Gleicher Lohn? Doch nicht
Die EU will Arbeitnehmer im In- und Ausland gleichstellen. Ein Gesetzentwurf des Arbeitsministeriums bleibt weit hinter den Vorgaben zurück.
Ein Pole, der auf einer Baustelle in Berlin arbeitet. Ein Rumäne, der in einem Hühnermastbetrieb in Brandenburg beschäftigt ist. Eine Tschechin, die in einem hessischen Restaurant kocht und putzt. Solche Arbeitnehmer sind sogenannte entsandte Beschäftigte, wenn sie bei einem Unternehmen außerhalb von Deutschland angestellt sind.
Ihnen müssen ihre ausländischen Arbeitgeber den deutschen Mindestlohn zahlen, nicht aber die vor Ort gültigen Tarifsätze. Eine neue EU-Gesetzgebung will das ändern. Im Sommer 2018 wurde die reformierte EU-Entsenderichtlinie verabschiedet, die die Gleichstellung dieser Beschäftigten mit inländischen Arbeitnehmern festlegt. Der Grundsatz lautet: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort, kurz: Equal Pay. Bis zum 30. Juli 2020 muss sie in nationales Recht umgesetzt werden.
In Deutschland bedeutet das vor allem: Das Arbeitnehmerentsendegesetz muss geändert werden. Dazu hat das Bundesarbeitsministerium noch Ende 2019 einen Referentenentwurf vorgelegt. Auf den ersten Blick scheint er die Ziele der Entsenderichtlinie zu erfüllen. Doch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die IG BAU und auch die grüne Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Arbeitnehmer*innenrechte, Beate Müller-Gemmeke, sind anderer Ansicht: Sie sprechen von einer Mogelpackung.
»Der Entwurf ist nicht nur inhaltlich schlecht, er enthält auch abstruse Punkte«, sagt MüllerGemmeke dem »neuen deutschland«. Unisono heißt es: Wird der Entwurf so verabschiedet, wie er jetzt formuliert ist, dann wird es mit gleichem Lohn für gleiche Arbeit nichts. Weil Rechte nur teils gewährt werden und Kontrollen nur eingeschränkt möglich sind. Denn: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit bedeutet auch, dass allen alle Lohnbestandteile, also beispielsweise Sonn- und Feiertagszuschläge, zustehen müssen. Und tatsächlich heißt es in der Gesetzesbegründung des Arbeitsministeriums, der Begriff »Mindestlohn« solle im Arbeitnehmerentsendegesetz durch »Entlohnung« ersetzt werden. So weit, so gut.
Irritiert zeigten sich Müller-Gemmeke und Vertreterinnen des DGB im Gespräch mit dem »nd« aber, dass im Gesetzestext selbst an einigen Stellen der Begriff »Mindestlohn« dann doch nicht ersetzt wird. Stattdessen wird in maßgeblichen neuen Regelungen zwischen »Mindestentgeltsätzen« und weiteren »Entgeltbestandteilen« unterschieden.
Im Ergebnis bedeutete dies, dass sich die Zollkontrollen wie gehabt auf die Einhaltung der Branchenmindestlöhne fokussieren. Nicht kontrolliert werden sollen aber die weiteren Entlohnungsbestandteile. Auch könnten letztere weder sanktioniert noch eingeklagt werden, so die DGB-Rechtsexpertin Micha Klapp. Und schließlich kann ein Beschäftigter nach der vorgesehenen Regelung sogar – beispielsweise im Arbeitsvertrag – dazu verpflichtet werden, auf diese Lohnbestandteile zu verzichten.
Noch eine weitere geplante Änderung irritiert die Arbeitsrechtsexperten. Im Referentenentwurf heißt es, dass künftig grundsätzlich alle bundesweit geltenden allgemein verbindlichen Tarifverträge auch für Entsandte gelten sollen – so, wie es die EU-Richtlinie vorsieht. Aber der Gesetzesentwurf sieht eine Einschränkung vor: Die Tarifverträge sollen nur bis zu drei Entgeltstufen umfassen. Wie das praktisch aussehen soll, können sich weder Müller-Gemmeke
noch DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach vorstellen: Tarifverträge, die mehr Entgeltstufen haben – und das sind die meisten – würden womöglich doch nicht für Entsandte gelten. Oder sie würden zwar gelten, aber nur bis zur dritten Entgeltstufe. Dann gäbe es aber wieder eine Ungleichbehandlung, die die Entsenderichtlinie gerade abschaffen will. Zudem widerspräche das der Tarifautonomie der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften. Auch die Arbeit des Zolls würde durch beide Regelungen stark erschwert werden, die auch deswegen nicht zu rechtfertigen seien, kritisiert Buntenbach.
Für Müller-Gemmeke bedeutet der Entwurf vor allem eins: »Man will nicht, dass sich tatsächlich etwas für entsandte Beschäftigte verbessert.« Die Regelung sage nichts weiter als »dass es Lohndumping weiter geben soll«. Sowohl Müller-Gemmeke als auch Buntenbach halten den Entwurf in mehreren Punkten für »unionsrechtswidrig« – er widerspricht demnach der EU-Richtlinie und ist juristisch angreifbar. »Das läuft auf ein Vertragsverletzungsverfahren hinaus«, sagt Buntenbach.
Die Einschätzung findet sich auch in der Stellungnahme der IG BAU. Darin heißt es zudem: »Der Entwurf steht im krassen Widerspruch zum bisherigen Handeln und den Forderungen der Bundesregierung auf europäischer Ebene bei diesem Thema. Er untergräbt damit die Glaubwürdigkeit unseres Landes auf europäischer Ebene. Wir fordern deshalb eine grundlegende Überarbeitung des Entwurfes.«
Das Bundesarbeitsministerium wollte sich zu der Kritik nicht äußern, da sich der Entwurf noch in der Abstimmung befindet.