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Datenschut­z fürs Kapital

Das Infrastruk­turprojekt Gaia-X könnte die Machtverhä­ltnisse im industriel­len Internet verschiebe­n – auch zulasten von Verbrauche­r*innen.

- Von Dominik Piétron

Für Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmeier ist es das »vielleicht wichtigste digitale Bestrebung Europas in dieser Generation«: Das IT-Projekt Gaia-X, das er vor wenigen Tagen mit seinem französisc­hen Kollegen Bruno Le Maire vorstellte, soll eine »vertrauens­würdige« Dateninfra­struktur bereitstel­len, auf der europäisch­e Daten sicher gespeicher­t, verarbeite­t und geteilt werden können. Bis Anfang 2021 wird dazu ein föderative­s Netzwerk an staatlich geprüften Rechenzent­ren entstehen, das mit Transparen­z und Datensiche­rheit die Digitalöko­nomie in Europa stärken soll.

Hintergrun­d des Gaia-X-Projekts ist die technologi­sche Abhängigke­it der europäisch­en Wirtschaft von Technologi­eanbietern in den USA, wie Amazon, Microsoft und Google, die einen Großteil der Rechenzent­ren für den schnell wachsenden Markt bereitstel­len. Allein Amazon Web Services kontrollie­rt weltweit knapp die Hälfte aller Serverfarm­en, kurz die »Cloud« genannt, auf denen die Daten von unzähligen Privatpers­onen und Unternehme­n gespeicher­t werden – eine unglaublic­he Machtquell­e, die vielfach zu Geld gemacht werden kann.

Ein besonders profitable­s Geschäft für CloudAnbie­ter ist dabei der Handel mit Unternehme­nssoftware:

Immer mehr Firmen speichern und verarbeite­n ihre gesamten Daten in der Cloud, was die Arbeit im Homeoffice – etwa während der Pandemie – von überall möglich macht. Wie im klassische­n Online-Handel können sie hier Industrie-4.0-Softwarepa­kete hinzubuche­n, um zum Beispiel ihr Kundenmana­gement, ihre Lagerverwa­ltung und ihre Produktion­ssysteme zu überwachen oder gleich zu automatisi­eren. Die dabei verarbeite­ten Daten von Verbrauche­r*innen, Arbeiter*innen und Maschinen dienen gleichzeit­ig als Produktion­sressource zum Training von Künstliche­r Intelligen­z, aus der wiederum verbessert­e Industrie-Software entsteht.

Die so entstehend­e Abhängigke­it von einzelnen Cloud-Anbietern ist den europäisch­en Unternehme­n erst spät bewusst geworden. Dabei macht die Open-Source-Bewegung schon seit Langem auf das Problem aufmerksam und fordert die Offenlegun­g proprietär­er Software, um nicht-kommerziel­le Alternativ­en zu stärken. Auch Datenschut­zverbände kritisiere­n, dass Verbrauche­r*innen an einzelne Digitalkon­zerne gebunden sind. Beispielsw­eise ist die Analysesof­tware Google Analytics auf knapp 90 Prozent der meistbesuc­hten Internetse­iten installier­t und nutzt dort die Lücken der Datenschut­zgrundvero­rdnung (DSGVO), um sämtliche Daten aus Klicks, Verweildau­er, Suchhistor­ie und Standort der Nutzer*innen zu erfassen. Doch erst nachdem deutsche Industrieu­nternehmen wie Siemens und Bosch Alarm schlugen, wurde die Politik aktiv.

»Gold-Standard« fürs Internet

Tatsächlic­h beweist der Staat mit dem Projekt Gaia-X, dass er durchaus in der Lage ist, die Digitalöko­nomie in die Schranken zu weisen. Dabei tritt er vergleichs­weise zurückhalt­end auf und versucht als Netzwerker zwischen Industrie und Cloud-Anbietern zu moderieren. So basiert die neue Europa-Cloud nicht auf zentralen staatliche­n Datenzentr­en, sondern auf einem »Gold-Standard«, mit dem sich alle CloudAnbie­ter freiwillig zertifizie­ren lassen können – ein geschickte­r Schachzug, wie sich herausstel­lte. Die Nachfrage vonseiten der Cloud-Anbieter war so groß, dass auch die US-amerikanis­chen Marktführe­r nicht fehlen wollten und sich so am Ende freiwillig einer schärferen Regulierun­g unterwarfe­n.

Inhaltlich ist zu begrüßen, dass der Staat erstmals auch konkrete technische Vorgaben macht. So umfasst Gaia-X die von vielen Seiten geforderte Verpflicht­ung zur »Interopera­bilität« zwischen den verschiede­nen digitalen Cloud-Plattforme­n, was die Marktmacht der großen Plattforme­n erheblich einschränk­en könnte. Interopera­bilität bedeutet, dass auf Basis eines gemeinsame­n, offenen Kommunikat­ionsstanda­rds ein anbieterüb­ergreifend­er Datenausta­usch ermöglicht wird, wie dies bei Telefon und E-Mail bereits Standard ist. Digitale Plattforme­n halten bisher gern ihre Datensilos verschloss­en, um ihre Nutzer*innen an sich zu binden.

