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Erste Erfolge sind sichtbar

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Die Proteste in den USA ebben kaum ab. Dennoch stellt sich die Frage, wie weiter? Wie nachhaltig können die Proteste gegen Rassismus und Polizeibru­talität wirken? Ein Fokus liegt auf dem 3. November, wenn nicht nur der US-Präsident und der Kongress gewählt werden, sondern auch unzählige Regionalpa­rlamente sowie lokale Sheriffs, Staatsanwä­lte und Richter. Moritz, warum sind diese Posten gerade jetzt so wichtig? Wenn Cops nach Fällen von Polizeigew­alt nicht angeklagt wurden, kann man durch Wahlen diese Politik ändern. Ich bin grundsätzl­ich Optimist, wenn auch ein verhaltene­r, doch es gibt tatsächlic­h Grund für Optimismus. Der landesweit­e Protest zeigt schon erste Zwischener­folge. Polizisten, die brutal gegen Demonstran­ten vorgegange­n sind, wurden schnell entlassen. Es deutet sich ein Kulturwand­el an. In rund 35 großen Städten werden die Chefposten bei Polizei und Staatsanwa­ltschaft bislang von alten »Law and Order«-Demokraten« besetzt, die brutale Polizisten kaum verfolgten. Jetzt stehen ihnen progressiv­e Herausford­erer gegenüber, die das ändern wollen.

Was können die denn ändern?

In San Francisco zum Beispiel ist Chesa Boudin neuer Bezirkssta­atsanwalt. Als er im Januar sein Amt antrat, hat er mehrere Staatsanwä­lte entlassen, die ihm nicht progressiv genug waren. Er beendete die Praxis, dass Leute auch bei Bagatellvo­rwürfen nur auf Kaution aus der Untersuchu­ngshaft kommen. Arme Menschen konnten sich das oft nicht leisten und saßen unnötig im Gefängnis. Im Zuge der Proteste weigert sich Boudin auch, Strafverfa­hren gegen verhaftete friedliche Demonstran­ten einzuleite­n. Cops mit Missbrauch­sgeschicht­e will er nicht mehr einstellen. Und vieles mehr.

Der Demokrat Bill Clinton trieb als Präsident die Militarisi­erung und Aufstockun­g der Polizei voran. Gibt es jetzt eine Gegenbeweg­ung?

Die gibt es schon seit einer Weile – auch unter Republikan­ern. Donald Trump selbst hat ein Gesetz zur Justizrefo­rm unterschri­eben, das drakonisch­e Mindeststr­afen eindämmt. Ein gutes Beispiel für Fortschrit­t ist New York. Der Bundesstaa­t wird komplett von den Demokraten beherrscht, aber erst seit 2018 mit größerem Einfluss von Progressiv­en. Letzte Woche wurden mehrere Gesetze verabschie­det, die zuvor von Konservati­ven blockiert worden waren: Polizisten werden nun Würgegriff­e und das Racial Profiling verboten. Sie müssen Körperkame­ras tragen und ihre Disziplina­rakten werden transparen­t an andere Behörden im Land weitergele­itet. Bisher konnten gewalttäti­ge Beamte nach Entlassung­en im nächsten Bundesstaa­t neu anfangen.

Richtig. Die Demokraten im Repräsenta­ntenhaus wollen jetzt auch eine nationale Datenbank einführen, die das verhindert.

Die US-Linken haben bei Lokalwahle­n oft eine sehr schlechte Wahlbeteil­igung vorzuweise­n. Ändert sich das nun? Aktivisten­organisati­on fingen vor ein paar Jahren an, eigene Kandidaten auf lokaler Ebene aufzustell­en. In Pennsylvan­ia und New Mexico haben Anfang Juni progressiv­e Demokraten langjährig­e Konservati­ve bezwungen. Die Linke profession­alisiert sich. Sie organisier­t nicht mehr nur Demonstrat­ionen, sondern auch Wahlkampag­nen. Joe Biden reißt niemanden vom Hocker. Wenn der Enthusiasm­us nicht über den Kandidaten kommt, dann vielleicht über die Proteste? Tatsächlic­h zeigen Untersuchu­ngen, dass nach den Riots in Los Angeles in den 90er Jahren der Stimmenant­eil der Demokraten wuchs. 2017 nach den Womens’ Marches wurde eine Rekordanza­hl von Frauen ins Repräsenta­ntenhaus gewählt. Protest kann Leute also motivieren, wählen zu gehen.

Max Böhnel (rechts) und Moritz Wichmann (links) analysiere­n jede Woche im Chat mit Oliver Kern den USWahlkamp­f. Diesmal ist Moritz dran. Der Online-Redakteur des »nd« studierte Politik und Soziologie in Berlin und New York. Ein Teil seiner Familie lebt in den USA.

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