Enteignung als symbolische Maßnahme
Andalusische Gewerkschaft SAT steht vor Gericht
Es war in der Hochphase der Eurokrise in Spanien, 2012, da gingen Gewerkschafter in Écija bei Sevilla in einen Mercadona-Supermarkt, füllten die Einkaufswagen mit Lebensmitteln und verteilten sie an arme Familien. Mit dieser »Enteignung« protestierten die Mitglieder der Andalusischen Arbeitergewerkschaft SAT gegen Arbeitslosigkeit und Armut, die sich durch die Krisenprogramme zugespitzt hatten. Dafür müssen sich nun zwei Dutzend Gewerkschafter vor dem Obersten Gericht Andalusiens verantworten. Ihnen wird Raub mit Gewaltanwendung vorgeworfen. Die Aktion erregte nicht nur in Spanien Aufmerksamkeit. Die Staatsanwaltschaft sowie die Supermarktkette fordern eineinhalb Jahre Haft für jeden Beteiligten und rund 14 000 Euro Strafe.
Erfolgreiche Landbesetzung Óscar Reina, Generalsekretär der SAT, hat selbst an der Aktion teilgenommen. Er sieht darin einen symbolischen Akt, um die Politiker bloßzustellen. Keine Regierung, so Reina, habe eine Antwort auf die strukturelle Arbeitslosigkeit und Armut gehabt, weder auf nationaler noch auf regionaler Ebene. Vielmehr sei im Juli sogar noch eine der wenigen Sozialleistungen gekürzt worden: die 400 Euro Unterstützung pro Monat für ältere Arbeitslose, die keinerlei Einkünfte hatten. Wovon sollten sie also Lebensmittel bezahlen? Deshalb die Aktion.
Die SAT-Gewerkschafter müssen sich noch wegen weiterer Aktionen verantworten. Dazu zählt die Besetzung der brachliegenden Finca Somonte in der Provinz Córdoba, die bis heute anhält. Immer wieder wird das Landgut geräumt und erneut besetzt, um dort Gemüse anzubauen. Sogar eine Abfüllfabrik gibt es inzwischen, um die Ernte in Dosen haltbar zu machen. Zudem hatten die Aktivisten 2012 in einem weiteren Supermarkt Schulmaterial »enteignet«, da viele Kinder nicht einmal die grundlegenden Materialien hatten. Hier nahm die Firma Carrefour ihre Anzeige jedoch zurück.
Repression behindert Arbeit der Gewerkschaft
Einige Mitglieder des SAT sitzen bereits im Gefängnis. So ist Fran Molero nach einem Prozess, in dem ihm vorgeworfen wurde, während einer Protestaktion die Polizei attackiert zu haben, seit zwei Jahren inhaftiert. Der Podemos-Abgeordnete Andrés Bódalo, zugleich Sekretär des SAT, war gleichfalls eineinhalb Jahre im Gefängnis. Die Kriminalisierung der Aktivisten führe zur Einschüchterung der Bevölkerung. Diese traue sich nicht mehr zu protestieren, sagt der Gewerkschafter Reina. Rund eine Million Euro musste die SAT an Strafen zahlen. Wegen der Prozesse und Strafzahlungen sind die Aktivitäten der kämpferischen Gewerkschaft fast zum Erliegen gekommen. In den vergangenen zehn Jahren gab es rund 600 Prozesse gegen Gewerkschafter der SAT. »Aber wir existieren noch«, versichert Reina, »teilweise auch wegen der internationalen Solidarität.« Anfang Februar war er in Köln, um die Lage zu schildern.
Von der Partei Unidas Podemos erwartet Reina, sich solchen Aktionen zumindest nicht in den Weg zu stellen. Er fordert, dass sie in der neuen Regierung das sogenannte Maulkorbgesetz abschafft. Podemos unterstützt die Forderung. Das »Gesetz zur Sicherheit der Bürger« wurde 2015 vom konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy erlassen und dient maßgeblich der Kriminalisierung von Protesten. Reina selbst drohen auf dieser Grundlage in einem Verfahren fünf Jahre Haft. »Ich habe nichts anderes gemacht, als während eines Streiks mein Recht auf Information wahrzunehmen.«