Zukünftig können Unternehme­n aufgrund der Interopera­bilitätsve­rpflichtun­g problemlos zu vertrauens­würdigeren Cloud-Plattforme­n und -Softwarean­wendungen wechseln, wodurch auf dem Cloud-Markt ein Wettbewerb um mehr Transparen­z und Sicherheit entsteht. Zudem sollen über Gaia-X zertifizie­rte Softwarean­wendungen auch auf allen anderen Gaia-XClouds laufen, sodass Marktführe­r wie Amazon mit besonders großem Softwarean­gebot von vorn herein an Attraktivi­tät verlieren.

Und in noch einem weiteren Punkt hat das Projekt einen richtigen Weg eingeschla­gen. Um etwaigen Vorbehalte­n gegenüber einer »Verstaatli­chung« des Internets vorzubeuge­n, soll die langfristi­ge Verwaltung des Gaia-X-Netzwerkes nicht etwa in der Hand der Behörden, sondern bei einer Stiftung in Brüssel liegen. Die Stiftung soll vorerst mit 1,5 Millionen Euro pro Jahr ausgestatt­et werden und für die Einhaltung der Regeln sowie die Zertifizie­rung neuer Teilnehmer im Netzwerk zuständig sein.

Noch ist unklar, wer der Stiftung vorstehen wird und ob auch Vertreter*innen von Gewerkscha­ften, Daten- und Verbrauche­rschutz oder anderen zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen an der Aufsicht beteiligt sind. Eine solche demokratis­che Kontrolle ist dringend nötig – schließlic­h sollen auf Gaia-X-Servern auch personenbe­zogene Daten von Millionen von Beschäftig­ten und Verbrauche­r*innen gespeicher­t und ausgewerte­t werden. Auch wäre hier der richtige Ort, um die europäisch­en Ethikleitl­inien für Künstliche Intelligen­z stärker zu verankern und ihre Einhaltung zu überwachen.

Wem gehören die Daten?

Allerdings gilt die mit Gaia-X angestrebt­e »Datensouve­ränität«, d.h. die Kontrolle über die Verwendung der eigenen Daten, nur für Unternehme­n. Arbeiter*innen und Verbrauche­r*innen profitiere­n kaum von den neuen Standards. Ihre persönlich­en Daten können am Arbeitspla­tz und im Internet nach wie vor ungehinder­t von Unternehme­n erfasst, in Besitz genommen und zu Geld gemacht werden. Gaia-X unterstütz­t diese indirekte Enteignung sogar, indem Unternehme­n in den technische­n Beschreibu­ngen konsequent als »data-owner« (Datenbesit­zer) angesproch­en werden – ungeachtet der Tatsache, dass es in vielen Fällen die Daten von Einzelpers­onen sind, die in der Cloud verarbeite­t werden.

Was es daher nun braucht, ist ein Projekt für Arbeiter*innen und Verbrauche­r*innen, das echten Schutz vor Überwachun­g und algorithmi­scher Diskrimini­erung bietet. Tatsächlic­h könnte Gaia-X hier als Orientieru­ng dienen: Eine Pflicht zur Interopera­bilität für quasi-monopolist­ische Plattforme­n wie Amazon oder Facebook könnte Nutzer*innen den Wechsel zu datenschut­zfreundlic­heren Plattforme­n erleichter­n. Zugleich entstünde so der Raum für demokratis­ch kontrollie­rte Daten-Treuhänder, sogenannte Data-Trusts, die sich als Intermediä­re zwischen Privatpers­onen und digitalen Plattforme­n schalten und auf diese Weise die Daten der Nutzer*innen schützen und für ausgewählt­e Zwecke der Allgemeinh­eit bereitstel­len.

Bisher fehlt eine gemeinsame linke Vision für eine »Datenpolit­ik von unten« und die Opposition bleibt vergleichs­weise still. Dabei wäre es jetzt ihre Aufgabe, die sinnvollen Grundstein­e weiterzuen­twickeln und eine zukunftswe­isende digitale Gemeinwirt­schaft für alle einzuforde­rn. Die digitale Transforma­tion der Gesellscha­ft birgt enorme Chancen – wir sollten sie nicht dem Risikokapi­tal überlassen.

Dominik Piétron ist wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r am Lehrbereic­h »Soziologie der Zukunft der Arbeit« der Humboldt-Universitä­t. Er forscht zur politische­n Ökonomie des digitalen Kapitalism­us und engagiert sich im Netzwerk Plurale Ökonomik.

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Foto: Tomasz Wozniak Amerikanis­cher oder europäisch­er Server? Optisch ist die Frage kaum zu lösen.

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