 60 Jahren, aus der wilden Kulturszene und noch dazu aus’m Osten kommend, hat da einiges zu bieten. Und darum geht es ja eigentlich.
Rollo Schultz wird zum kongenialen Transporteur für Wahrheit und Wirklichkeit, Dichtung und Deutung gelebten prallen Dabeiseins in zwei Gesellschaftsformen (»Glaubt mir, oder lasst es sein«). Welch’ verwegener Einfall, spitzfindiger Rahmen, um deutsch-deutsche Geschichte zu erzählen.
Stefan Körbel, unangepasster Berliner Liedermacher bis heute, Jahrgang 1953, gründete in den 70ern das Lied-Theater Karls Enkel mit und in den 80ern die Bolschewistische Kurkapelle. Er betrieb die Plattenfirma
Nebelhorn und die Kulturkneipe Club Voltaire. Er spielt Gitarre, Geige, Mandoline. Singt Beatles neben Tangos, Dylan neben Wyssozki, Tucholsky auf Gundermann. Seit 2012 ist er Kopf des Berliner Buonarroti-Archivs für zeitgeschichtliche Video-Interviews. In seiner kleinen Wohnung biegen sich die Regalbretter ächzend unter Tausenden von Büchern, von denen er nicht ein einziges herzugeben vermag. So viel Glück durch Wissen! Und Fixpunkt wohl auch im Heute, das in Rollos Mund zu einem immer dickeren »giftgrünen Gummibonbon« gerinnt. »Mir jedenfalls schien … in der von heute aus gesehen fast amüsanten, jedenfalls skurrilen sogenannten DDR die Welt eine dennoch halbwegs durchschaubare zu sein. Halbwegs. Nun ist sie es nicht mehr. Ein einziges Wirrwarr.«
Es gab keinen Plan für seinen Roman, so der Autor, keine Pinnwand mit Figurenkonstellationen oder so. Eines Morgens begann er einfach loszuschreiben, und es sprudelte. Ein luftiges Gestrick aus Gegenwärtigem und Vergangenem, Philosophischem und handfest beschriebenem Überlebenskampf in der Südsee entstand. Das ist hochdramatisch, schaurigschön, humor- und geistvoll von der ersten bis zur letzten Seite. Manchmal ist einem auch zum Heulen. Einmal begonnen mit dem Lesen, kann man nicht mehr aufhören. Trotz der eigenwilligen Form: Stakkato-Sätze, lange Monologe, knappe Dialoge, mitunter ziemlich deftige Szenen, Kraftausdrücke, die nichts für zarte Gemüter sind.
Nur so viel sei noch verraten: Die Romanze hat kein Happy End. Es gibt keine Vollendung. Rollo Schultz kehrt nach einem unglaublichen Jahr allein ins Berliner Novembergrau zurück, mit einer Südseeperle als einziger Habe. Ein kleines Juwel für die Erinnerung – wie Stefan Körbels Roman-Erstling 2019.
Welch’ verwegener Einfall, spitzfindiger Rahmen, um deutsch-deutsche Geschichte zu erzählen.
Stefan Körbel: Wendekreis oder die Vollendung der deutschen Einheit im Südpazifik. Edition schwarzdruck, 560 S., geb., 29 €.