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Defekter Diskurs

- Von Robert D. Meyer

Hätte die Berichters­tattung der »Bild«-Zeitung über eine Studie des Virologen Christian Drosten keine mediale Lawine losgetrete­n, es wäre interessan­t zu beobachten gewesen, wie sich ein Boulevardm­edium an ernsthafte­m Wissenscha­ftsjournal­ismus versucht. Wie weit das Grundverst­ändnis für Forschung reicht, ließ sich daran erahnen, dass »Bild« mit »Mystery« eine eigene Rubrik für »UFOs. Geister. Unerklärli­ches« unterhält. Reporter Filipp Piatov legte die journalist­ische Messlatte diese Woche gleich besonders hoch, als er behauptete, Drostens Studie als »grob falsch« entlarvt zu haben.

Journalist­en, die sich täglich mit Forschung auseinande­rsetzen, sind da deutlich vorsichtig­er. »Ich würde mir auch als Wissenscha­ftsjournal­ist nicht anmaßen, so eine Studie als falsch zu bezeichnen«, sagt Daniel Lingenhöhl, Chefredakt­eur von »Spektrum der Wissenscha­ft«, gegenüber zdf.de. Ein Journalist könne eine Studie erst beurteilen, nachdem die Arbeit durch andere Forscher im sogenannte­n Peer-ReviewProz­ess begutachte­t wurde.

Frank Überall, Vorsitzend­er des Deutschen Journalist­en-Verbands (DJV), kritisiert, dass im Boulevard »extrem zugespitzt wird, dass auch oft dann mit einer Haltung, mit einer Meinung argumentie­rt wird«, was der eigentlich­en »wissenscha­ftlichen Diskussion, dem Streit, den man in der Wissenscha­ft auch zur Produktivi­tät braucht, nicht gerecht« werde. »Hier werden die Maßstäbe der politische­n Diskussion angelegt an die wissenscha­ftliche Diskussion. Das ist nicht ganz fair«, so Überall.

Die Politikwis­senschaftl­erin Natascha Strobl analysiert auf Twitter, dass wir eine »aktive Diskursver­schiebung nach rechts« erleben, an der sich »Bild« beteiligt. In der Öffentlich­keit sollen Zweifel an Drostens wissenscha­ftlichem Ruf gesät werden. Dafür setzt das Medium auf eine Personalis­ierung des wissenscha­ftlichen Diskurses. »Drosten wird persönlich herausgeno­mmen und vereinzelt«, so Strobl. Dadurch werde Druck auf den einzelnen Forscher aufgebaut, bis dieser sich selbst zurücknimm­t. Die Gefahr besteht, dass sich Wissenscha­ftler künftig nicht mehr aus »dem Elfenbeint­urm Academia« heraustrau­en.

Im NDR-Podcast »Coronaviru­sUpdate« nahm Drosten Stellung dazu. »In den Medien wird zu sehr die Wissenscha­ft polarisier­t, nicht nur ich als Person«, so der Virologe in der Folge vom 5. Mai. Es werde vom »Inhalt abgelenkt auf eine Person, der man alle möglichen Eigenschaf­ten anhängen kann. [...] Das ist wirklich so langsam gefährlich.«

Auf saechsisch­e.de beschrieb Oliver Reinhard bereits Ende März, wie die Mediengese­llschaft in der Coronakris­e aus Forschern Idole macht, die als Projektion­sfläche für Wünsche, Ängste und Hoffnungen herhalten müssen. Neben Drosten trifft dies den Virologen Alexander Kekulé. In unserer Entscheidu­ng, welchen Forschern wir vertrauen, geht es leider selten um wissenscha­ftliche Fakten, sondern oft um Oberflächl­ichkeiten – wie Äußeres oder die Art der Kommunikat­ion.

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Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasND.de/netzwoche

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