Lange Haftstrafen für Antifaschisten
Russisches Gericht spricht sieben junge Männer des Terrorverdachts schuldig
Weil sie angeblich ein Terrornetzwerk gegründet hatten, wurden im russischen Pensa sieben junge Männer zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Kritiker nennen den Schuldspruch »ungeheuerlich«.
Wochenlang wurde im »Netzwerk«Fall das Urteil erwartet, am Montag war es so weit: Im russischen Pensa befand das zuständige Militärgericht die sieben Angeklagten in allen Punkten für schuldig und verhängte Haftstrafen zwischen sechs und 18 Jahren wegen Organisation und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Gegen Einzelne wurde zudem Anklage wegen Drogenhandels und illegalen Waffenbesitzes erhoben. Zwei von ihnen gaben zu, mit Drogen gedealt zu haben. Zu den Hauptvorwürfen aber bekannten sich alle vor Gericht stehenden Antifaschisten und Anarchisten als nicht schuldig.
Dazu hatten sie allen Grund: Nicht nur laut ihren Aussagen vor Gericht existierte überhaupt kein Netzwerk, auch die Anklage konnte keine überzeugenden Beweise vorlegen, die einen schwerwiegenden Terrorismusvorwurf rechtfertigen würden. Die nun Verurteilten, die 2017 und 2018 verhaftet worden waren, haben keinen Anschlag verübt. Es gibt weder einen Tatort noch gelang es, die Tatumstände aufzuklären. Dafür umfasst die Liste an Verfehlungen und offenbar gezielter Beweisfälschung seitens des ermittelnden Inlandsgeheimdienstes FSB ganze Bände.
Vor Gericht berichteten Zeugen der Anklage, unter Druck gesetzt worden zu sein. Ein unter Deckname auftretender Geheimzeuge konnte leicht als der stadtbekannte Neonazi Wlad Gresko ausgemacht werden. Der 23 Jahre alte Antifaschist Ilja Schakurskij, der als einer der vermeintlichen Anführer des Netzwerkes zu 16 Jahren Strafkolonie mit verschärften Haftbedingungen verurteilt wurde, soll versucht haben Gresko für einen revolutionären Umsturz anzuwerben.
In Schakurskijs Wohnung fanden FSB-Angehörige einen Feuerlöscher, der später in den Unterlagen zur »selbstgebauten Bombe« mutierte. Sie ließen die bei Durchsuchungen erforderlichen Zeugen erst herein, nachdem sie bereits sieben Minuten lang in der Wohnung allein gewesen waren. Auf der Festplatte seines Computers stellten die Ermittler denn auch die »Satzung« der Gruppe sicher. Allerdings kommt ein Gutachten zu dem Ergebnis, dass die entsprechende Datei erst nach Schakurskijs Festnahme eingerichtet worden war.
Doch der größte Skandal ist und bleibt die Anwendung physischer
Druckmittel. Mehrere Angeklagte hatten angegeben, sich selbst belastende Erstaussagen unter Folter getätigt zu haben. Öffentlich bekannten sie sich dazu erst, nachdem bei Viktor Filinkow, der beschuldigt wird, einer
Oleg Orlow, »Memorial«
St. Petersburger Terrorzelle anzugehören, Spuren von Elektroschocks am Körper festgestellt worden waren.
Am härtesten traf es Dmitrij Ptschelinzew, der, zu 18 Jahren Haft verdammt, als Kopf der Gruppe gilt. In einer Zelle eines leerstehenden Blocks des Untersuchungsgefängnisses, in dem er sich den Gerichtsunterlagen nach nie aufgehalten hat, wurde sein
Körper an eine Strommaschine angeschlossen. Nach Rücknahme seines Schuldbekenntnisses wurde er erneut gefoltert. Trotzdem beharrt er auf seiner Unschuld. Überflüssig zu erwähnen, dass die Foltervorwürfe juristisch nie aufgearbeitet wurden.
Trotz Protesten gegen die Aburteilung und Folter politisch missliebiger junger Männer bleibt der große Aufschrei in Russland aus. Lediglich Menschenrechtler wie die der Organisation »Memorial« äußern sich zu dem Fall: »Dies ist ein ungeheuerliches, hartes Urteil, aber wir haben nichts anderes erwartet«, sagte Oleg Orlow von »Memorial« der AFP.
Für die nun Verurteilten geht der Horror nach dem Urteil weiter. Wassilij Kuksow kann von Glück sprechen, wenn er das Ende seiner neunjährigen Haftstrafe erlebt. In Untersuchungshaft hatte er sich mit Tuberkulose infiziert, die zuständigen Ärzte diagnostizierten erst Monate nach dem Erstverdacht eine offene Form im fortgeschrittenen Stadium.
»Dies ist ein ungeheuerliches, hartes Urteil, aber wir haben nichts anderes erwartet.«