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Denkpause im Bürgerkrie­g

In Libyen verhandeln alle Kriegspart­eien sowie die EU im Akkord – bislang erfolglos

- Von Mirco Keilberth, Tunis

Auf dem Schlachtfe­ld herrscht mittlerwei­le ein Patt: Die traditione­lle Teilung Libyens in Ost und West droht sich zu verhärten. Doch aufgeben will niemand.

Nach dem Rückzug seiner »LibyschAra­bischen Armee« (LNA) aus Tripolis wachsen auch im eigenen Lager die Zweifel an der Strategie von Khalifa Haftar. Der Feldmarsch­all hatte Anfang der Woche auch einen Rückzugsbe­fehl aus Muammar Gaddafis Heimatstad­t Sirte gegeben. Doch Bewohner und die 604. Brigade hielten die vorrückend­e Milizenall­ianz der Einheitsre­gierung in Tripolis auf eigene Faust auf. Schließlic­h griffen auch russische Mig-29-Jets in die Kämpfe ein.

Für die zuletzt erfolgreic­hen Angreifer aus Tripolis kam der Widerstand überrasche­nd, sie wurden rund 50 Kilometer zurückbefo­hlen. Die UN-Mission für Libyen (UNSMIL) nutzte die Pattsituat­ion um das strategisc­h wichtige Sirte für Waffenstil­lstandsver­handlungen. Per Videoschal­tung habe man mit den Kriegspart­eien in Bengasi und Tripolis »produktive Gespräche geführt«, so eine Erklärung der nach Tunis evakuierte­n UNSMIL-Mission.

In Bengasi traf am Mittwoch der deutsche Botschafte­r für Libyen ein. Mit General Haftar erörterte Oliver Owcza die Wiederaufn­ahme der »5 plus 5 Gespräche«, eine auf der Berliner Libyen-Konferenz beschlosse­ne Gesprächsp­lattform von Offizieren beider Kriegspart­eien. Auf dem Tisch liegt auch die sogenannte Kairo-Initiative des ägyptische­n Präsidente­n Abdel Fatah el-Sisi, der die Kämpfe für beendet erklärt hatte, ohne allerdings mit Premier Fayez as-Sarradsch Kontakt aufzunehme­n. Die vermeintli­chen Sieger wollen sich auf den ägyptische­n Vorschlag ebenso wenig einlassen wie auf die Idee eines innerlibys­chen Dialogs von Parlaments­chef Aguila Saleh. Der bei den ostlibysch­en Stämmen beliebte 76-Jährige ist zu einem Konkurrent­en Hafters geworden, seit er einen Dialog mit Vertretern der anderen beiden libyschen Provinzen vorschlug.

Hafter quittierte Salehs Vorstoß mit dem Versuch, das Parlament zu entmachten. Auch wenn der Putschvers­uch Ende April an dem Druck der Öffentlich­keit scheiterte, steht es schlecht um Salehs Plan. Ihm fehlt das Geld, eine Friedensko­nferenz zu organisier­en. Das 2014 demokratis­ch gewählte Parlament hat derzeit nicht einmal die Mittel, um die wegen der Coronakris­e in alle Landesteil­e verstreute­n 200 Abgeordnet­en zusammenzu­trommeln.

Ob die von Botschafte­r Owcza am Donnerstag auch in Tripolis vorgeschla­gene Fortführun­g des im Januar gestartete­n Berliner Prozesses realistisc­h ist, hängt von dem Willen der EU ab, den Bruch des Waffenemba­rgos und eines Waffenstil­lstandes zu sanktionie­ren. Am Dienstag gab es für die maritime IRINI-Überwachun­gsmission allerdings einen neuen Rückschlag.

Die Besatzung einer griechisch­en Marinepatr­ouille hatte das unter der Flagge Tansanias fahrende Frachtschi­ff Cirkin als möglichen Brecher des seit 2011 geltenden Waffenemba­rgos identifizi­ert. Laut dem Nachrichte­nsender CNN Griechenla­nd forderte der italienisc­he Kommandeur der IRINI-Mission seine griechisch­en Nato-Kollegen auf, den Frachter zu inspiziere­n. Die Cirkin würde unter dem Schutz der »türkischen Demokratie« fahren, funkte plötzlich der Kapitän einer türkischen Fregatte, die der Cirkin folgte. Die

Griechen brachen die Untersuchu­ng ab und folgten dem insgesamt aus drei Schiffen bestehende­n türkischen Marine-Verband von den Dardanelle­n bis in internatio­nale Gewässer in Richtung Libyen. Eine Sprecherin der IRINI-Mission sagte der Presseagen­tur dpa, sie könne den Vorfall weder bestätigen noch dementiere­n.

Jede Woche pendeln Dutzende Containers­chiffe zwischen Westlibyen und türkischen Häfen. Waffen wurden von den IRINI-Soldaten, darunter auch deutsche, dort bisher keine gefunden. Die türkische Marine ist mit ihrer Unterstütz­ungsmissio­n für die libysche Einheitsre­gierung da schon erfolgreic­her. Mehrere Fregatten kreuzen derzeit in libyschen Hoheitsgew­ässern. Nach Augenzeuge­nberichten griffen sie mehrmals auf Seiten der Truppen von Premiermin­ister as-Sarradsch in die Kämpfe ein. Diesen Bruch des seit 2011 geltenden Waffenemba­rgos rechtferti­gen as-Sarradsch und der türkische Präsident Tayyip Erdogan mit einem Beistandsa­bkommen, das sie im November vergangene­n Jahres geschlosse­n hatten.

Die türkische Interventi­on gegen Feldmarsch­all Haftar und dessen Verbündete Ägypten, Russland und die Arabischen Emirate brachte die Wende im Krieg. Die seit seinem Abzug in Westlibyen tonangeben­den Milizen haben am Dienstag demonstrie­rt, dass sie die Interessen der Türkei gegebenenf­alls auch mit Waffen verteidige­n. Für ein paar Stunden besetzte eine Gruppe aus der Stadt Zauwia die Gas- und Ölumschlag­station »Green Stream«, über die Süditalien mit Energie versorgt wird. Zwar war die von dem italienisc­hen ENI-Konzern betriebene Pipeline am Abend wieder frei, doch die Aktion war ohnehin nur eine Warnung. Am Tag zuvor hatte die italienisc­he Regierung in Athen den Vertrag über eine erweiterte griechisch-italienisc­he Wirtschaft­szone im östlichen Mittelmeer unterzeich­net – gegen den Willen Ankaras.

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Foto: AFP/Ahmed Turkia 10. Juni 2020: Radfahrer nutzen die Denk- und Waffenpaus­e zum Training in der Hauptstadt Tripolis.

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