Verfassungsschutz ermöglichte Waffenbesitz
Geheimdienst gab Informationen über mutmaßlichen Helfer beim Lübcke-Mord nicht weiter
Der militante Neonazi Markus H. beantragte eine Waffenbesitzkarte. Das Gericht fragte beim Verfassungsschutz nach: Dieser teilte sein Wissen jedoch nicht.
Der hessische Verfassungsschutz hat laut einem Bericht Informationen über den Mitangeklagten Markus H. im Mordfall Walter Lübcke zurückgehalten. Der Inlandsgeheimdienst ließ damit möglicherweise zu, dass der langjährig aktive und überzeugte Neonazi legal in den Besitz von Waffen gelangen konnte.
Die Waffenbehörde von Kassel hatte Markus H. wegen seiner extrem rechten Aktivitäten zunächst keine Waffenbesitzkarte erlaubt. 2015 konnte er diese nach einer Klage vor dem Verwaltungsgericht erstreiten. Der Grund: Der Verfassungsschutz hatte der Waffenbehörde keine aktuellen Hinweise auf extrem rechte Tätigkeiten
von H. gemeldet. Nach dem Waffenrecht darf man keine Waffenbesitzkarte erhalten, wenn man in den zurückliegenden fünf Jahren »verfassungsfeindliche Bestrebungen« verfolgt hat.
Nach Recherchen des ARD-Magazins »Panaroma« befanden sich in der VS-Akte von Markus H. jedoch Einträge von 2010 und 2011. Behördenmitarbeiter hatten demnach 2011 einen Youtube-Kanal von H. ausgewertet, auf dem unter anderen antisemitische Videos gewesen sein sollen. Im Jahr zuvor habe ein V-Mann berichtet, dass H. an einem Neonazi-Aufmarsch teilnehmen wolle. Der Geheimdienst verschickte an die Waffenbehörde aber nur Angaben bis 2009. Der Präsident des hessischen Verfassungsschutzes, Robert Schäfer, sagte gegenüber der »ARD«, dass er dafür keine Erklärung habe. Ob ein Fehler zugrunde lag, könne er nicht beurteilen.
Markus H. ist wegen Beihilfe zum Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten
und CDUPolitiker Lübcke angeklagt. Gemeinsam mit dem Hauptangeklagten Stephan E. muss er sich dafür ab kommendem Dienstag vor Gericht verantworten. Die Anklage wirft H. vor, Stephan E. an Waffen ausgebildet zu haben. Zudem habe H. für E. eine Waffe auf seine Besitzkarte eingetragen.
»Die Erzählung von Hessens Innenminister Peter Beuth und seines ›Verfassungsschutzes‹, wonach seit 2009 keine Erkenntnisse mehr über rechtsradikale Aktivitäten der später mutmaßlich am Lübcke-Mord Beteiligten vorgelegen hätten, entpuppt sich immer mehr als Unwahrheit«, kritisierte Hermann Schaus, innenpolitischer Sprecher der hessischen Linksfraktion, am Donnerstag die neuen Erkenntnisse. Offenbar gehe es darum, vom eigenen Versagen abzulenken. Das Innenministerium und der Verfassungsschutz müssten nun Konsequenzen ziehen, so der Politiker.
Der Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag zur Rolle der Sicherheitsbehörden im Fall Lübcke soll einem Bericht zufolge noch im Juni eingerichtet werden. Nach der Sommerpause wolle man die inhaltliche Arbeit beginnen, heißt es. Im Mai hatten Ermittler auf dem Mobiltelefon von Markus H. ein vertrauliches Polizeidokument zum Thema Terrorfahndung gefunden. Wie das Dokument dorthin gelangte, ist noch unklar.