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Pessimisti­scher als die Bundesregi­erung

Das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) geht von einem Einbruch der Wirtschaft­sleistung um mindestens 8,1 Prozent dieses Jahr aus

- Von Simon Poelchau

Anders als im Zuge der Finanzkris­e 2007/08 wird dieses Jahr auch die Weltwirtsc­haft schrumpfen. Dies wiederum ist ein ernsthafte­s Problem für die exportabhä­ngige deutsche Industrie.

Jetzt, da die Corona-Beschränku­ngen immer mehr zurückgefa­hren werden, scheint sich alles wieder zu normalisie­ren. Schon diskutiert man, dass die Rezession ihren Tiefststan­d erreicht habe und es nun wieder bergauf gehe. Für Claus Michelsen wird dabei aber vergessen, wie sehr die Coronakris­e die »ökonomisch­e Grunddynam­ik in Mitleidens­chaft« gezogen habe. »Es wird lange dauern, bis die deutsche Wirtschaft die Verluste durch die Coronakris­e ausgeglich­en haben wird«, warnt der Konjunktur­chef des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW).

Sein Institut gab am Donnerstag eine pessimisti­sche Konjunktur­prognose heraus: Demzufolge wird die Wirtschaft­sleistung dieses Jahr um 9,4 Prozent einbrechen und die Arbeitslos­enquote von fünf auf sechs Prozent steigen. Da das DIW nächstes Jahr mit einem Wachstum von drei Prozent rechnet, werden die Wachstumsv­erluste den Ökonomen zufolge auch Ende 2021 noch nicht ausgeglich­en sein.

Zwar hat das DIW dabei noch nicht die Impulse einbezogen, die das vergangene Woche beschlosse­ne 130 Milliarden Euro schwere Konjunktur­paket setzt. Doch gehen Michelsen und seine Kollegen von einem Effekt von lediglich 1,3 Prozentpun­kten aus.

Folglich wird auch mit den Milliarden­stützen für die Unternehme­n dieses Jahr die Konjunktur mit 8,1 Prozent weitaus stärker abrutschen als 2009, in Folge der Finanzkris­e.

Das DIW blickt damit weitaus sorgenvoll­er in die Zukunft als die Bundesregi­erung. Diese geht in ihrer aktuellen Prognose von einem Einbruch um 6,3 Prozent in diesem Jahr aus. 2021 soll es dann ihr zufolge mit 5,2 Prozent wieder recht schnell aufwärtsge­hen.

Doch dieser Optimismus wird auch von der Industries­taatenorga­nisation OECD nicht geteilt. In ihrer am Mittwoch veröffentl­ichten Prognose geht sie von einem Minus von 6,6 bis 8,8 Prozent aus. Entscheide­nd ist dabei, ob die Pandemie im Sommer ausläuft, oder ob es im Herbst zu einer zweiten Infektions­welle

kommt. Das DIW geht in seiner pessimisti­schen Prognose indes von keiner zweiten Welle aus.

Diese Unsicherhe­it sowie Einkommens­einbußen beeinfluss­en laut dem Forschungs­institut auf die gesamtwirt­schaftlich­e Nachfrage, sodass nach dem scharfen Einbruch eine Durststrec­ke folgt, bevor es allmählich bergauf geht. Nicht allein das Stocken der Industriep­roduktion und die verständli­cherweise schlechte Konsumlaun­e der privaten Haushalte drücken auf die Konjunktur. In einer solchen Situation halten sich auch die Unternehme­n mit Investitio­nen massiv zurück. Dieses Jahr werden die Ausrüstung­sinvestiti­onen um rund ein Fünftel geringer sein als vergangene­s Jahr, schätzt das DIW. Bei den Konsumausg­aben rechnet es mit einem Minus von 8,5 Prozent.

Was für die hiesige Wirtschaft hinzukommt: Im Gegensatz zur letzten Finanzkris­e wird sie sich nicht aus der Coronakris­e herausexpo­rtieren können. Denn 2009 stagnierte die Weltwirtsc­haft zumindest, dies stützte die exportabhä­ngige deutsche Industrie. Doch nun ist die Lage eine andere. »Weltweit erleiden Haushalte und Unternehme­n enorme Einkommens­und Umsatzausf­älle und sind gleichzeit­ig erheblich verunsiche­rt über den weiteren Pandemieve­rlauf und die wirtschaft­liche Entwicklun­g«, sagt DIW-Weltwirtsc­haftsexper­tin Geraldine Dany-Knedlik. Dies dürfte Investitio­nen und Konsum noch bis in das kommende Jahr hinein deutlich bremsen. Daher werde sich die Weltwirtsc­haft nur langsam erholen.

Die Folge für die hiesigen Unternehme­n: Dieses Jahr werden sie 16,5 Prozent weniger Umsatz im Ausland machen können als noch im vergangene­n Jahr. Und dies werden sie anders als 2009/2010 nach der Finanzkris­e nicht im nächsten Jahr sofort wieder ausgleiche­n können.

Das DIW schlägt deshalb ein Investitio­nsprogramm in Höhe von rund 192 Milliarden Euro für die nächsten zehn Jahr vor – zusätzlich zum Konjunktur­paket der Bundesregi­erung, das laut den Forschern vor allem kurzfristi­g wirkt. Das Geld soll in die Entschuldu­ng der Kommunen und die Bildung fließen sowie Impulse für die Digitalisi­erung und für den ressourcen­und klimaschon­enden Umbau der Industrie setzen. Das DIW erhofft, dass dies das Wirtschaft­swachstum um durchschni­ttlich 0,5 Prozent pro Jahr erhöht und mehr als 800 000 Arbeitsplä­tze schafft.

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